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Regisseurin zur neuen Doku„Alice Schwarzer findet immer die richtigen Worte“

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ALICE_SCHWARZER_3_(c)DerflingerFilm_mizzistock

Bei der Redaktionskonferenz der „Emma“: Alice Schwarzer. 

Köln – Am 3. Dezember wird Alice Schwarzer 80 Jahre alt. Vorab hat die österreichische Regisseurin Sabine Derflinger eine Dokumentation über sie gedreht. Jan Sting sprach mit ihr über den neuen Film.

Ihr Film nimmt mit einem TV-Duell aus den 70er Jahren gleich an Fahrt auf. Alice Schwarzer wirft Esther Vilar, Autorin des „Dressierten Manns“, vor, den Männern nach dem Maul zu reden. War das ein Wendepunkt für ihre feministische Botschaft?

Das war der Auslöser, dass Alice Schwarzer ganz schnell bekannt wurde. Ich habe das als Kind angeschaut und festgestellt: Mama und Papa waren anderer Meinung zu diesem Thema. Geschnitten habe ich den Film mit einer sehr jungen Editorin, Lisa Zoe Geretschläger. Für sie war auch gleich klar, dass wir das an den Anfang stellen werden.

Sie haben Alice Schwarzer fast ein Jahr mit der Kamera begleitet. Was ist in ihrem Resümee besonders hervorstechend?

Ihre unbändige Energie. Ich würde mich selbst nicht als energielos bezeichnen. Aber wenn ich gesagt habe, dass wir einmal eine Pause machen müssen, hat sie schnell noch etwas auf einer ihrer vielen Schreibmaschinen, die sich ja noch hat, getippt. Dann diese unfassbare Neugierde, die nicht zu stoppen ist. Und sie ist so im Privaten auch sehr lustig und liebevoll. Mich hat wirklich beeindruckt, dass jemand ganz lange über ein Thema reden kann und immer die richtigen Worte findet. Und ich finde, dass sie ungemein mutig ist, egal was um sie herum geredet wird. Auch wenn es unangenehm ist, sie beschimpft wird, ist sie einfach sehr zielstrebig.

Porträt einer streitbaren Journalistin

Die deutsche Premiere feiert Sabine Derflingers (Foto) Dokumentarfilm „Alice Schwarzer“ am 15. September, 19 Uhr, im Odeon Kino. Die österreichische Regisseurin und Filmproduzentin hat Archivmaterial aus 50 Jahren bearbeitet, Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter befragt oder im Gespräch mit Alice Schwarzer gefilmt. Das lebendige Porträt einer streitbaren Journalistin ist gleichsam ein Zeitdokument über die Geschichte der zweiten Frauenbewegung. Nicht aufgegriffen werden Schwarzers mitunter polemischen Positionen zu Transidentität. Der offene Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz fällt in die Zeit nach den Dreharbeiten. (jan)

Welcher jungen Frau trauen sie heute solche Qualitäten zu?

Schwierig ... Eine solche Einzelkämpferin käme mir nicht unter. Aber schön, dass es jetzt mehrere Frauen gemeinsam sein können, die Dinge bewegen wollen. Ich glaube aber, wir sind in einer Art Zwischenphase, in so einer großen Aufregung. Die Diskurse sind so, dass man nicht mehr viel miteinander spricht. Aber ich glaube, es gibt eine neue Phase, in der es wieder weitergeht.

Wie sähe die aus?

Also die sozialen Medien, so toll ich sie finde, haben beschleunigt, dass man mit möglichst wenig Argumenten und vielen Schlagwörtern diskutiert. Mit weniger Breite. Das hat dann den Haken, dass man einfach nicht differenziert auf die Dinge schaut, sie genauer bespricht. Auch deswegen mache ich Filme, damit die Menschen sich im Kino treffen und begegnen. Das muss halt wieder kommen.

Treibt Sie auch die Sorge um, dass Errungenschaften der Frauenbewegung wieder verloren gehen?

