AboAbonnieren

Neues Album „Rough And Rowdy Ways“Bob Dylan findet zu seinem eigenen Ich zurück

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt

US-Singer-Songwriter Bob Dylan

  1. Bob Dylans meldet sich nach acht Jahren Pause mit eigenen Songs zurück.
  2. Bernhard Hartmann hat sich das neue Album angehört und findet: Ein Beweis, dass der Literaturnobelpreisträger sein Handwerk  noch immer beherrscht.

Bob Dylans Ausflüge in die Welt der Sinatra-Songs, mit denen er in den vergangenen Jahren seine Fans überraschte, hatten schon etwas grotesk Rührendes. Denn an die Stimme von „Ol‘ Blue Eyes“ reichten Dylans Gesangskünste offenkundig nicht wirklich heran. „Like sand and Glue“, wie Sand und Leim, charakterisierte David Bowie die Stimme des amerikanischen Poeten in seinem „Song for Bob Dylan“ und Joyce Carol Oates beschrieb sie ganz ähnlich, „als könnte Sandpapier singen“ und – und befand das Ergebnis  bewundernd als „dramatisch und elekrisierend“.

Dieser Effekt stellt sich freilich eher in seinen eigenen Liedern ein als in einem Sinatra-Cover. Insofern dürfen sich Dylans Anhänger nun glücklich schätzen, dass ihr Idol musikalisch und poetisch endlich wieder zu seinem eigenen Ich zurückgefunden hat: Nach dem großartigen „Tempest“ (2012) ist das neue Album „Rough And Rowdy Ways“ der Beweis, dass der Literaturnobelpreisträger sein Handwerk  noch immer beherrscht.

Allerdings ist es mit Dylans „eigenem Ich“ immer so eine Sache. Er ist schon immer völlig unberechnebar gewesen, als Mensch wie als Künstler.  Ein Chamäleon, aber auf eine ganz andere Weise als der Brite Bowie. Dylan ist ein Künstler, der den Widerspruch kultiviert. Der vom kulthaft verehrten Folk-Sänger zum Rockpoeten mutiert, der vom politischen Protestsänger zum missionarisch agierenden Christen wurde und Jahre später, 2007, seine Anhänger mit einem Werbespot schockierte, worin er einen spritfressenden Cadillac Escalade anpries.Dass die Wandlung die einzige Konstante in Dylans Künstlerbiografie ist, lässt sich im neuen Album des mittlerweile 79-Jährigen wunderbar ablesen.

Ein Mann der Widersprüche

Nicht von ungefähr heißt der Eröffnungssong des neuen Albums „I Contain Multitudes“, was man mit „Ich, das sind viele“ übersetzen könnte: „A red Cadillac and a black mustache, Rings on my fingers that sparkle and flash.Tell me, what‘s next?“ singt er darin mit seiner leicht brüchigen, aber doch erstaunlich präsenten Stimme. Er beschreibt sich als Mann der Widersprüche und schwankender Stimmungen, er sei wie Anne Frank, Indiana Jones und die Rolling Stones behauptet er in einem etwas fragwürdigen Vergleich. Und überrascht zum Schluss des Songs mit der Zeile: „I‘ll play Beethoven‘s sonatas, and Chopin‘s preludes“.

Nach dem ruhigen Beginn folgen weitere Stücke, gibt er mit seiner eigenspielten Band in dem selbstironsichen „False Prophet“ Rhythm-and-Blues-mäßig Gas, die hübsche, in langsamem Dreiertakt sich hinwiegende Ballade „I‘ve Made Up My Mind To Give Myself To You“, die von zärtlicher Poesie erfüllt ist, und von „Black Rider“ abgelöst wird, der auf karge Weise alte Folkzeiten evoziert. „Mother Of Muses“, gehört zu den Songkreationen Dylans, die wie viele seiner früheren Stücke das Zeug haben, andere Künstler zu Coverversionen zu inspirieren.

Kein Versinken in Nostalgie

Trotz der vielen Verweise auf die Vergangenheit und Einflüsse, die ihn geprägt haben, ist „Rough And Rowdy Ways“ nicht nostalgisch, nicht einmal da, wenn  er am Ende in dem bereits im März vorab veröffentlichten, ausufernde 17 Minuten langen  Song „Murder Most Foul“ den Mord an John F. Kennedy ins Zentrum einer Betrachtung der politischen und künstlerischen 1960er Jahre rückt. Gerade auch nach dem Tod des in Dylans Geburtsstaat Minnesota durch Polizeigewalt umgekommenen Afroamerikaners George Floyd und der aktuellen weltweiten „Black Lives Matter“-Proteste, die Erinnerungen an die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre wachruft, wirkt das Stück plötzlich hochaktuell.

Dylan selbst hat sich in einem Interview mit der „New York Times“ zu den aktuellen Geschehnissen auf den Straßen Amerikas geäußert. „Das hat mich ohne Ende krank gemacht – zu sehen, wie George so zu Tode gequält wurde“, sagt er. „Lasst uns hoffen, dass der Floyd-Familie und der Nation rasch Gerechtigkeit widerfahren.“Bob Dylan: „Rough And Rowdy Ways“, Columbia/Sony