Die Oper Bonn bringt Arnold Schönbergs herausforderndes Opern-Oratorium „Moses und Aron“ auf die Bühne.
Opern-Premiere in Bonn„Moses und Aron“ als Psychodrama inszeniert
Arnold Schönbergs Opern-Oratorium „Moses und Aron“ gilt als Schlüsselwerk der Moderne (die konzertante Uraufführung war 1954 in Hamburg, 1957 die szenische in Zürich), hat aber bisher noch jedes Theaterhaus an seine Grenzen gebracht. Schon allein der 12-tönig kompromisslos durchstrukturierten Partitur wegen. Am Theater Bonn lässt das Beethoven Orchester unter GMD Dirk Kaftan hören, dass Musiker die Partitur inzwischen leidenschaftlich spielen.
Verzicht auf aktuelle Bezüge
Und Regisseur Lorenzo Fioroni zeigt, dass die Auseinandersetzung der biblischen Brüder mit dem unvorstellbaren Gott packende Musiktheaterszenen liefert. Verzicht auf aktuelle Bezüge Fragen, wie das Volk Israel wegen des Holocausts und des aktuellen Nahostkonflikts korrekt auf der Bühne gezeigt werden müsste, kommen erst gar nicht auf.
In Fioronis psychoanalytisch fokussierten Studie geht es um das Scheitern von Positionen. Aron (mit einem a geschrieben, weil der Titel sonst 13 Buchstaben hätte und Schönberg abergläubisch war) ist kompromissbereit und endet mit blutigem Messer in der Hand inmitten der berühmten Leichen im Keller, die in der Wüste natürlich auf dem Boden, sprich unter und über weißen Stühlen verteilt liegen.
Bis zuletzt verteidigt Moses kompromisslos die „Reinheit des Gedankens“, so Schönberg in seinem nach dem Alten Testament verfassten Libretto. Und für seine Mission muss Moses unter Fioroni teuer bezahlen. Am Rande des Wahnsinns foltert, verletzt, entblößt er sich, bis er geläutert mit dem Gesetz in seiner Brust zurückkehren darf.
Fioroni verweigert die Bebilderung der berühmten Goldenen-Kalb-Szene im zweiten Akt. Die erstaunlich orgiastische „Hollywoodeske“ Musik, wie Schönberg sie beschrieb, wobei wir mit Hollywood eine andere Musik in Verbindung bringen, wirkt geradezu verstörend.
Extrem körperlicher Einsatz
Noch mehr, wie dazu Dietrich Henschel unter extrem körperlichem Einsatz sich fast eine halbe Stunde in einer weißen Zelle (Bühne: Paul Zoller) abarbeitet. Dazu kommen noch archaisch-blutige Menschenopfer-Erzählungen aus dem Off, die weit drastischer sind als die in Strawinskys „Sacre“.
In der Lesart Fioronis treibt genau das Moses in den Wahnsinn. Großartig, wie Henschel den Sprechgesang stimmstark über zweieinhalb Stunden durchhält, ohne je zu singen.
Die belcantistisch Tenor-Partie des Aron ist mit Martin Koch (aus dem Kölner Opernensemble) ebenso hervorragend besetzt.
Der Chor gibt eine auch hörbar bedrohliche, weil meist im Forte agierende Masse, die Fioroni stets in Bewegung hält. Sie will Freiheit, heizt aber den Konflikt der Brüder immer wieder an.
In Unterwäsche in die Wüste
Gekleidet ist das Volk nach der Mode des 19. Jahrhunderts. Die Frauen in Tournürenkleidern, die Männer mit Zylinder und Gehrock, mit aufgetürmten Frisuren und Backenbärten (Kostüme: Sabine Blickenstorfer).
Vor dem Gang in die Wüste werden die Klamotten abgestreift. So wie die Gefangenschaft am Ende des 1. Aktes. Sie ziehen in Unterwäsche schlussendlich auch von der Bühne, denn was sie zukünftig kleiden soll, lässt Fioroni offen.
Eine großartige Leistung kommt an diesem Premierenabend vor allem aus dem Graben. Heutige Musiker haben offenkundig keine Probleme mehr mit dem expressiven Schönberg, der lange Zeit in Deutschland trocken dogmatisch klingen musste. Akkurat und perfekt setzt das Bonner Beethoven Orchester jeden Ton, gestaltet dabei aber auch höchst musikalisch.
Abschluss der Reihe „Fokus '33“
Diese Produktion ist ein überzeugender Abschluss in der vom Bonner Theater aufgelegten Reihe „Fokus '33“. In den letzten Jahren sind da so einige durch den Nationalsozialismus ausgegrenzte und vergessene Werke wiederentdeckt und aufgearbeitet worden.
Zu dieser Produktion gibt es begleitend noch eine Ausstellung im Foyer des Opernhauses, zu der das Schönberg-Center in Wien sowie das Theaterwissenschaftliche Institut Köln Bühnenbildmaterial und Infos beisteuern. Ein gelungener Auftakt also auch für das 150-Jahre-Schönberg-Jubiläum im nächsten Jahr!
105 Minuten, wieder am 13. und 29. 12., sowie 13.1, jeweils 19.30 Uhr, 17.12. und 7.1., jeweils 18 Uhr.