Bei allem. Vor allem beim Recht auf Abtreibung. Oder wenn man die Situation der Frau in Afghanistan oder dem Iran sieht. In meiner Kino-Dokumentation sieht man, wie sie damals noch für ihre Rechte auf die Straße gingen. Nun wurden sie dieser Rechte wieder beraubt. Heute kräht kein Hahn in Europa danach – aus lauter Angst vor kolonialer Einmischung. Immer wenn Religionen, ob katholisch oder muslimisch, sich mit Radikalität verbinden, sind es zuerst die Rechte der Frauen, die fallen. Mir ist es auch mit diesem Film wichtig, junge Männer und Frauen zu sensibilisieren, genau hinzuschauen. Es ist zwar viel in Sachen Gleichberechtigung passiert, aber was die Frauen und ihren Körper betrifft wird es immer wieder gefährlich, dass man sie ausgrenzt, ihnen Macht entzieht.

Welche Pflöcke hat Alice Schwarzer gesetzt?

Ganz wichtig für die Frauenbewegung ist ihr Buch „Der kleine Unterschied“ – dass überhaupt einmal benannt wurde, was stattfindet. Dass sie in ihrer Zeit die Geschichten von Frauen und ihrer Sexualität in Umlauf gebracht hat. Damit hat sie weltweit bewegt – zu einer Zeit, als es noch keine Familienrechtsreform gab und die Frauen keine Rechte hatten. Ihr Einsatz für das Recht auf Abtreibung, gegen Prostitution, alles was die Selbstbestimmung angeht. Sie hat den Feminismus in den Mainstream gebracht. Ich finde, ihr großes Verdienst ist es, dass sie immer den Finger in die Wunde legt und die Frauensache aus ihrem Blickwinkel als Hauptsache anschaut.

Behind_the_scenes_ALICE_SCHWARZER_(c)Bettina_Flitner

Alice Schwarzer und Elisabeth Pfefferkorn bei den Dreharbeiten zum Dokumentarfilm

Sieht man Alice Schwarzer in den früheren Talkshows, nimmt sie kein Blatt vor dem Mund. Die Freude an der Kontroverse ist spürbar, es gibt keine Angst vor dem Tabubruch. In Ihrer Kinodokumentation ist aber immer wieder auch von der heutigen Political Correctness die Rede. Wie geht sie damit um?

Einschließlich der Vorbereitung und der Zeit des Schnitts habe ich gut drei Jahre mit ihr gearbeitet. Und es gab zu verschiedenen Themen immer eine wahnsinnige Aufregung, beim Islamismus, bei der Prostitution. Als der Film abgeschlossen war, gab es die Aufregung über ihren offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz. Die Reaktionen waren immer heftig. Aber wenn eine Zeit vergeht, es sich etwas beruhigt, weiß man, dass man diese Diskurse natürlich führen muss.

Ist sie dünnhäutiger geworden?

Für mich ist es ein Phänomen, wie sie das alles aushält, diese Konfrontation, diese Angriffe, die so persönlich und seltsam sind. Im Journalismus wird natürlich provoziert und ausgeteilt. Trotzdem kann ich die Reaktionen auf Alice immer noch nicht nachvollziehen. Warum das in Deutschland so weit geht und so extrem. In Österreich und der Schweiz habe ich die Reaktionen auf sie nicht so scharf erlebt. Mir bleibt das ein Rätsel.

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Der Film ist eine österreichische Produktion, wie kam das?

Ich habe einen Film über die österreichische Frauenpolitikerin Johanna Dohnal gedreht und Alice Schwarzer über ein Interview kennengelernt. So kam die Idee über eine Doku zustande.

Was hat sie an Alice Schwarzer überrascht?

Es ist lustig, wie sie immer als erstes die Tische herumrückt, ob bei einer Lesung oder einer Talkshow. Sie scheut sich nicht, die Dinge zu verändern. Und sie kocht gut und gerne, ist ein super Genussmensch, kann sich an Kleinigkeiten freuen. Von ihr kann man ungemein viel lernen.