Neuer Roman „Holly“Stephen King kehrt zur alten Höchstform zurück

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US-Autor Stephen King

US-Autor Stephen King

Von der ersten Sekunde an fesselt der neue Roman. Das liegt vor allem an der genialen Hauptfigur und einem scheinbar harmlosen Rentnerpaar. 

Eigentlich wollte Jorge auf seiner abendlichen Joggingrunde nur einem älteren Ehepaar helfen, einen defekten Rollstuhl in ihren Transporter zu schieben – da erwischt ihn plötzlich eine Betäubungsspritze in den Nacken. Jorge wacht in einem vergitterten Kellerraum wieder auf, wo eine Holzhäckselmaschine in der Ecke bereits vermuten lässt, welches Schicksal ihn erwartet.

Die Geschichten von Stephen King sind bekanntlich nichts für Leser mit empfindlichen Mägen. Schon im Eröffnungskapitel seines neuen Romans „Holly“ wird deutlich, dass es diesmal nicht anders ist.

Doch während Kings Werke zuletzt oft ein paar hundert Seiten brauchten, bis die Handlung richtig in Fahrt kam, legt der 76-Jährige nun endlich wieder einen Roman vor, der von der ersten Sekunde an fesselt.

Das liegt vor allem an der Hauptfigur: die neurotische, aber geniale Privatdetektivin Holly Gibney, die King-Leser schon als Nebenfigur aus der „Mr. Mercedes“-Trilogie kennen. Jetzt widmet der US-Autor ihr einen eigenen Roman: „Ich habe die Fühler weiter ausgestreckt, weil ich Holly von Anfang an geliebt habe und sie wieder begleiten wollte“, schreibt King im Nachwort.

Ein unscheinbares Rentnerpaar treibt sein Unwesen

Holly wird von einer Frau beauftragt, ihre Tochter Bonnie zu finden, die unter mysteriösen Umständen plötzlich verschwunden ist. Die Ermittlerin kommt schnell dahinter, dass es in der Gegend noch andere unaufgeklärte Vermisstenfälle gibt, die wahrscheinlich in keinem Zusammenhang stehen – doch „wahrscheinlich“, so Hollys Maxime, „ist ein allzu bequemes Wort.“ Der komplizierte Auftrag ist jedoch nicht ihr einziges Problem. Sie muss den Verlust ihrer Mutter verkraften, die gerade an Corona gestorben ist und Holly nicht nur jede Menge Geld, sondern auch dunkle Geheimnisse hinterlassen hat.

Statt eines kinderfressenden Clowns oder eines besessenen Axtmörders, ist es ein unscheinbares Rentnerpaar, das im typisch King'schen Kleinstadt-Setting sein Unwesen treibt. Emily und Rodney Harris sind zwei hoch angesehene ehemalige Uni-Professoren, die nach außen hin kein Wässerchen trüben kann, insgeheim aber neben krimineller Energie noch kannibalistische Neigungen besitzen.

In „Holly“ tut Stephen King das, was er am besten kann. Das ist jedoch nicht die detaillierte Erzählung eines blutigen Spektakels voller billiger Schockeffekte, auf die er und das gesamte Grusel-Genre manchmal zu Unrecht reduziert werden. Es ist das Spielen mit dem Wissen, dass das Böse hinter jeder noch so unscheinbaren Fassade lauern kann. Und die Erinnerung daran ist der wirkliche Horror.

Stephen King: Holly. Roman. Deutsch von Bernhard Kleinschmidt, Heyne, 640 S., 28 Euro.

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