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Opern-Premiere in Köln„Elektra“ zeigt Seelenqualen in der Tiefgarage

Lesezeit 4 Minuten
In der Rolle der Elektra erntet Allison Oakes stürmischen Applaus.

In der Rolle der Elektra erntet Allison Oakes stürmischen Applaus.

Roland Schwabs Inszenierung von Richard Strauss' Oper beeindruckt das Publikum mit einer gelungenen Darstellung des Zorns und der Rache der Göttin Nemesis.

Ein rätselhaftes, züngelndes „N“ prangt auf der Brust der Protagonistin in Richard Strauss' Oper „Elektra“. Ist es womöglich ein auf die Seite gekipptes „Z“? Das Symbol der Unterstützung und russischen Staatspropaganda für den Angriffskrieg auf die Ukraine? Nein, Roland Schwab geht in seiner Inszenierung der Tragödie am Staatenhaus zurück in die Antike, zu Nemesis, für die der Buchstabe „N“ steht. Sie galt in der griechischen Mythologie als Göttin des gerechten Zorns und wurde damit zur Rachegottheit. Zorn und Rache erscheinen aber zeitlos, ebenso wie die Schnelligkeit und Energie, mit der sie entfacht werden. Ob in der Antike oder jetzt.

Facetten menschlicher Psyche

Elektra verkörpert das alles in einer Person, und wie Sopranistin Allison Oakes bis zum Schluss kämpferisch für die Rache am von der Mutter Klytämnestra und ihrem Liebhaber Aegisth nach seiner Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg gemeuchelten König Agamemnon streitet, ist Kraftakt und große Kunst zugleich. Sie ist es, die alle Facetten der menschlichen Psyche durchspielt, bis hin zur Erstarrung.

Diese überträgt sich auch auf das Publikum, das ohne Pause auf der Stuhlkante sitzt und mit frenetischem Applaus Solisten, Chor (Leitung Rustam Samedov) und Gürzenich-Orchester unter dem Dirigat von Felix Bender ausgiebig feiert.

Ein Fest ist es wirklich: Die Bühne verströmt zwar den Charme einer Tiefgarage, und die Aufblendlichter zu Anfang verursachen ein unangenehmes Flimmern auf der Netzhaut. Aber angenehm soll es eben auch nicht sein. Strauss gibt Elektra, ihrer nicht ganz so kämpferischen Schwester Chrysothemis (brillant: Sopranistin Astrid Kessler) und der bärbeißigen, aber angezählten Mutter Klytämnestra (mitreißend: Mezzosopranistin Lioba Braun) fast den gesamten Raum. Erst im letzten Drittel tritt der verstoßene Königssohn Orest (berührend: Bariton Insik Choi) auf, um den Vater nach 20 Jahren zu rächen.

Königliche Haltung

Zeit, in der Elektra als Magd unter Mägden das Machtspiel der Mutter aus nur vordergründig schwacher Position verfolgt. Ihre Stärke ist die königliche Haltung. Das Beil, mit dem Agamemnon erschlagen wurde, ist in ihrer Obhut, wartet auf seinen Einsatz. Den sieht auch Klytämnestra in Träumen vorher, von denen sie der klugen Tochter erzählt.

Schauspielerisch ist auch diese mit Vorsicht zu genießende Annäherung der beiden Kontrahentinnen ganz groß. Jede Gefühlsregung der herrischen Alten spiegeln ihre gefesselten Untergebenen, die sich schmerzerfüllt auf der Bühne winden. Klytämnestra geht am Stock, die Schleppe ihres kampfroten Kleids tragen emsige Mägde. Sind Mutter und Tochter unter sich, wendet sich aber das Blatt. Elektra tritt auf eben diese königliche Schleppe, woraufhin die Herrscherin nur noch Trippelschritte macht.

Elektra ist keine gebrochene Figur, steht der Mutter ebenbürtig gegenüber und zieht klug die Fäden. Das Gerücht von Orests Tod erfüllt seine Mutter mit Glück und auch der geckenhafte Aegisth (tänzelnd: Tenor Martin Koch) freut sich zu früh. Denn die Grundmelodie der Gerechtigkeit bricht nicht ab. Das Gürzenich-Orchester spielt das aufwühlend und virtuos.

Gefühlsachterbahn

„Elektra“ besitzt das größte Orchester unter allen Strauss-Opern. Ein Großaufgebot von Blech- und Holzbläsern, aber auch zwei Harfen und ein satter Streicherapparat versetzen in ein Karussell menschlicher Krisen und auf die Gefühlsachterbahn. Auch 115 Jahre nach der Uraufführung in Dresden entwickelt die Musik enorme Sogkraft. Unüberhörbar ist das Subtile der Tonsprache. 1909, also 19 Jahre nachdem Sigmund Freud die Psychoanalyse begründete, schuf Richard Strauss mit der Oper kontrastreich bis ins Atonale und Grelle hineingehend ein musikalisches Bild der griechischen Tragödie, das geradezu bis zu den Abgründen menschlicher Seelenlandschaften abgleitet.

Es fließt viel Blut, doch Elektras Triumph über die verhasste Mutter ist am Ende zur Gänze vergiftet, da ihre elementare Triebenergie sie zur gepanzerten Rächerin macht. Die Freude, gesiegt zu haben, vergällt. Es bleibt das Gefühl, dass die Vergeltung für einen Frieden keine gute Basis ist.

105 Minuten ohne Pause. Wieder am 11., 13., 19. 23., und 26. Oktober sowie am 1. und 3. November.