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Rockstar feiert 75. GeburtstagWie Bruce Springsteen die Musikwelt prägte und ein Superstar wurde

Lesezeit 5 Minuten
Bruce Springsteen steht mit seiner Gitarre auf der Bühne.

Immer noch in Aktion: Bruce Springsteen bei einem Konzert.

Bruce Springsteen zeigt sich in seinen Songs als genialer Erzähler und leidenschaftlicher Performer. Seine Musik entwickelte sich mit wachsender Fülle und Tiefe, und deckte ein breites Spektrum an Themen wie Beziehungskrisen, Depressionen und politische Missstände ab.

Bloß raus aus dieser Provinz, die sonst deine Lebensgier stranguliert. Schnell in den Chevrolet Camaro oder Cadillac Eldorado, rasch das ebenso erlebnishungrige Mädchen von der Veranda nebenan pflücken – und Vollgas. In den frühen Songs von Bruce Springsteen sind Highways magische Leuchtspuren in ein besseres Morgen. Kaum jemand hat den Rausch des Jungseins auf der „Thunder Road“ so ausgekostet wie der Mann aus Freehold/New Jersey, der am nächsten Montag unglaubliche 75 Jahre alt wird.

Das Auto als Fluchtwagen spiegelt seine Sehnsüchte sowohl in Freehold wie in Asbury Park mit dem rostenden Vergnügungspark am Strand. Daheim der dumpf brütende Vater, draußen zähe Talentproben mit den Castiles und anderen Bands, Konzerte in Trailerparks, Autokinos, schäbigen Clubs. Endlich der Vertrag mit Columbia, der erst 1975 mit dem dritten Album den Durchbruch bringt: „Born to Run“. Und der Titelsong fetzt mit Turbopower jedes Sicherheitsdenken in die Leitplanken.

Starke Bildsprache

Wie atemberaubend sich der Songwriter und Komponist entwickelt, spürt man wenig später: „Racing in the Streets“ ist kein Tempobolzer, sondern eine Ballade, in der schon kaputte Hoffnungen mitfahren, „Cadillac Ranch“ erinnert als kunstvoller Autofriedhof ebenso an die eigene Vergänglichkeit wie „Wreck on the Highway“.

Die letzten beiden Songs stammen vom Doppelalbum „The River“, das 1980 als bisher persönlichstes Werk des Künstlers Furore macht. Im Titelsong sind die sinnlichen Erlebnisse des Ich-Erzählers längst vom allzu raschen Erwachsenwerden vergiftet, der Fluss, in den er einst mit Mary eintauchte, ist ausgetrocknet wie die Leidenschaft der beiden.

Zwar erwähnt Bruce Springsteen die vom Vater geerbten Depressionen erst in seiner Autobiografie „Born to Run“, doch die düsteren Mörderballaden vom Solo-Album „Nebraska“ (1982) verraten schon, wie sich eine Bleidecke aufs Gemüt legt. Beinahe unglaublich: Gleichzeitig nimmt er mit der E Street Band um Gitarrist Steven Van Zandt, Drummer Max Weinberg und den Starkstrom-Saxofonisten Clarence Clemons die energiestrotzenden Songs des Welterfolgs „Born in the U.S.A.“ auf.

Von nun an ist er ein Superstar, der „Boss“, der Basisdemokratie in Bands abwegig findet. Ihm ist alles zuzutrauen: Stadionkracher wie „Glory Days“ oder das zornige „Badlands“ ebenso wie der melancholisch verhangene John-Steinbeck-Tribut in „The Ghost of Tom Joad“.

Klangpalette zwischen Hardrock, Blues, Folk und Soul

Springsteens große Konzerte – am 19. Juli 1988 spielt er in Ost-Berlin vor 160.000 Fans – sind mindestens dreistündige Ekstasen mit einem Hang zu ruinöser Selbstauslöschung. Und doch wirken sie auf ihren Protagonisten wie Jungbrunnen.

