Mit einer großen Retrospektive widmet sich das Museum Ludwig der türkischen Künstlerin Füsun Onur.
Museum Ludwig in KölnFüsun Onur macht Musik ohne Töne – große Retrospektive
Der Eintritt durch den Vorhang aus blauen Wollfäden ist erwünscht. Wer sich auf die Matratze am Boden legt und nach oben schaut, erblickt eine Art dritte Dimension der Malerei. Eine abenteuerliche Konstruktion aus Holz, bemaltem Faden, Gummi, Stoff und Flitter erinnert an die Tentakel einer fluoreszierenden Riesenqualle.
Wohnhaus am Bosporus
Die Inspirationsquelle wiederum dürfte am Bosporus liegen, der Meerenge zwischen Asien und Europa. Das ist bei Füsun Onur direkt vor der Tür. Die 85-Jährige ist eine der bedeutendsten Künstlerinnen in der Türkei. Hierzulande mag sie vielleicht weniger bekannt sein, das dürfte sich nach Einschätzung von Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig, aber bald ändern.
Am Samstag eröffnet die große Retrospektive, in der sich ein eigenwilliger Kosmos offenbart. Blau dominiert, sinnliche Eindrücke vom Meer gibt es immer wieder. Aber auch düstere Räume gilt es zu betreten. Onur ist lyrisch und politisch zugleich. Und sie tritt für den Perspektivwechsel ein.
Kinder und Krieg
Ihre Arbeit „Krieg aus der Sicht eines Kindes“ versieht das Ludwig sogar mit der Triggerwarnung „Diese Installation könnte verstörend sein“. In einem abgedunkelten Raum stehen Fensterrahmen, die notdürftig mit Folien verklebt sind. Fetzen hängen herab, die Schattenspiele lassen der düsteren Fantasie freie Fahrt.
Im Nebenraum steht ein Tisch, der mit textilen Collagen aus Kinderkleidchen und Puppenköpfen bedeckt ist. Angebunden sind schwarze Stiefel, in denen mit schwarzem Tüll verhüllte Puppen stecken. Von der Wand schaut Füsun Onur als Kind auf die gruselige Szenerie. Das war ihr Beitrag anlässlich ihrer ersten Ausstellung in Deutschland „Iksele – Türkische Kunst heute“, die 1994 zuerst in Berlin und dann in Stuttgart gezeigt wurde. An den Puppen ihrer Kindheit war Onur das Label „Made in Germany“ aufgefallen, zu einem Zeitpunkt, als Deutschland den Zweiten Weltkrieg verantwortete.
Immer wieder stellt die Künstlerin den persönlichen Bezug zu Geschichte und Gegenwart her. Wie auch in ihrer Arbeit „Akt“ aus dem Jahr 1974. Ihr Bildhauerkollege Gürdal Duyar schuf unter dem Titel „Schönes Istanbul“ einen weiblichen Akt, der nach intensiven öffentlichen Debatten umgestürzt und zerstört wurde. Onur nahm eine kleine Barbiepuppe, wie sie zu der Zeit auch als Dekoration an den Rückspiegeln vieler Autos baumelte, zerschnitt sie und arrangierte sie in einem mit Spiegeln versehenen kleinen Holzkasten. Das war ihre Reaktion auf den Kunstskandal.
Entlang der unsichtbaren Linie
„Füsun Onur fordert immer wieder dazu auf, sich kritisch mit den Anforderungen an die Kunst auseinanderzusetzen. Falsche Erwartungen wehrt sie ab“, erklärte Kuratorin Barbara Engelbach. Sie sei eine widerständige Künstlerin, die immer wieder überrasche. Zum Beispiel durch „tonlose Musik“.
Zum Ende der Ausstellung im Ludwig hin, geht der Besucher entlang einer unsichtbaren Linie. So wie Onur Stricknadeln, Garnrollen, Holzkästen und Nippesfiguren platziert, entsteht ein Rhythmus. Die Aufmerksamkeit wird in dem Parcours auf unterschiedliche Gegenstände gerichtet. Doch so leichtfüßig, wie die mitunter filigranen Werke daherkommen, so schwierig war es für das Team des Ludwig, die Exponate zu restaurieren und anzuordnen.
Engelbach wurde von Co-Kurator Embre Baykal des Istanbuler Museums Arter unterstützt. Die Räume bauten sie präzise nach. Onur empfahl, kleine Bäume oder Blumen bei der Anordnung selbst sprechen zu lassen. In ihrer Arbeit „Kontrapunkt mit Blumen“ aus dem Jahr 1982, ist zwar keine Melodie zu hören, doch beim Durchschreiten des blauen Raums braucht es ähnlich wie in der Musik Zeit.
Im vergangenen Jahr entwickelte sie die Installation „Es war einmal“ für den türkischen Pavillon auf der Biennale von Venedig. In der Geschichte des Katers Zobra und der Maus Cingöz machen sich die Tiere auf, die Welt zu retten, weil die Menschen die Natur durch Wachstum und Konsum ausgebeutet und weitgehend zerstört haben.
Bis 28. Januar, Di bis So 10 - 18 Uhr, Bischofsgartenstr. 1.