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Museum Schnütgen in KölnDiese Elfenbeinreliefs erzählen spannende Geschichten

Lesezeit 4 Minuten
Neuerworbene Elfenbeinschnitzereien aus der Zeit der gotischen Kathedralen sind nun im Museum Schnütgen zu sehen.

Neuerworbene Elfenbeinschnitzereien aus der Zeit der gotischen Kathedralen sind nun im Museum Schnütgen zu sehen.

Das Museum Schnütgen erweitert seine Sammlung mit Elfenbeinschnitzereien aus der Zeit der Gotik.

Es ist eine kleine Bildergeschichte mit persönlichem Impetus: Resolut setzt Jesus den Fuß abwärts in die Vorhölle. In einer anderen Szene ziehen ihm seine Peiniger einen Mantel über den Kopf, nehmen ihm die Orientierung. Auf engstem Raum bewegen sich die plastischen Figuren in der Größe von Däumlingen, die jedoch für das große Ganze stehen: Die Passion Christi stellt das Diptychon dar, welches zwischen 1280 und 1300 entstand.

Von Köln nach Paris

Den rechten Flügel des aufklappbaren Elfenbeinreliefs aus der Gotik erwarb das Museum Schnütgen im vergangenen Jahr. Auf der Maastrichter Kunstmesse Tefaf stand das seltene Kleinod zum Verkauf. Der linke Flügel ist in Besitz des Louvre in Paris. Dort allerdings sind im Fundus der Elfenbeinarbeiten offenbar genug Werke, so dass man Köln den Vortritt ließ.

Direktor Moritz Woelk orientiert sich gedanklich bereits auf die Zukunft einer wunderbaren Kooperation zwischen Köln und Paris, bei der die jetzt eröffnete kleine Sonderausstellung „Neuerworbene Elfenbeinschnitzereien aus der Zeit der gotischen Kathedralen“ den Auftakt machen dürfte.

Manuela Beer, stellvertretende Direktorin des Schnütgen, sieht in der Forschungslandschaft eine spannende Entwicklung. Galt Köln in der Vergangenheit mitunter als Herkunftsort der weniger gelungenen Schnitzarbeiten, zum Beispiel mit einer schielenden Muttergottes oder Figuren, deren Beine durcheinander gerieten, sei der heutige Blick weitaus differenzierter. „Es gab einen regen Austausch: Köln orientierte sich am französischen Stilrepertoire.“ Die Arbeiten in den Ateliers der Stadt seien auf höchstem Niveau gewesen.

Andachtsutensil aus „weißem Gold“

Eine weitere Neuerwerbung aus dem vergangenen Jahr ist der Flügel eines Diptychons mit der Krönung Mariens, um 1350. „Haare und Locken in dem Relief weisen auf einen Kölner Kunstschnitzer des 14. Jahrhunderts hin“, so Beer. Maria erscheint als Muttergottes und als Himmelskönigin. Das Andachtsutensil zum Aufklappen hat die Größe eines Smartphones und wurde offensichtlich nur zu ganz besonderen Anlässen gezückt. Denn es ist nach bald 700 Jahren besser erhalten als so manches Handy.

Elfenbein aus den Stoßzähnen afrikanischer Elefanten wurde im Mittelalter als „weißes Gold“ gehandelt. Die Einflüsse der Pariser Werkstätten reichten bis nach Köln. Seit 2022 sind der EU-interne Handel sowie kommerzielle Wiederausfuhren oder Einfuhren von Elfenbein weitgehend verboten. Ausnahmen gelten nur für Musikinstrumente aus der Zeit vor 1975 und Antiquitäten, die vor 1947 hergestellt wurden und vor allem für Museen vorgesehen sind. Diese dürfen mit entsprechenden Genehmigungen auch weiterhin gehandelt werden.

Carla Cugini, Vorständin der Peter und Irene Ludwig Stiftung, die die Tafel mit der Krönung Mariens für das Museum Schnütgen erwarb und sie als Leihgabe zur Verfügung stellt, steht fest, „dass man sich bei der Betrachtung Hunderte Geschichten erzählen kann.“ Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Stiftung, welche die Schnitzerei mit der Passion Christi finanziell unterstützte, sieht einen starken Bezug zur Gegenwart — zumal in der Folterszene: Nach zwanzig Jahren noch seien die Bilder präsent, die während der Besetzung des Irak durch die Vereinigten Staaten, weltweit Aufsehen erregten. Irakische Insassen des Abu-Ghuraib-Gefängnisses wurden vom Wachpersonal misshandelt. Auch hier wurde der Mantel über den Kopf gezogen – wie im Relief.

Kulturdezernent Stefan Charles hob den europäischen Blickwinkel hervor, unter dem das Museum Schnütgen seinen Bestand erweitere. Mit fünf Ankäufen und einer Schenkung in den vergangenen Jahren habe sich die Qualität der Elfenbeinsammlung enorm gesteigert. Die Stadt unterstützte auch bei den beiden jüngsten Ankäufen mit den beiden Tafel der Passion und der Krönung Mariens, die mit Förderung der Stiftungen bei insgesamt einer halben Million Euro liegen. In der Sonderausstellung sind zudem zwei Spiegelkapseln aus Elfenbein mit Szenen der höfischen Liebe zu sehen.

Und es gibt die Schenkung aus einer Münchner Privatsammlung. Das Elfenbeinrelief zeigt den Tod Mariens. 1995 wurde es für 100 000 Mark bei Sothebys in Baden-Baden erworben. Die Sammlerin wollte es im Museum Schnütgen in guten Händen wissen.

Bis 7. Juli, Di bis So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Cäcilienstr. 29 – 33.