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Regisseur Bernd Mottl im Interview„Auch Köln wartet auf eine milliardenschwere Witwe“

Lesezeit 6 Minuten
Regisseur Bernd Mottl über Die Lustige Witwe.

Regisseur Bernd Mottl über Die Lustige Witwe.

Regisseur Bernd Mottl im Gespräch über Komponist Franz Lehár und sein erfolgreiches Bühnenwerk in Zeiten diverser Krisen.

Sonntagabend ist Premiere der „Lustigen Witwe“ im Staatenhaus. Die Operette war immer schon ein Kassenschlager und spielt in einem bankrotten Fantasiestaat. Jan Sting sprach mit Bernd Mottl über das Stück und seine Parallelen zu Köln.

Setzen sich Ohrwürmer wie „Lippen schweigen“ oder „Das Studium der Weiber“ bei Ihnen gerade fest?

Das wird man nicht los. Deshalb ist diese Musik ja weltberühmt. Und das geht übrigens allen Beteiligten so – gerade nachts, wenn man denkt, jetzt ist mal Sendepause. (lacht). Krass! Wochenlang und jeden Tag höre ich gerade nichts anderes.

Die Lustige Witwe ist seit über hundert Jahren ein Dauerbrenner. Anfangs war sie revolutionär. Wie macht man sie zeitgemäß? Da besteht der erste Schritt darin, solche Stücke und ihre Charaktere ernst zu nehmen und von den Klischees zu befreien, die sich im Laufe der Zeit eingenistet haben. Zum Beispiel dass häufig geglaubt wird, das Stück müsste wienerischen Slang transportieren. Aber es hat ja mit Wien rein gar nichts zu tun, außer dass die Uraufführung dort war. Genauso wenig machen Fräcke Sinn, denn das Land Pontevedro, um das es geht, ist bettelarm.

Was ist die Witwe, Hanna Glawari, für eine Frau?

Als sie noch arm war wurde sie von ihrem Geliebten Danilo zurückgewiesen. Der Vorwurf seines Onkels stand im Raum, sie wolle nur ans Familiengeld ran. Das hat Hanna schwer verletzt. Inzwischen haben sich die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Hanna heiratete einen älteren Bankier und ist durch dessen Tod milliardenschwer geworden. Jetzt hat sie das Problem, dass alle, die ihr zu Füssen fallen vermeintlich nur an ihr Geld wollen. Danilo, der inzwischen verarmt ist, kann nur schwer noch glaubhaft machen, dass er an ihr als Person interessiert ist. Aber sie fordert von ihm diesen ersten Schritt. Es ist ein bisschen wie bei der reichsten Frau Deutschlands, Susanne Klatten, die auch schmerzhaft lernen musste, dass Geld und Liebe sich schwer miteinander vertragen.

Auch dass sich die Rollen umdrehen. Sie war eine arme Kirchenmaus und auf einmal ist sie ihm weit überlegen …

Hanna nimmt quasi den männlichen Part ein: Sie fordert, er ziert sich. Das war ein ziemlicher Bruch mit der Operettentradition, wo vorher Standesunterschiede, Wien und der Wein Themen waren. Es begann eine neue Ära, die Zeit von Siegmund Freud. Die Konflikte liegen nun innen, in den Figuren. Und die Krise besteht darin, dass er nicht über die Lippen bringt, wie vernarrt er ist, keine adäquaten Worte dafür findet. Diese Vorgeschichte ist eine Belastung für die beiden. Sich aus dem angestauten Schweigen herauszuschälen, davon erzählt das Stück.

Anton Mayer schrieb ein Buch über Franz Lehár mit dem Untertitel vom „Ernst der leichten Muse“. Also nichts mit Frieden, Freude, Eierkuchen?

Auch das ist ja ein Klischee, es ginge in Operetten darum, lustig und albern zu sein. Dabei ist die Grundlage gerade hier eine Rache-Geschichte, ähnlich übrigens dem „Besuch der alten Dame“ von Dürrenmatt. Komik entsteht ja erst durch diese Fallhöhe. In der Musik gibt es genauso Momente voller Pathos und großer Tiefe, opernhaft geradezu. Die Partitur ist voller Herzblut, manchmal auch reiner Kitsch — herrlich! Unterhaltsam und leicht soll der Abend werden, aber das bedeutet nicht, dass alles Blödsinn ist.

Im Fantasiestaat Pontevedro droht der Staatsbankrott. Alles erinnert stark an Montenegro. Damals gab es richtig Ärger in Italien bei der Uraufführung.

