AboAbonnieren

Oper in BonnPremiere von Verdis „Rigoletto“ erntet Jubel und Buh-Rufe

Lesezeit 4 Minuten
Anastasiya Taratorkinal als Gilda, Giorgos Kanaris als Rigoletto.

Ein stimmliches Ereignis: Anastasiya Taratorkinal als Gilda, Giorgos Kanaris als Rigoletto.

„Rigoletto“ ist eine Oper der Zuspitzungen. Das zeigt die Bonner Neuinszenierung auf ziemlich schonungslose Art.

Mit der Torte, die der Herzog von Mantua der von seinen Höflingen gerade entführten Gilda ins Gesicht klatscht, ist für einige Zuschauer bei der Bonner Premiere von Giuseppe Verdis Oper „Rigoletto“ das Maß voll. Sie quittieren die öffentliche Demütigung, die das unschuldige Opfer vor den Augen der Höflinge erfährt, mit einigen empörten Buhs. Dabei hat Regisseur Jürgen R. Weber in seiner Inszenierung eigentlich nur den wahren Charakter des Herzogs offenbart, das monologisierende Liebesgesäusel nach der ersten Begegnung mit Gilda, der Tochter seines buckligen Hofnarren Rigoletto, in der Arie zuvor als das entlarvt, was es ist: eine Lüge.

Denn in der musikdramatischen Adaption von Victor Hugos Drama „Le roi s'amuse“ durch Verdi und seinen Librettisten Francesco Maria Piave wird der Herzog kurz nach dem gefühlvollen Monolog Gilda entehren. Nicht wenige Interpreten deuten die sich hinter verschlossenen Türen abspielende Szene als Vergewaltigung.

„Rigoletto“ ist eine Oper der Zuspitzungen. Das zeigt die Bonner Neuinszenierung auf ziemlich schonungslose Art. Der Herzog trägt unterm Gehrock ein T-Shirt mit dem Totenkopfsymbol des „Punisher“ aus dem Marvel-Universum. In Webers Inszenierung stolziert er als rücksichtslos hedonistischer Popstar durch die Geschichte, für den die Frauen im besten Falle Groupies und immer Wegwerfware sind.

Er lässt sie an Körper und Seele zerstört zurück, die geschändete Tochter des Grafen Monterone, dessen Fluch auf den Herzog und seinen zynisch mitspielenden Hofnarren zum Auslöser der Tragödie wird, sitzt gleichsam als omnipräsentes Mahnmal mit einer blutigen Baby-Puppe im Arm im Rollstuhl.

Rigoletto ist zwar lange treuer Komplize seines Brotherrn, seine Loyalität reicht aber dann doch nur bis zur Schwelle seines eigenen Hauses, wo er seine Tochter vor den triebhaften Gelüsten des Herzogs schützen möchte.

Nicht jeder Einfall überzeugt

Hank Irwin Kittels Bühne, die aus beweglichen Paravants, übergroßen Bilderrahmen und wirkungsvoll eingesetzten Videoprojektionen (Gretchen Fan Weber) immer wieder verblüffend neue Räume kreiert, macht das überzeugend klar. Ihr kleines Reich ist einem Vogelkäfig nachgebildet. Krücken zeigen sie als zerbrechliches, extrem schutzbedürftiges Wesen. In Gegenwart seiner Tochter wird der Spaßmacher Rigoletto, der sonst die Opfer seines Herrn zynisch verhöhnt, zum fühlenden Menschen. Schon seine altertümliche Kleidung verrät, dass er eigentlich einer anderen Welt mit ganz anderen Werten angehört als der Herzog.

Nicht alles überzeugt in der insgesamt gelungenen Inszenierung. Zum Beispiel der Einfall, dass Rigoletto in seiner racheerfüllten Wut auf den Herzog einen Kameramann stranguliert, der offenbar im Auftrag des Herzogs filmt. Oder dass der von Rigoletto gedungene Berufsmörder Sparafucile und dessen Schwester Maddalena wie siamesische Zwillinge zusammengebunden sind, was szenisch zu einigen Ungereimtheiten führen muss.


Auf einen Blick

Das Stück:  Verdi selbst hielt den 1851 in Venedig uraufgeführten „Rigoletto“ für eines seiner gelungensten Werke. Die Inszenierung: Jürgen R. Weber begegnet Verdis radikalem Stück mit radikalen Bildern. Die Musik: Tolle Gesangssolisten treffen auf ein tolles Beethoven Orchester. (ht)


Dennoch ist gerade die ausgedehnte Gewitterszene am Haus des Mörders packend und bühnentechnisch brillant und wunderbar synchron zur Musik gelöst. Sie bereitet eine der grausamsten Schlusspointen der Operngeschichte eindrucksvoll vor, wenn aus Rigolettos Genugtuung über die vermeintlich vollendete Rache an dem Herzog, dessen Leiche er vor sich in einem Sack wähnt, der schlimmste Schmerz wird. Als er aus der Ferne den Herzog das berühmte Lied „La donna è mobile“ singen hört, öffnet er Unheil ahnend den Sack und erblickt seine sterbende Tochter, die – trotz allem – ihr Leben für den Herzog geopfert hat.

Überzeugende Künster auf der Bühne

Die junge Sopranistin Anastasiya Taratorkina ist als Gilda ein Ereignis. Ihre Stimme leuchtet und strahlt, klingt selbst in den höchsten Höhen nie schrill. Und in den leisen Episoden berührt jede Phrase, jeder Ton. Eine Wucht ist auch Ensemblemitglied Giorgos Kanaris in seinem Rollendebüt als Rigoletto. Er bringt stimmlich und darstellerisch den Facettenreichtum dieser komplexen Partie packend auf die Bühne.

Wut und Zärtlichkeit, Verzweiflung, Liebe, Trauer — keine Regung, die Kanaris mit seinem souverän geführten Bariton nicht zum Leben erwecken würde. Als Herzog überzeugt Ioan Hotea mit lyrischer Tenorstimme, die aber auch für die Spitzentöne genügend Kraftreserven freisetzt. In den kleineren Partien überzeugen Martin Tzonev (Monterone), Soowon Haan (Ceprano), Mark Morouse (Marullo), Victor Campos Leal (Borsa), Ingrid Bartz (Giovanna) und vor allem Pavel Kudinov und Charlotte Quadt als sinistres Geschwisterpaar.

Der Herrenchor, den Ausstatter Kittel zum Teil in hübsche Kleider steckt, ist von Marco Medved großartig vorbereitet worden. Und das Beethoven Orchester produziert unter der zupackenden Leitung von Daniel Johannes Mayr einen Verdi-Klang der Extraklasse. Das federleicht Tänzerische der Partitur wird ebenso hörbar wie große Gefühle und dramatische Zuspitzungen. Begeisterter Applaus für die Musik, während sich Weber und sein Team für die Inszenierung auch lautstarke Buhs gefallen lassen mussten.

Wieder: 21., 25., 28.10.; 3., 10.11; 26., 30. 12.; 5., 12.20.1.2024; 3., 23., 25.2.; rund zweieinhalb Std. Karten und Infos: theater-bonn.de.