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Schauspiel BonnMehr Willy Brandt wagen – „blut wie fluss“ uraufgeführt

Lesezeit 4 Minuten
Uraufführung des Stücks „"Blut wie Fluss“ von Fritz Kater am Schauspiel Bonn.

Uraufführung des Stücks ""Blut wie Fluss" von Fritz Kater am Schauspiel Bonn.

Angestrengt und anstrengend gerät die Inszenierung in Bonn. Überforderungsästhetik wird jedoch mit toller Musik begleitet.

Die Vorstellung beginnt, und es fängt gleich an zu regnen im Schauspielhaus. Ein berühmtes musikalisches Motiv begleitet den theatralen Niederschlag. Ray Manzarek, Organist der US-Band The Doors, eröffnet mit seinem Fender-Rhodes-Piano den elegisch-düsteren Song „Riders On The Storm“.

Keine gute Laune

Am Ende des Theaterabends mit Musik „blut wie fluss“ von Armin Petras alias Fritz Kater im Schauspielhaus erklingt „Feeling Good“ von Nina Simone: „It’s a new dawn / It’s a new day / It’s a new life for me, yeah.“ Die Menschheit verschwindet Nach gut 130 Minuten (keine Pause) sind wir im Parkett allerdings nicht ganz so überzeugt, dass Anlass zu guter Laune und Vorfreude auf einen neuen Tag, auf ein neues Leben besteht.

Christian Czeremnych als Biologiestudent Yussuf hat vor „Feeling Good“ in einem anschaulichen Monolog dargelegt, wie die Welt einmal aussehen wird – nach dem Ende und Verschwinden der Menschheit. Das im Auftrag des Theaters entstandene Stück verfolgt eine ehrgeizige Agenda: „blut wie fluss beschäftigt sich mit den großen Fragen der Zeit und blickt darauf, wie wir Menschen diesen begegnen – zum Beispiel der Klimakatastrophe, die unser aller Gegenwart und Zukunft bedroht.“

Um dieses XXL-Tableau zu füllen, feuert Autor und Regisseur Fritz Kater Theatersplitter ab, entwickelt szenische Miniaturen, in denen das Leben vieler Figuren beleuchtet wird, die sieben Todsünden aufgerufen und Episoden aus der in Bonn verorteten Geschichte der Bundesrepublik (Affäre Günter Guillaume, Ostverträge) rekonstruiert werden. Immer wieder ist Willy Brandts sonore Stimme („Mehr Demokratie wagen“) zu hören. Er ist der Held dieser Theaterarbeit.

Rhein als Schicksalsfluss

Wilhelm Eilers verkörpert ihn mit strengem Anzug und Zigarette. Vor Tom Muschs abstrakter Bühne mit flexiblem Podest fließt der Rhein, unser Schicksalsfluss. Katers Inszenierung ist nahe am Wasser gebaut. 1993, viele werden sich erinnern, ist der Schürmannbau in Bonn abgesoffen. In der ersten Szene lernen wir den Wasserbauingenieur Lennart (Eilers) und seine Tochter Milena (Annika Schilling) kennen.

Lennart verpasst die Katastrophe, da er gerade Sex mit Brandts Sekretärin Frösi (Ursula Grossenbacher) hat. Grossenbacher sehen wir im Universitätsklinikum Bonn als Schwester Domenica wieder. Lennart wartet dort auf ein Spenderherz. Milena will die Sache mit viel Geld beschleunigen und setzt die Großmutter (wieder Grossenbacher) der sterbenden Marta (Sandrine Zenner) unter Druck.

Zwei Menschen, Zenner und Daniel Stock, begegnen sich 1946 im winterlichen Rheinland und kehren als Marta und Terodde in der Hitze von 2015 wieder. Guillaume (Stock) und sein Sohn Pierre (Czeremnych) illustrieren eine auf Lügen aufgebaute Beziehung. Der DDR-Spion kommuniziert in einer lustigen Szene mit der Zentrale in Ost-Berlin; er funkt gleichsam aus dem kleinen, abgespreizten Finger.

Es geht munter durcheinander: mit permanenten Zeitsprüngen und Rollenwechseln. Und toller Musik: The Doors (natürlich auch „The End“), Steppenwolf („Born To Be Wild“) und Massive Attack. Der Platz reicht nicht, um das Personen- und Handlungsnetzwerk in all seinen Verästelungen zu erfassen.

Erklärungen zum Stück

Deshalb wohl hat der Regisseur eine Spielleiterin (elegant, eloquent und am Ende wunderbar überfordert und frustriert: Lena Geyer) erfunden, die das Ganze mit Erklärungen und Direktiven begleitet. Es bleibt dennoch Überforderungstheater. Es lässt dem Publikum immerhin die Freiheit, bei mäandernden Bewusstseinsströmen auszusteigen (zum Beispiel Eilers im OP-Hemd über den Minotaurus-Mythos) und die Aufmerksamkeit beglückenderen schauspielerischen Momenten zu schenken. Stock als nicht gerade erfolgsverwöhnter Autor Terodde entwickelt komisch-melancholisches Potenzial.

Als Frau von Franz Josef Strauß ist er umwerfend und bayerisch markant. Alle Darsteller haben immer wieder kurze, anspruchsvolle Augenblicke. Aber wie so häufig dürfen sie nur wenig von dem abrufen, was sie können. Oft sagen sie wie bei einer Lesung aus einem Buch auf, was sie eigentlich zeigen müssten: Berichterstatter-Fron statt Schauspieler-Kunst. Immerhin verabreicht der Abend chorisches Sprechen und Projektionen in barmherzig kalkulierter Dosis.

Wieder: 6., 14., 22., 26. und 30. April; 4., 12. und 30. Mai. Karten gibt es bei Bonnticket, Tel: 0228/ 77 80 08.

Auf einen Blick

Das Stück: Ein Mixtum compositum aus Persönlichem, Politischem und Gegenwartsphilosophischem.

Die Inszenierung: Angestrengt und anstrengend. Überforderungsästhetik mit toller Musik.

Die Schauspieler: Was ihre Kernkompetenz angeht, auf Diät gesetzt. Aber bewundernswert engagiert. (dk)