Es ging damals wie heute um ein hoch verschuldetes Land am Abgrund. Die letzte Rettung ist nur möglich, indem Hanna ihr Vermögen im eigenen Staat anlegt und nicht durch eine Heirat in Paris nach Frankreich ausführt. Deshalb ist es eben auch von politischer Bedeutung, dass das Verhältnis mit dem Pontevedriner Danilo wieder angekurbelt wird und zu einer Heirat führt. Die Rede war zwar von Pontevedro, aber jeder erkannte damals die Anspielung. Unter den Montenegrinern, die mit der italienischen Regierung durch ihr Fürstenhaus verknüpft waren, gab es Animositäten, sie sagten, dass man das nicht machen kann, das sei eine Beleidigung. Es war eigentlich eine Metapher für Wien und spielte an auf lokale fatale wirtschaftliche Entscheidungen. Und so liegen auch die Parallelen zu hier heute jetzt auf der Hand.

Gibt es da womöglich Parallelen zu Köln?

(Lacht) Auch Köln wartet auf eine milliardenschwere Witwe. Wenn ich durch die Stadt gehe, muss ich nicht lang suchen: Die Baustellen, der ÖPNV, die Verschuldung, die Vergleichbarkeit liegt auf der Hand. Im Stück geht es außerdem darum, die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen. Es gibt eben auch die Franzosen, die an dem Erbe interessiert sind – das Stück spielt ja in Paris. Lehár hat das musikalisch interessant verarbeitet. Es gibt für beides schöne Beispiele: die balkanartige Tamburizza-Kapelle und eben den französischen Walzer, wie ein Wettrenen: Wo bleibt der Zaster, bei wem landet er?

Ist auch das Botschaftsgebäude mit Köln vergleichbar?

Nun, das Opernhaus sehe ich auch als eine Art Botschaft der Kultur, in marodestem Zustand. Seit Jahrzehnten. Von außen denkt man ja manchmal, es geht voran. Aber innen ist noch alles voller Kabelage. An den Balkonen sieht man deutlich Rost. Zuweilen denke ich, da ist noch gar keiner dran gewesen. Das tut einem Opernliebhaber ziemlich weh.

Sie werden keinen in den Frack stecken, wie wird das Bühnenbild aussehen?

Wir nehmen die Krise von Pontevedro ernst und wollen zunächst zeigen, wie es in der Botschaft in den letzten Jahren ohne so eine milliardenschwere Geldgeberin ausgesehen hat. Insofern ist die Ästhetik auch daran angelehnt, wie ein solches osteuropäisches Land heute aussehen könnte.

Der Moderator Ralph Morgenstern ist dabei…

Ja, er ist der Njegusch, der Strippenzieher. Das passt toll zu ihm, er macht das mit viel Charme. Muss er auch singen? Ja, wir haben ein Couplet reingenommen, das Lehár für den Broadway komponiert hat. Njegusch besingt Paris. In Deutschland ist das nicht bekannt, in Italien warten sie geradezu besonders darauf. Wir flechten das hier ein. Ansonsten ist Elissa Huber die absolute Traumbesetzung für die herausfordernde Rolle der Witwe, weil sie das notwendige Gesamtpaket mitbringt, sängerisch, darstellerisch und tänzerisch. Auch darauf kann man sich freuen.

Begriffe wie „blonde Frauen“, „Mädchen“ oder „Weiber“ könnten manchem heute nicht mehr gefallen…

Solche durchaus irritierende Stellen kommentieren wir, aber wir stellen das Stück nicht auf den Kopf. Ich habe auch die Texte in den Nummern nicht verändert, in den Dialogen habe ich zart eingegriffen, um die schlimmsten Fauxpas zu vermeiden. Aber zum Beispiel die Bezeichnung „Weiber“ kommt auch aus männlicher gekränkter Eitelkeit. Und wenn man die zeigt, setzt man das Ganze noch einmal in Anführungszeichen. Ich glaube, wir haben eine Choreografie gefunden, die erzählt, wie hilflos diese Männer letztlich sind.


Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ ist eine Operette in drei Akten. Das Libretto stammt von Victor Léon und Leo Stein nach Henri Meilhacs Lustspiel L'attaché d'ambassade von 1861. Die Uraufführung fand unter der Leitung des Komponisten am 30. Dezember 1905 am Theater an der Wien in Wien statt. Es ist Lehárs erfolgreichste und bekannteste Operette. Zwischen 1905 und 1948, dem Todesjahr des Komponisten, wurde sie weltweit über 300.000 Mal aufgeführt und mehrfach verfilmt. Im Staatenhaus ist Sonntag, 18 Uhr, Premiere. Regisseur Bernd Mottl inszenierte hier bereits „Die Csárdásfürstin“. Das Gürzenich-Orchester spielt unter musikalischer Leitung von Andrea Sanguineti.