Inzwischen hat das Gesamtwerk dylaneske Dimensionen erreicht – mit einer Klangpalette zwischen Hardrock, Blues, Folk und Soul. Dazu kommen thematische Fülle wie Tiefe. Liebe schillert in allen Facetten: gefährlich-lasziv („Fire“), rein trotz anrüchiger Umstände („Candys Room“) oder überschäumend wie im Tom-Waits-Cover „Jersey Girl“.

Das Beziehungskrisen-Album „Tunnel of Love“ nimmt 1987 die Scheidung von Julianne Phillips nur um zwei Jahre vorweg, das hart erkämpfte Glück mit seiner zweiten Frau und Bandkollegin Patty Scialfa sowie den drei gemeinsamen Kindern besingt der Katholik als „Living Proof“ für die Gnade Gottes. So klingt der Soundtrack des Lebens.

Springsteen wurde erst später politisch

Der charismatische Sänger und aufopferungsvolle Performer ist vor allem ein genialer Erzähler. Songs als dichte Kurzgeschichten. „Born in the U.S.A.“ bannt die Verbitterung eines Vietnam-Veteranen ohne Selbstmitleid, „Darkness on the Edge of Town“ ist das herzzerreißende Requiem auf ein vermasseltes Leben.

Springsteen versetzt sich in Todeskandidaten („Dead Man walkin’“) oder in einen geächteten Aidskranken („Streets of Philadelphia“).

Dabei weiß der Songwriter um seine problematische Existenz als „rich man in a poor man’s shirt“. Doch wenn der Milliardär immer noch den Nerv der Malocher trifft, liegt das ebenso an seiner Einfühlungskraft wie am gigantischen Arbeitspensum auf der Bühne.

Politisch ist er erst spät geworden, stets jenseits von Predigt oder Pamphlet. Mit „The Rising“ reagiert er sensibel auf das Grauen von 9/11. Und im starken Album „Wrecking Ball“ rammen der Frontmann und die E Street Band ihre Abrissbirne zielsicher in die Glaspaläste der Finanzkrisengewinnler. Der Trump-Gegner misst stets sehr genau die Kluft zwischen dem amerikanischen Traum und der Realität aus, so in „American Skin (41 Shots)“ über rassistische Polizeigewalt.

Ende 2023 bremst ein Magengeschwür den Rockstar zeitweise aus, doch muss man sich um seine Gesundheit weniger sorgen als um die seiner Frau Patty Scialfa. Der 2018 entdeckte Blutkrebs erlaubt ihr nur noch seltene Auftritte.

Den Tod verdrängt auch ihr Gatte nicht. Beim Toronto International Film Festival sagt er bei der Premiere von „Road Diary: Bruce Springsteen and The E Street Band“: „Wenn ich morgen gehen müsste, wäre das in Ordnung – was für eine verdammte Fahrt.“ Aber freiwillig hängt er die Gitarre nicht an den Nagel: „Ich will rocken, bis die Räder abfallen.“ Ganz nach Motto eines seiner berühmten Songs: „No Surrender“!


Neuer Film und alte Interviews

„Deliver Me from Nowhere“ heißt das Biopic, das von der Entstehung des düsteren Springsteen-Albums „Nebraska“ erzählt. Scott Cooper („Feinde – Hostiles“) inszeniert, den „Boss“ verkörpert Jeremy Allen White („The Bear“). Ein Starttermin steht noch nicht fest.

Pünktlich zum 75. Geburtstag erscheint bei Kampa der Interviewband „Bruce Springsteen – Born to sing“ (176 S., 22 Euro). Der Gesprächsreigen mit diversen Medien beginnt 1975, als der kommende Star über seine schwierigen Anfänge spricht. Später geht es etwa um das Leben „on the road“, das einen weltfremden Tunnelblick erzeuge. Über „Wrecking Ball“ meint er: „Es kann im Rock 'n'Roll nie schaden, wenn du stinksauer bist.“

Im letzten Interview von 2016 wundert sich Martin Scholz, dass ausgerechnet Springsteen erst mit Mitte Zwanzig den Führerschein machte. Stimmt, gibt der Befragte zu – und er sei lange ein lausiger Fahrer gewesen. Inzwischen besitzt er aber eine große Autosammlung. Lieblingsstück: eine 1960er Corvette. (Wi.)