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Schau zu Tony CraggDüsseldorfer Kunstpalast lädt zum Anfassen der Skulpturen ein

Lesezeit 4 Minuten
Der Künstler Tony Cragg steht in seiner Skulptur „Secretions2. Die Ausstellung "Please touch!“ mit Skulpture ist vom 22.02. bis 26.05.2024 im Kunstpalast zu sehen.

Der Künstler Tony Cragg steht in seiner Skulptur „Secretions2. Die Ausstellung "Please touch!“ mit Skulpture ist vom 22.02. bis 26.05.2024 im Kunstpalast zu sehen.

Der Düsseldorfer Kunstpalast zeigt die Schau „Tony Cragg. Please Touch!“ und lädt zum anfassen ein.

In den Fingern juckt es eigentlich jedem schon mal. Jetzt ist es sogar erlaubt: Die knallig-orange Skulptur „Outspan“ (Ausdehnung) von 2008 zum Beispiel darf angefasst werden. Steht der Name auch als Label für Export-Zitrusfrüchte, ist es vor allem die Farbe, die erfrischt. Kühl fühlt sich die Bronze an, wie ein Schluck Orangensaft, der die Kehle herunter rinnt.

Glätte des Glases

Der Bildhauer Tony Cragg bittet, sie zu berühren — wobei er gestern bei der Eröffnung der Schau „Tony Cragg. Please touch!“ im Düsseldorfer Kunstpalast gleich einschränkte, dass es unterschiedliche Herangehensweisen gibt: „Nicht einfach bloß anpacken. Es geht um die Wertigkeit.“ Die Museumsbesucher sollen selber spüren, wie Kälte von Stein auf sie wirkt, Wärme des Holzes, Glätte des Glases oder Härte des Stahls.

Die Ausstellung „Please touch!“ mit Skulpturen von Tony Cragg, bei der die Besucher die Objekte berühren dürfen, ist vom 22.02. bis 26.05.2024 im Kunstpalast zu sehen.

Die Ausstellung „Please touch!“ mit Skulpturen von Tony Cragg, bei der die Besucher die Objekte berühren dürfen, ist vom 22.02. bis 26.05.2024 im Kunstpalast zu sehen.

Ihnen Handschuhe zu verordnen, lehnt Cragg strikt ab. Aber der 74-Jährige, der bereits über ein halbes Jahrhundert Skulpturen schafft, fordert schon Respekt für seine Arbeiten ein. Dass in seinem Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden überlebensgroße Skulpturen auch als Kletterobjekte missbraucht werden, sieht er gar nicht gerne. Auch schon aus Schokolade hat der britische Bildhauer Skulpturen geformt. In Düsseldorf stehen solche diesmal aber nicht. „Hier ist eine gewisse Festigkeit gefragt.“

Beim ersten Rundgang ist zu sehen, wie die Journalisten streicheln, greifen, antippen. Aber es wird auch geklopft, als gelte es, alle Resonanz aus der Skulptur „Secretions“ (Absonderungen) herauszukitzeln. Eine Abstraktion, deren Opferfläche mosaikartig mit unzähligen Würfeln gespickt ist. Gut vorstellbar, das so mancher herausbrechen wird. In seiner „Wave“ (Welle) fügen sich schwarmartig Menschenkörper in Miniaturformat.

Maske statt Katalog

Ihnen reicht so mancher die Hand, wie auch Craggs Gesicht in der Arbeit „We“ (Wir) von 2015 zärtlich gestreichelt wird. Überhaupt wird tüchtig getatscht, beim Presserundgang dürften es schon locker über tausend Berührungen gewesen sein. Die Großformate in den Kunstpalast zu transportieren, so Cragg, sei nicht einfach gewesen. Aber: „Ich bin einigermaßen zufrieden“, sagt er über das Resultat.

Anstelle eines Katalogs entschied sich der Künstler dafür, die Ausstellung mit einer Maske seines Konterfeis zu begleiten. Das Material ist Hanf, legal und absolut nachhaltig. „Im Wasser kann man das als Fischfutter nutzen. Und meine Feinde dürfen die Maske bekritzeln.“ Cragg betont den Reichtum der Materialien, über den wir heute verfügen. Bildhauern um 1900 herum habe da weitaus weniger zur Verfügung gestanden.

Und mit allen, alten wie neuen Stoffen, gelte es, sich auseinanderzusetzen. Museumsdirektor Felix Krämer konnte den britischen Bildhauer für das „Berührungsexperiment“ gewinnen, über dessen Ausgang sie sich beide noch gar nicht so sicher sind. Was passiert mit den Skulpturen, wenn sie bis Mitte des Jahres unentwegt mit schwitzigen Händen angefasst werden? Brauchen sie eine Generalüberholung? Wer bezahlt, und mit was für möglichen Blessuren ist zu rechnen? Darauf gab es gestern noch keine Antworten.

Cragg hat die rund 30 zumeist sehr großen Werke überwiegend aus seinem eigenen Fundus zur Verfügung gestellt. Die Materialien sind neben Bronze auch Fiberglas, Cortenstahl, Travertin oder Holz. Sie zu berühren, macht Spaß. Denn der haptische Eindruck schafft noch einmal einen anderen Bezug zum Objekt als nur das Visuelle. Krämer weist auch auf den Audioguide für Blinde hin. Cragg selbst räumt ein, dass er natürlich während des Schaffensprozesses häufig mit einem Objekt in Berührung kommt. Aber ist es einmal fertig, habe er gar nicht das Bedürfnis, es anzufassen.

Fossiles Fundstück

Verständnis, dass das andere wollen, hat er aber. Und damit findet er sich in Gesellschaft — ebenfalls englischer — Kollegen. Barbara Hepworth (1903 – 1975) erklärte einmal: „Ich denke, jede Skulptur muss berührt werden ... Man kann eine Skulptur nicht betrachten, wenn man stocksteif dasteht und sie anstarrt.“ Und Henry Moore (1898 — 1986) war ebenfalls davon überzeugt, dass man nur durch Berührung ein wirkliches Verständnis von Skulpturen erreichen könne.

In einem Dokumentarfilm erklärte Moore einmal, dass er als Kind seiner Mutter den schmerzenden Rücken mit Öl eingerieben habe. Auf die Frage, ob Craggs ebenfalls sanft fließenden Formen auf eine ähnliche Kindheitserfahrung zurückzuführen sei, erwiderte er amüsiert: „Meine Mutter hätte mir eine gedonnert.“ Allerdings: Ein fossiles Fundstück, dass er als Achtjähriger mit nach Hause genommen habe, hüte er heute noch. Am Ende der berührenden Ausstellung gibt es Einblick in sein Atelier: In Hochregalen stapeln sich unzählige Objekte, dazu gibt es Fotos vom Künstler bei der Arbeit. Aber dieser Bereich ist zum Anfassen tabu. Berühren darf man nur, was auf dem Sockel steht.

Bis 26. Mai, Di bis So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 21 Uhr, Ehrenhof 4 – 5.