RJM-Direktorin im Interview„Ich will die Vielfalt der Stadt noch besser spiegeln“
Köln – Seit Januar 2019 ist Nanette Snoep Direktorin des Rautenstrauch-Joest-Museums in Köln. Seitdem initiierte sie viel beachtete Ausstellungen und engagierte sich bei der Restitution der Benin-Bronzen. Mit Axel Hill spricht sie auch über Probleme, denen sie sich stellen muss.
In der nächsten Sonderausstellung wird es ab November um Liebe gehen!
Das wird eine schöne Ausstellung, in der wir das Konzept von Liebe hinterfragen. Aber auch: Wo finden wir Liebe in unserer Sammlung, wie haben Ethnologen gesammelt? Was bedeutete Männlichkeit und Sammeln im 19. Jahrhundert? Was bedeutet Liebe für Minderheiten? Was ist das dritte Geschlecht? Und es wird wieder eine Ausstellung, bei wir in einer Art open space mit anderen ins Gespräch kommen können.
Sie haben Halbzeit in Ihrem Vertrag. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Ich glaube, man unterschätzt, was für einen unglaublich großen Einfluss mehr als zwei Jahre Corona hatten: auf das Museum, auf mich, auf uns alle. Ich mache mir natürlich Sorgen, wie es in den kommenden Monaten weitergeht, wenn es im Herbst und Winter wieder mehr Infizierte und damit möglicherweise neue Einschränkungen gibt. Es ist sehr schwierig, in einer solchen Situation langfristige Strategien zu verfolgen. Unsere Ausstellung „Resist!“ haben wir fünfmal verschieben müssen. Und da geht es nicht nur um das Eröffnungsdatum, sondern um das Begleitprogramm, um die Kuratoren, die wieder abreisen mussten...
...oder gar nicht erst anreisen konnten!
Genau. Wir mussten unheimlich viel Energie aufwenden – auch für Hygienemaßnahmen, ich habe das Wort „Spuckschutzwände“ gelernt. Gefühlsmäßig würde ich also sagen, ich habe Corona bedingt nach der Hälfte meiner Vertragslaufzeit noch zwei Drittel zu tun. Ich hoffe, dass ich das Museum in den drei Jahren, die ich hier auf jeden Fall noch wirken darf, gut hinterlassen kann. Dass ich schaffe, wofür ich eingeladen wurde: das Haus noch mehr zu öffnen und noch lebendiger zu machen. Ich möchte erreichen, dass die Vielfalt der Stadt noch besser hier gespiegelt wird – im Programm, aber auch in unseren Strukturen. Mein Ziel ist, dass das in drei Jahren noch viel mehr spürbar sein wird.
Sie haben gerade die Formulierung „gut hinterlassen“ benutzt. Heißt das, Sie würden nicht verlängern wollen?
Natürlich würde ich wollen, aber das entscheiden andere. Es ist aber gut, auf einen festen Termin hinarbeiten und sagen zu können, bis 2025 will ich das und das erreicht haben.
Sie haben häufiger gesagt, dass Sie die Türen des Museums öffnen wollen. Müsste das nicht in letzter Konsequenz auch für die Tür der Direktorin gelten? Also dass das Haus von einem Team aus dem Globalen Süden geführt wird?
Ja, unbedingt! Das wird die Zukunft sein: idealerweise von einer Co-Direktion und einem Beirat – aus dem Globalen Süden, von Nachfahren, von der Diaspora. Meine Vorstellung ist, dass man die hierarchische Struktur mit einer Direktorin, einem Direktor, der alles entscheidet, abschafft. Ich würde das gerne schon auf kleinerer Ebene hier im RJM einführen, mit einem aktiven Beirat von Menschen aus der Stadtgesellschaft.
Ihr Vorgänger Klaus Schneider hatte im Interview mit dieser Zeitung kritisiert, dass seiner Meinung nach die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Haus „ausgebremst“ würden.
Ich finde diesen Vorwurf sehr schade und nicht nachvollziehbar. Es gibt viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die hier sehr erfolgreich arbeiten und deren Arbeit ich enorm wertschätze und unterstütze. Um einige Beispiele zu nennen: Dr. Clara Himmelheber hat die Forschungsausstellung „Geschenkt“ gemacht. Oder „Invisible Inventories“ mit dem National Museum in Nairobi, Kenia, eine Datenbank – ein nachhaltiges Projekt, denn es wird weitergeführt. Dr. Annabelle Springer hat mit der Ausstellung „Ainu. Eine Seele in Allem“ eine Kooperation mit dem National Museum in Hokkaido geknüpft. Jetzt arbeitet sie an einem neuen Projekt „Sacred Spaces“, eine Reihe von kleinen Interventionen in der Dauerausstellung. Dr. Anne Slenczka kuratiert die „LOVE?“-Ausstellung – zusammen mit 2 Gastkuratoren, von denen einer aus Kolumbien stammt. Und ich finde diesen Gegensatz zwischen Ethnologen auf der einen und Künstlern und Aktivisten auf der anderen Seite nicht richtig.
