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Wie eine ParodieFriedrich Dürrenmatts „Physiker“ im Bonner Schauspiel

Lesezeit 3 Minuten

Der Regisseur Simon Solberg baut gern nah am Wasser. Es ist sein Element. Im vergangenen Jahr hat er in der Halle Beuel "Woyzeck" nach Georg Büchner inszeniert. Die Schauspieler standen die meiste Zeit knöcheltief im Wasser. Solberg, der auch regelmäßig in Köln arbeitet, lieferte die Überschrift zu seiner Inszenierung gleich mit: Woyzeck geht baden.

In den Kammerspielen Bad Godesberg, wo sich Solberg jetzt in 90 pausenlosen Minuten mit Friedrich Dürrenmatts Komödie "Die Physiker" beschäftigt, steht ein mit Wasser gefüllter Pool auf der vom Regisseur und Franziska Harm eingerichteten Bühne. Kaum einer der sieben Schauspieler bleibt trocken, sogar ein Koffer wird im Nass versenkt. Was gibt es zu sehen? Multimediales Überforderungstheater, eine bildkräftige Assoziationsattacke, ein nicht enden wollendes Einfallsfeuerwerk - visuell überfrachtet und intellektuell unterbelichtet. Solbergs Regie vermittelt Eindrücke, aber keine Einsichten. Das Stück ist auf diesem theatralen Wimmelbild kaum noch lokalisierbar. Wenn es so etwas gibt wie die Parodie des deutschen Regietheaters, in den Kammerspielen ist sie zu besichtigen.

Ursituation des Menschen

Der Schweizer Friedrich Dürrenmatt wollte in seinem 1962 in Zürich uraufgeführten Drama eine Ursituation des Menschen spiegeln: "Der Mensch diskutiert dann, wenn alles zu spät ist." Seine drei Physiker, die aus unterschiedlichen Gründen als Simulanten in einem Irrenhaus leben, kommen am Ende zu der Erkenntnis, dass es besser ist, freiwillig in der Institution zu bleiben, statt dazu beizutragen, die Welt mit ihren Forschungsergebnissen in ein Irrenhaus zu verwandeln. Seine Fabel, die Dürrenmatt mit leichter Hand entwickelt hat, besitzt einen todernsten Kern: das Thema Massenvernichtung. Darüber wird in dem Stück diskutiert, auch wenn klar ist: Was einmal von Wissenschaftlern ausgedacht worden ist, kann nie mehr zurückgenommen werden. Die zwei Pole, Posse und das Grauen vor der Menschheitskatastrophe, kommen nicht in Solbergs Fokus. Vor lauter Einfallslust verliert er die Struktur des Stückes und die Aufnahmefähigkeit der Zuschauer aus dem Blick. Seine "Physiker" laufen in den Kammerspielen ins Leere. Ein paar Beispiele. Glenn Goltz als Herbert Georg Beutler (genannt Newton) legt einen Tanz à la "Flashdance" hin, kriecht halbnackt in ein Terrarium und saugt an der Brust von Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd (Sophie Basse). Eine Yoda-Maske trägt er auch kurz. Immer wieder rollt René Fiegen als Pflegerin (!) eine XXL-Tablette über die Bühne. Holger Kraft als Ernesti (genannt Einstein) hängt einmal sehenswert von der Decke, ansonsten geigt er viel.

Aber nicht einfach so: Kraft geigt sich sozusagen selbst. Er erscheint wie Man Rays "Violon d'Ingres", mit aufgemalten f-förmigen Öffnungen eines Streichinstruments. Das hat Witz. Das meiste andere nicht. Oft sieht man die Akteure bedeutungsvoll durch den Raum irrlichtern, Seifenblasen steigen in die Luft und viel Bühnennebel. Projektionen zeigen ein Bergpanorama, Kriegsszenen, Demonstrationen, einen Buddha, Helmut Kohl und Donald Trump. Dazu addiere man noch verfremdende Effekte, die Verwandlung von Männern in große Miezekatzen, gelegentliche Spielerei mit dem Text, Musik und wiederkehrende Gongschläge.

Das klingt jetzt nicht sehr einladend, aber da sind ja noch die Schauspieler. Sören Wunderlich als Möbius bewahrt auch in klatschnasser Unterhose die Würde eines Mannes, der innerlich vollkommen zerrissen ist. Seine Endzeit-Suada liefert den Höhepunkt des Theaterabends. Sophie Basse als Fräulein Doktor hat die Regie weitgehend zu einer Beobachterin degradiert. Erst im Abspann formuliert sie in Helene-Fischer-Blond die bittere Pointe des Stückes. Johanna Falkner setzt als Oberschwester Monika respektive Frau Rose Akzente; sie bringt Emotion ins verkopft-verspielte Geschehen.

Glenn Goltz und Holger Kraft werden - wie das Publikum - unter ihrem Niveau beschäftigt. Dasselbe gilt für Manuel Zschunke als Kriminalinspektor mit beabsichtigter Nähe zu Columbo.

90 Minuten ohne Pause. Die nächsten Aufführungen: 9. und 24. November; 2., 8., 26. und 28. Dezember.