Von Pop bis Jazz: Die Saison bringt musikalische Überraschungen. Wir stellen die neuen Weihnachtsalben der Saison vor.
Von besinnlich bis besoffenSo klingt Weihnachten 2024 – die Alben der Saison
Die Charts werden derzeit angeführt von Uralt-Hits: Mariah Careys „All I want for Christmas is you“ hat 30 Jahre auf dem Buckel, „Merry Christmas everyone“ von Shakin' Stevens erschien 1985. In diesem Jahr will keine neue Nummer so recht zünden: Es ist alles verhaltener und ganz große Stars, wie etwa im letzten Jahr Cher, sind bei den Neuveröffentlichungen nicht dabei. Aber es gibt viel Hörenswertes zu entdecken.
Das schönste Album der Saison liefert die Kölner A capella-Formation Alte Bekannte mit „Weihnachten kommt immer so plötzlich“ (Pavement Records) ab. Da reiht sich Amüsantes wie das Titellied oder Nachdenkliches wie „Feuer im Kamin“ oder „Wenn die Tür aufging“ nahtlos nebeneinander, allesamt von den einzelnen Mitgliedern selbst verfasst, allesamt wiederhörenswert. Doch richtig umwerfend ist die Band, wenn sie sich dem klassischen Weihnachtskanon widmet: Lange hat man „Alle Jahre wieder“, „Maria durch ein Dornwald ging“ oder „Kommet ihr Hirten“ nicht mehr so schön, weil völlig unprätentiös gehört.
The Boss Hoss scheinen dem Weihnachtsbraten nicht so recht zu trauen und bringen statt eines ganzen Albums nur eine EP mit drei Liedern raus. Aber das neue „It's Christmas again“ und ihre Versionen von „Here comes Santa Claus“ und „White Christmas“ machen durchaus Appetit auf Nachschlag.
Soul-Sängerin Jennifer Hudson ist in ihrer US-Heimat ein Star, sie gewann Grammy, Tony, Emmy, Golden Globe und Oscar gleichermaßen. Hierzulande kennt man sie aus der Verfilmung von „Dreamgirls“ oder als Assistentin von Sarah Jessica Parker aus dem zweiten „Sex and the City“-Film. Ihr Weihnachtsalbum „The Gift of Love“ (nur als Download) ist erwartbar: Stimmgewaltig präsentiert sie „O holy night“ oder Leonard Cohens „Hallelujah“, swingt sich durch „Winter wonderland“, versieht „Carol of the bells“ mit einem afrikanischen Touch. Ohne Wenn und Aber eine tolle Platte.
Die Soulgeschwister von Infinity Song haben zwar das ganze Jahr über Konzerte gegeben (auch in Köln), doch irgendwann müssen die vier Geschwister es geschafft haben, mal schnell ein paar Weihnachtslieder geschrieben und aufgenommen sowie Videoclips dazu produziert zu haben. Die EP „Infinite Christmas“ (als Download) klingt dabei alles andere als „schnell mal rausgehauen“, sondern zeugt wie auch ihre anderen Aufnahmen von großer Musikalität und noch größerer Spielfreude.
In den Weiten zwischen Folk und Jazz siedelt die Sängerin und Pianistin Laila Biali ihre selbstkomponierten „Wintersongs“ (nur als Download) an. Mal verhalten wie ihre kanadische Landsfrau Judy Collins, mal elegisch ausufernd mit anspruchsvollen Soli, die dafür sorgen, dass die Platte nicht ins lauschige Hintergrund-Rauschen abdriftet.
Der schwedische Jazzpianist Jakob Karlzon tastet sich auf seinen „Winter Stories“ (Warner) fast vorsichtig an amerikanische Standards („The first Noel“), Klassiker seiner Heimat („När det lider mot Jul“) oder auch Überraschendes („Evermore“ von Taylor Swift) heran. Ein Mann allein an seinem Klavier, in sich versunken, schlicht und stimmungsvoll.
Auch die Trompeterin Lucienne Renaudin Vary setzt mehr auf Winter, denn auf Weihnachten und lässt ihre Zuhörer durch „Jardins D'Hiver“ (Warner Classics) streifen. Und wie oft in von Menschenhand geschaffenen Biotopen ergibt die Zusammenstellung von eigentlich Artfremdem ein harmonisches Bild. Renaudin Vary führt mit ihren strahlend klingenden Instrumenten Bach, Rossini oder Vivaldi mit dem Musical-Evergreen „Edelweiss“ oder Judy Garlands „Have yourself a merry little Christmas“ zusammen und erzeugt reinen Wohlklang.
Schwizerdütsch hat immer etwas Betörendes, und wenn Michael von der Heide mit seinem warmen Timbre in der Sprache seiner Heimat singt sogar noch etwas mehr. Glüewii, Cherzli, Tannezwiig – da fällt es schwer, nicht beseelt zu lächeln. Auf „Noël, Noël“ (MVDH) covert von der Heide Pe Werner oder seine Landsleute Peter, Sue und Marc, überträgt Irving Berlins „I've got my love to keep me warm“ ins Eidgenossen-Idiom und streut hier und da Lieder in der anderen Landessprache Französisch ein, unter anderem Whams „Last Christmas“.
Der amerikanische Singer-Songwriter Ben Folds setzt auf „Sleigher“ (New West Records) in erster Linie auf Eigenkompostionen, allesamt wunderschöne kleine Vignetten mit intelligentem Indie-Flair.
Albert Hammond hatte eigene Hits in den 70ern, komponierte später erfolgreich für Tina Turner und Whitney Houston. Nun ist er 80, und, man muss es leider sagen, das hört man „Christmas“ (Earmusic/Edel) an.
Das Kölner Martin Sasse Trio verziert auf „Swinging Christmas“ (JazzJazz) US-, aber auch viele deutsche Weihnachtslieder wie „Es ist ein Ros entsprungen“ mit charmanten Solos, drückt manchmal auf Tube, um der allzu großen Besinnlichkeit die Trägheit auszutreiben.
Die österreichische Jazzsängerin Simone Kopmajer geht auf „Home for Christmas“ (Lucky Mojo Records) überwiegend amerikanisch an, singt unaufgeregt Klassiker oder Songs von Joni Mitchell, John Lennon oder Michael Bublé. Verblüffend: ihre mitunter gescattete Version des „Erzherzog Johann Jodlers“.
Deluxe-Versionen ihrer Platten vom letzten Jahr bringen diesmal etwa Tom Gaebel („A Christmas to Remember“, Warner) und Wincent Weiss („Wincents Weisse Weihnachts“, Universal) heraus. Beide Alben gehörten in der letzten Saison schon zu den Highlights, die jeweils Hand voll neuer Lieder schmälern den Eindruck nicht.
Der Rammstein-Keyboarder bringt ein Album zum Fest raus? Oha! „Flake feiert Weihnachten“ (Snow Flake) heißt das Resultat, und bis zum Ende weiß man nicht, ob er mit Weihnachten noch eine Rechnung offen hatte oder sich einfach nur lustig machen will. Musikalisch wird hier in Sachen Arrangements kräftig auffahren, Minimalpattern soweit das Ohr reicht – exzellent etwa bei „Happy Xmas (War is over“) – aber gesanglich werden Flake und seine diversen Freunde dem nicht gerecht. Aber vielleicht wollen sie das auch nicht, sondern nur einen Soundtrack für bierselige Stunden in einer abgerockten Punkkneipe liefern.