Sloterdijk bei der phil.cologneWie das „Auge Gottes“ von der Technik abgelöst wird
- Das neuste Werk „Den Himmel zum Sprechen bringen: Elemente der Theopoesie“ konnte Sloterdijk im Gespräch mit Svenja Flaßpöhler vorstellen.
- Elegant und unterhaltsam tanzt „der bedeutendsten Denker unserer Zeit“ zwischen Assoziationen und Analogien.
- Das Thema des Abend war vor allem die Auswirkung der Technisierung auf die Gesellschaft.
Köln – Jedes erwähnenswerte Maß an Innerlichkeit wird uns gerade „abdressiert“, das steht für Peter Sloterdijk außer Frage. Die Erwähnung von Scham zum Beispiel, gern verbunden mit einem zarten Erröten, rufe eher Erinnerungen an das 19. Jahrhundert hervor. Dem absichtlichen oder unabsichtlichen Fehlverhalten seien allenfalls noch die äußere Blamage oder die Schande zuzuordnen, die aber offensichtlich „keine Sedimente“ im Inneren der Person mehr hinterließen: „Sonst müsste sich doch jemand wie Uli Hoeneß zurückziehen.“
Wie waren wir noch mal auf Hoeneß gekommen? Ach ja, Sloterdijk wollte auf dem phil.cologne-Abend in der Comedia sein neues Werk „Den Himmel zum Sprechen bringen: Elemente der Theopoesie“ im Gespräch mit Svenja Flaßpöhler vorstellen. Aber wer derart konsequent in Assoziationen und Analogien denkt, der tanzt nur so zwischen den Hölzchen und Stöckchen umher. Moderatorin Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie Magazins, nennt Sloterdijk einen „der bedeutendsten Denker unserer Zeit“ und seine Methode „anregend“. Ist sie auch, sogar unterhaltsam, bis in die Formulierungen hinein. Man muss ja nicht gleich jeden seiner Gedankenschritte mitgehen.
Von einem überwachenden Gott
Von einem Gott, der aus Eingeweiden, Sternenkonstellationen oder den Erscheinungen Verzückter spricht, geht’s da rasch zum überwachenden Gott, der „ein absolutes Archiv“ hat und nach dem Tod des Menschen „nach Aktenlage“ über dessen weiteren Verbleib entscheidet. Kennen wir heute noch ganz ähnlich, meint Flaßpöhler: „Das Netz vergisst nichts.“ Für Sloterdijk sind die Modifikationen entscheidend: Früher wurde viel Zeit und Mühe darauf verwandt, das „Auge Gottes“ als Gewissen ins Menscheninnere hinein zu erziehen - zwecks Selbststeuerung des Individuums im Sinne der Gemeinschaft. Doch das werde demnächst überflüssig: „Die Chinesen zeigen mit ihren Überwachungssystemen, dass Außensteuerung viel effizienter ist.“
Wie Gott vor dem Urologen
Dazu überreiche man den Menschen eine „Huawei-Telekommunikationsmaschine“, in der sie „oft so unbekleidet dastehen wie man sonst nur vor Gott oder dem Urologen steht“, sagt Sloterdijk. Die absehbare Folge sei das völlige Verschwinden der Privatperson. Unterstützt würden solche Tendenzen, da greift er Flaßpöhlers Anregung „cancel culture“ auf, nicht zuletzt von den Medien, die einen gewaltigen "Konformitätsdruck“ erzeugten. In Deutschland sei dieser Druck sogar einzigartig, hier dürfe „man sich niemals etwas gegen Frauen, Juden oder Zigeuner zuschulden kommen lassen“, meint Sloterdijk und ergänzt: „Ich glaube, ich habe noch drei oder vier andere Gruppen vergessen.“
Man hält den Atem an, man würde gern nachfragen – aber das ist nicht vorgesehen bei dieser Veranstaltung. Da zeigt sich kurz der „Menschenpark“- Sloterdijk, der mit dem Un-Säglichen oder dem zumindest nicht ausdrücklich Gesagten spielt und der in Neben- oder Nachsätzen auch mal von gesellschaftlichen Gruppen raunt, die von den zivilisatorischen Errungenschaften Europas komplett entkoppelt seien.
Kurz darauf jedoch, als es um Corona geht, bezieht er eindeutig Position für die Werte der Aufklärung und gegen einen Chefdenker aus den Abgründen der deutschen Geschichte: „Seit kurzem gilt der Satz von Carl Schmitt nicht mehr: ,Wer Menschheit sagt, will betrügen.‘“ Die Pandemie habe bewiesen, dass die Menschen gleich sind, sie habe eine immense „Empathie-Ausweitung“ mit sich gebracht, die auch Menschen auf anderen Erdteilen einschließe. Da kann man als Zuhörer nur hoffen, dass unser bisschen Rest-Innerlichkeit noch eine Weile hält.