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Biografie „Mein Leben“ erscheintAl Pacinos bewegender Aufstieg vom „Sonny Boy“ zum Hollywoodstar

Lesezeit 4 Minuten
Al Pacino auf dem Filmfestival in Venedig.

Al Pacino auf dem Filmfestival in Venedig.

Al Pacino teilt intime Einblicke über sein Aufwachsen in der South Bronx, seine Leidenschaft für das Theater und eine illustre Karriere, in seiner Biographie „Sonny Boy: Mein Leben“.

„Mal fröhlich, mal traurig, aber immer betrunken. Das ist das Leben des Schauspielers.“ Zumindest an jenen Theatern, in denen Al Pacino beginnt. Mit Anfang zwanzig spielt er in der Actors Gallery, einer Minibühne in SoHo, in Strindbergs Einakter „Gläubiger“ und weiß sofort: „Das hier will ich für immer machen.“ Aber erst nach der Off-Broadway-Produktion „Der Indianer will zur Bronx“ ebnet ihm Großkritikerlob den Weg.

Gipfelsturm gegen alle Erwartungen

Vielleicht kein Zufall, denn New Yorks knallharte South Bronx ist ja seine Heimat. Der Vater verlässt die Familie früh, und so wächst Al bei seiner psychisch fragilen Mutter und den sizilianischen Großeltern auf. Vor allem aber geht er mit seinen Kumpels Cliffy, Bruce und Petey auf Tour. Sie spielen Baseball in vermüllten Höfen, springen über U-Bahn-Drehkreuze, klauen oder knacken im Sommer Hydranten.

Klingt romantisch, doch seine drei Freunde werden nicht alt, sondern elende Opfer der Drogen. Pacino aber bleibt der „Sonny Boy“, wie ihn die ebenfalls früh an einer Überdosis Tabletten gestorbene Mutter nannte. So heißt auch die Autobiographie des 84-Jährigen, der bei neun Oscar-Nominierungen zwar nur einmal siegt („Der Duft der Frauen“), aber in „Der Pate“, „Hundstage“ oder „Scarface“ einer der größten Hollywoodstars seiner Generation wird.

Gipfelsturm gegen alle Erwartungen – das lässt in Memoiren oft penetrante Selbstbeweihräucherung befürchten. Der Schauspieler aber weicht dieser Falle aus. Zu wichtig ist ihm die Kunst, und man sieht ihn geradezu vor sich, wie er als Eleve auf nächtlichen Streifzügen durch leere Fabrikviertel Shakespeare oder O'Neill deklamiert. Vom Starsystem hat er anfangs keine Ahnung. Als ihm nach einer Schultheater-Aufführung jemand sagt: „Hey Junge, du wirst der nächste Marlon Brando“, antwortet er: „Wer?“

Bewusst uncharismatisch

Das soll sich bekanntlich ändern. Im ersten Filmerfolg „Panik im Needle Park“ brilliert Pacino als Drogenfreak, aber Paramount will ihn nicht als Sohn von Don Vito Corleone in „Der Pate“ (1972). Das Studio liebäugelt mit Jack Nicholson oder Robert Redford, und doch bekommt der Außenseiter die Rolle neben Brando. Zwischendurch fürchtet Regisseur Francis Ford Coppola: „Tja, du kriegst es nicht hin.“ Irrtum.

Pacino will bewusst uncharismatisch wirken, Michael Corleone aus dem Nichts kommen und im zweiten Teil geradezu versteinern lassen. Das glückt genial. Zwar schwächelt die Autobiographie in den seltsam blassen Beschreibungen der Beziehungen mit Jill Clayburgh, Marthe Keller, Beverly d'Angelo, Diane Keaton oder anderen Frauen. Umso intensiver analysiert der Autor seine Rollen: Als Bankräuber Sonny in Sidney Lumets „Hundstage“ (1975) bekennt er seine Liebe zum transsexuellen Leon.

Und Pacino verhindert eine groteske Szene, in der dieser aufgetakelt als Marilyn Monroe in die Bank kommen sollte. Umso peinlicher ist ihm im Nachhinein sein Part als Undercover-Ermittler in William Friedkins „Cruising“. Er wirft dem Film vor, das Schwulenthema auszuschlachten und spendet seine Gage an wohltätige Einrichtungen.

Ruhm, Karriereknick, schwerer Suff und Therapie – selbst dem sonst vom Glück Gehätschelten bleiben Hollywoods Schattenseiten nicht erspart. Ab Mitte der 1970er fällt er in ein Loch, aus dem ihn erst Brian De Palmas explosive Gangsteroper „Scarface“ herauskatapultiert – „bis heute der größte Film, den ich je gemacht habe“.

Reizvolle Nebenrollen

Pacinos früherer Leinwand-Minimalismus tendiert mittlerweile riskant in Richtung Overacting. Doch wenn sein Cop im Thriller „Heat“ übernervös wirkt, liegt das daran, dass er in einer Szene Koks schnieft. Regisseur Michael Mann aber schneidet just diesen Moment heraus.

Der Star blickt aber auch auf seine Prasserjahre in Los Angeles zurück – „ich gab 300.000 bis 400.000 Dollar pro Monat aus“ – und auf seine Ausplünderung durch einen kriminellen Finanzberater. Als Pleitier spielt er dann gratis Abend für Abend den Shylock im Central Park. Theater scheint ihm ohnehin als Live-Drahtseilakt anspruchsvoller. „Beim Film liegt das Drahtseil auf dem Boden, du kannst jederzeit neu ansetzen.“ Doch auch jenseits der 80 bleibt das Kino dem Sonny Boy gewogen – er bekommt reizvolle Nebenrollen in „Once upon a Time in Hollywood“ oder „The Irishman“.

Welche Begrüßung würde er sich an der Himmelspforte wünschen? „Ich hoffe, Gott würde sagen: „Die Proben beginnen morgen um 15 Uhr.“ Al Pacino: Sonny Boy.

Mein Leben, deutsch von Stephan Kleiner. Mit 69 Abbildungen. Piper, 400 S., 26 Euro.