Erfolgreiche Uraufführung im Bonner Schauspielhaus: „Der Haken“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz beschreibt anhand einer Wohnungssuche komödiantisch die sozialen Missstände in unserer Gesellschaft.
Schauspiel BonnSechs Personen suchen eine Wohnung

Szene aus „Der Haken“: Timo Kählert (Martin Brockes, vorne l.), Wolfgang Rüter (Benedikt Goldmann, vorne r.) mit weiteren Ensemble-Mitgliedern im Bonner Schauspielhaus.
Copyright: Thilo Beu
Dieses Stück erscheint in der Gestalt einer Matroschka. Lutz Hübner und Sarah Nemitz haben ihr Drama „Der Haken“ am Schauspielhaus Bonn nach dem Vorbild der ineinander schachtelbaren russischen Puppen konstruiert. Von außen betrachtet handelt es sich um eine Boulevardkomödie, in der sich jedoch weitere theatrale Ausdrucksformen verbergen.
Sechs Personen suchen eine Wohnung. Dabei kaum glaublich, aber wahr: Die renovierte 80-Quadratmeter-Altbauwohnung in einem angesagten Viertel Bonns, die Hanna (40), Jan (43), Elke (52), Peer (26), Berenice (28) und Sina (29) besichtigen, kostet nur „achthundertfünfzig warm“. Über den oder die künftigen Mieter entscheiden der achtzigjährige ehemalige Diplomat Benedikt Goldmann und sein Neffe Martin (28).
Komödie mit Tiefgang
Tom Musch hat das Milieu mit Parkett, Kassettentüren und hohen Decken im Südstadt-Flair der Bundesstadt am Rhein eingeordnet. Regisseur Roland Riebeling und sein Ensemble liefern zunächst mehrere komödiantische Einlagen mit grell überzeichneten Menschen im flatterhaften Hysterie-Modus, Slapstick-Effekten und einer Verbeugung vor Loriots Sketch „Das Bild hängt schief“. Hier kommt ein Küchenhängeschrank unfreiwillig in Bewegung.
Im Dialog mit dem verdruckst auftretenden Martin (Timo Kählert) wird die soziale Bandbreite der Bewerber sichtbar. Im Wettstreit befinden sich eine Consultant-Managerin; ihr geschiedener Mann, ein Online-Händler; ein Start-up-Unternehmer; die Chefin eines Elektrofachhandelsgeschäfts; eine Altenpflegerin und eine Studentin der Sozialpädagogik. Aus dieser Konstellation entwickeln sich – Stichwort Matroschka – ein tragikomischer Beziehungsreigen, ein debattenfreudiges Sozialstück (Frage: Gibt es ein moralisches Anrecht auf eine Wohnung?), ein ins Absurde abhebender Bühnenkrimi und das anrührende Drama eines alten Mannes. Riebeling umrandet das mit surrealen Effekten. Mal erstarren die Menschen zu Standbildern, mal dreht sich diese menschliche Komödie ergebnislos auf der Drehbühne im Kreis. Zusammengehalten wird das szenische Mixtum compositum von einem ansteckend spielfreudigen Ensemble. Ruben Phillip legt das musikalische Fundament.
Birte Schrein ist als Elke Özdamar maßgeblich für die Gruppendynamik zuständig. Strategisch, methodisch und praktisch bestens präpariert, gibt sie den Ton an. Eine Frau wie diese, eine geborene Regisseurin mit blonder Betonfrisur, könnte sogar die Bundeswehr voranbringen. Ihre „Pole-Position“ programmiert Konflikte innerhalb der Kleingruppe. Sie finden eine Fortsetzung im Privaten. Jan (Daniel Stock), ein auch optisch aufgeplusterter Schwadroneur, und seine beruflich erfolgreiche, aber psychisch angeschlagene Ex-Frau Hanna (Lydia Stäubli) bringen alte Streits zur Wiederaufführung.
Vergiftete Pfeile fliegen hin und her
Auch die nachgiebige Berenice (Julia Kathinka Philippi) und die provokante Sina (Annika Schilling) – sind sie ein Paar? – offenbaren Beziehungsprobleme. Dazwischen bewegt sich Start-up-Millionär Peer (Markus J. Bachmann) mit arrogantem Austro-Akzent. Ein Mann, der den Streit sucht, der austeilen kann, aber auch einstecken muss. Vergiftete Pfeile fliegen hin und her, das sieht man immer wieder gern – zumindest auf der Bühne.
Die Individuen verschmelzen als Gruppe, wenn sie wie in den Echoräumen sozialer Medien Verdachts- und Verschwörungsvisionen entwickeln. Was, fragen sie sich, hat es mit Martin auf sich, der gleichsam vor seinem eigenen Schatten erschrickt und seine frühere Pornosucht gegen Spielsucht eingetauscht hat? Hat er hier in der Wohnung ein Bordell organisiert? Die Spekulationen werden immer irrer: ein prägnantes Sinnbild unserer medialen Gegenwart.
Die hellsten Momente in die komplizierte, auf 80 Quadratmeter komprimierte Welt bringt ausgerechnet ein scheinbar dementer Greis in Kleid und Pelzmantel. Wolfgang Rüter verkörpert diesen Mann, der die Verbindung zu seiner verstorbenen Frau aufrechterhält, indem er ihre Kleidung trägt. Vor Hübner und Nemitz hat der niederländische Autor Arnon Grünberg dieses Motiv in seinen Romanen „Besetzte Gebiete“ und „Muttermale“ entfaltet. Rüters Benedikt Goldmann formuliert in einem Monolog, allein im Scheinwerferlicht, eine Lösung, die alle Beteiligten auf der Bühne glücklich, wenigstens zufrieden machen könnte. Danach versinkt er wieder in seiner Einsamkeit, in Erinnerungen und Fantasien.
Rüter bringt das Stück, das knallbunt beginnt und allmählich Tiefe gewinnt, zu einem würdigen Ende.
Die nächsten Vorstellungen: 26. und 28. Januar, 2. (ausverkauft), 3. und 15. Februar, 2. und 16. März. Karten gibt es bei Bonnticket.