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Klassiker ins Hier und Jetzt geholtPremierenjubel für „Die Katze auf dem heißen Blechdach “

Lesezeit 4 Minuten
Die Katze auf 
dem heißen 
Blechdach
von Tennessee Williams
Regie: Bastian Kraft
 
Regie: Bastian Kraft
Bühne: Nadin Schumacher
Kostüm: Jelena Miletić
Videodesign: Sophie Lux
Live-Kamera: Jonathan Kastl
Musik: Björn SC Deigner
Licht: Michael Gööck
Dramaturgie: Dominika Široká
 
Foto: Krafft Angerer

Die Katze auf dem heißen Blechdach mit Lisa-Katrina Mayer und Nikolaus Benda.

Bastian Kraft bringt „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ auf die Bühne des Depot 1 des Schauspiel Köln.

Das Band, es läuft und läuft und läuft. Ein Bein eingegipst müht sich Brick (Nikolaus Benda) auf Krücken vorwärts, immer weiter vorwärts, ein gehandicapter Sportler, der nur noch weg will und doch nicht von der Stelle kommt.

Und Maggie (Lisa-Katrina Mayer) bleibt ihm dicht auf den Fersen. Sie lässt nicht locker, attackiert ihn mit Worten und der Sinnlichkeit ihres Körpers. Als „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ versucht sie „oben“ zu bleiben, in diesem Fall, ihre Ehe vor dem Scheitern zu bewahren. Doch das Band, es läuft unerbittlich weiter...

Bastian Kraft hat den fast 50 Jahre alten Klassiker von Tennessee Williams ordentlich zurechtgestutzt und konzentriert die Aktion im Depot 1 des Schauspiels auf die wesentlichen Punkte des Familiendramas.

Big Daddy (Andreas Leupold) und Big Mama (Birgit Walter) wollen groß feiern: den 65. Geburtstag des Patriarchen und seine Entlassung aus dem Krankenhaus. Neben Lieblingssohn Brick und Maggie sind auch Gooper (schmierig und verzweifelt: Johannes Benecke) und Mae (zwischen Krawall und kleinen Gesten: Katharina Schmalenberg) mit ihrer großen Kinderschar angereist.

Die Ehe von Brick und Maggie blieb bislang kinderlos, was nicht zuletzt daran liegt, dass zwischen den beiden sexuell nichts mehr läuft. Seit sein bester Freund Skipper sich das Leben genommen hat, ist Brick zum Alkoholiker mutiert — im Verlauf des Stücks gehen alle Beteiligten der Frage nach, ob ihn sein gebrochenes Herz oder die vermeintliche Schuld am Tod des Freundes zur Flasche greifen lässt.

Ballast als Party-Mitbringsel

Doch auch die anderen Mitglieder des Südstaatenclans bringen ihren persönlichen Ballast mit zur Party: Gooper fühlte sich immer ungeliebt und unverstanden, die hochschwangere Mae giert nach Anerkennung dafür, dass sie ein Rudel Kinder in die Welt gesetzt hat und gerade das sechste auf dem Weg ist.

Big Mama muss sich mit der Lieblosigkeit ihres Mannes abfinden, während dieser auf ein mäßig glückliches Leben zurück- und dem Tod ins Auge blickt. Und wie bei allen Familien wird das Thema Erben zu einem zusätzlichen Trigger.

Verzierung und Brennglas

Diese ungute Konstellation platziert Bastian Kraft auf einem breiten Laufband (Bühne: Nadin Schumacher), das links und rechts zwei Leinwänden flankieren. Dort werden vor allem die Gesichter in Großaufnahmen gezeigt, allerdings so, dass auf der einen Seite das „Original“ zu sehen ist und auf der anderen Seite die spiegelverkehrte Variante.

Hierdurch wirken die bewegten Bilder gleichermaßen als verzierender Rahmen und als Brennglas, sodass man den sich in den Gesichtern abzeichnenden Emotionen nicht entkommen kann. Man hat das Gefühl, den Figuren auf der Bühne fast in die Seele schauen zu können.

Besondere Körpersprache

Doch so faszinierend diese Möglichkeit ist, so sehr muss man sich beim Zuschauen auch dazu zwingen, den Blick zurück zum Geschehen auf der Bühne zu lenken. Kraft hat für jeden der Charaktere eine eigene Körpersprache kreiert: Mit stoischer Ausdauer stakst Brick zum Takt des Soundtracks (Musik: Björn SC Deigner) voran.

Big Mama sucht immer wieder Standfestigkeit in einer breitbeinigen Pose, als sei sie sich ihrer Position nicht sicher. Auch Big Daddy ist weit davon entfernt, auf sicheren Beinen zu stehen.

Die Kunst der Bühnenpräsenz

Und Lisa-Katrina Mayers Maggie windet sich irgendwo zwischen Katze und Schlange: Die Knie leicht eingeknickt, den Oberkörper nach hinten gebogen, setzt sie seitwärts einen Fuß neben den anderen, fast wie in einem von Verzweiflung gefärbten erotischen Tanz. Ihre ungeheure Bühnenpräsenz fällt aber erst in den Momenten auf, wenn sie nicht auf der Bühne ist. Eine Kunst, eine Lücke zu hinterlassen, ohne die Kolleginnen und Kollegen zuvor übertrumpfen zu wollen.

Doch diese Lücke schließen die anderen (zu denen als Pfarrer respektive Doktor Jürgen Kempf und Friedhelm Friebe aus dem Old-School-Ensemble gehören) mit großer Entschiedenheit.

Eine Brücke fürs Coming-out

Zu den stärksten Szenen gehört dabei sicherlich die Konfrontation zwischen Brick und seinem Vater. Letzterer versucht – zugegebenermaßen auf seine sehr brachiale Art und Weise – seinem Sohn eine Brücke für ein Coming-out zu bauen.

Doch dieser wehrt sich mit Händen und Füßen, weist es weit von sich, dass zwischen Skipper und ihm mehr war als nur eine intensive, aber rein platonische Freundschaft. Während das Laufband zuvor schon hin und wieder nach vorne oder hinten kippte, senkt sich nun plötzlich die Lichtkonstruktion gen Bühne, so dass Vater und Sohn, die längst am Boden liegen, zwischen den Elementen fast eingeklemmt werden.

Kluge Regie-Ideen

Nikolaus Benda und Andreas Leupold lassen dabei vergessen, dass hier nur zwei Spieler am Werk sind, so intensiv, so real gerät diese Szene. Als wäre man unfreiwilliger Zeuge eines aus dem Ruder gelaufenen Familientreffens.

Großer Jubel bei der Premiere im Depot 1 für einen Abend, an dem große Schauspielkunst von klugen Regie-Ideen unterstützt wird.

110 Minuten, keine Pause. Wieder am 3.11., 16 Uhr, 12., 15., 17. und 28.11., jeweils 19.30 Uhr. Für diese Vorstellungen gibt es nur noch Restkarten. Der Vorverkauf für die Dezembertermine beginnt am 5. November.