Der Personalrat
Im Gespräch mit der Kölnischen Rundschau äußert sich auch der Personalsrats-Vorsitzende Roland Fernstaedt zur laufenden Mediation: „Es ist ganz wichtig, dass beide an der Mediation beteiligte Seiten mitarbeiten. Ich bin mir sehr sicher, dass sowohl von Seiten der Museumsleitung als auch von den Beschäftigten in allen Phasen immer den Willen gab, miteinander zu sprechen.“
Und er macht klar: „Es war mutig von den Mitarbeitenden, sich zu solidarisieren. Man muss aber auch sagen, dass Frau Snoep ebenso mutig war, sich in dieses Feld hineinzubegeben, sich diesen Angriffen zu stellen.“ Sein Fazit: „Der Prozess hätte viel früher beginnen müssen, ich glaube aber nicht, dass er zu spät aufgenommen wurde.“ (HLL)
Ethnologinnen und Ethnologen stehen nicht mehr allein im Fokus des Hauses?
Wir vertreten als Institution nicht ausschließlich die Ethnologie – beispielsweise auch Globalgeschichte, Kolonialgeschichte, Kunstgeschichte, Philosophie. Am RJM wurde immer schon interdisziplinär gedacht und gearbeitet. Bei den Ausstellungen meiner Vorgängerinnen haben auch Historiker, Kunsthistoriker oder Philosophen mitgearbeitet. Das Museum hat diese kulturhistorische Tradition. Das ist seine Marke.
Corona hat den Ausstellungsbetrieb eingeschränkt. Wie hat sich die Pandemie auf die interne Arbeit ausgewirkt?
Die Zusammenarbeit im Team ist viel schwieriger, wenn man sich gar nicht oder kaum noch persönlich begegnet, sondern fast alles online stattfinden muss. Ich bin kein Mensch, der gut damit zurechtkommt, dass Gespräche nur digital möglich sind. Ich vermisse das zufällige Treffen auf dem Flur. So entsteht auch Vertrauen. Und gerade die ethnologischen Museen sind unheimlich betroffen von all den Diskussionen, die es gerade gibt, denn wir verkörpern den gesellschaftlichen Wandel. Darüber möchte ich mich intensiv im Team austauschen können – hoffentlich endlich wieder öfter am Besprechungstisch und nicht nur online.
Wir sind auch dabei, neue Organisationsstrukturen zu entwickeln. Die bisherigen Strukturen sind nicht dafür gemacht, dass man schnell agieren kann. Diese Bürokratisierung kultureller Institutionen macht das Leben sehr schwierig.
Im März 2021 haben sich 18 von damals 24 festangestellten Mitarbeitenden in einem Brief, der dieser Zeitung vorliegt, an Sie gewandt. Darin bringen sie Probleme mit Ihnen zur Sprache, für viele werde der Gang ins Museum „immer lähmender“, einige hätten „Angst ihre Meinung zu äußern“, weitere „haben das Gefühl, kaum (mehr) wahrgenommen zu werden“. Dabei zeigen sich die Verfasser aber offen „für einen gemeinsamen Weg“. Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie diesen Brief gelesen haben? Kam er überraschend?
Mir ist wichtig, dass alle in meinem Team sich wertgeschätzt fühlen und dass der Umgang offen und vertrauensvoll ist. Ich bedaure, dass das offensichtlich nicht jede und jeder so empfunden hat.
Ich habe diese Kritik sehr ernst genommen. All die Debatten draußen beschäftigen uns auch hier: Rassismus, Diversität, die ganzen Verschiebungen in unserer Gesellschaft. Das kann dazu führen, dass Mitarbeitende sich unsicher fühlen. Und das habe ich wahrgenommen.
Zudem gibt es in unserer Struktur bestimmt Dinge, die besser funktionieren müssen. Wir arbeiten gemeinsam daran und veranstalten seit Anfang 2022 Mitarbeiter-Workshops. Die will ich auf jeden Fall weiterführen, um ständig miteinander ins Gespräch zu kommen und im Gespräch zu bleiben. Das ist in jedem Betrieb wichtig, wenn so viel im Wandel ist, wie gerade in den Museen und eben auch im RJM.
Aber unterschrieben haben 18 von 24 Festangestellten.
Zu meinem Team gehören aktuell 36 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich finde es schade, dass diejenigen, die nicht festangestellt sind, aber ebenso wertvolle mehrjährige Projektarbeit in unterschiedlichen Bereichen des Museums leisten, in der Diskussion um diesen Brief nicht berücksichtigt werden. Wichtig ist mir, dass alle, die hier arbeiten – ob festangestellt oder befristet – gerne hier arbeiten. Noch einmal: Ich möchte eine Arbeitsatmosphäre schaffen, in der sich jeder und jede hier wertgeschätzt fühlt.