Molière am Schauspiel KölnOhne roten Faden, aber mit tollen Schauspielern
Köln – Ein jungenhafter König, ein König ohne Wanst? Nicht möglich, erklärt Molière seinen Schauspielern. Einen Wanst erwarte das Publikum, und das Publikum zahle, deshalb müsse man ihm gefällig sein. Molière muss es wissen, schließlich war er oberster Theatermann am Hofe des Sonnenkönigs. Einer, der keine großen Tragödien spielen sollte, dessen häufig zur Posse neigenden Komödien aber beliebt waren. Nur wenig später sagt jemand auf der Bühne: „Der Schauspieler liebt die Macht. Ohne die finanzielle Macht kann Theaterkunst nicht existieren.“
Genau das wurmt Frank Castorf. Sein Stück „Molière“, das am Freitagabend im Schauspiel Köln Premiere feierte, ist auch ein Kommentar zu seiner Vertreibung aus der Berliner Volksbühne, die ab 2017 mit einem „gefälligeren“ Konzept Massen anlocken sollte. Seither zieht Castorf mit seinen Inszenierungen durch die Lande, nicht unähnlich Molière zu Anfang seiner Karriere. Aber es ist selbstverständlich vor allem die Aura des französischen Autors, Regisseurs und Schauspielers, des „Theatertiers“, die eine prächtige Projektionsfläche für Theaterbesessene liefert.
Anspielungen von Klamauk und Größe
„Ich bin ein Dämon, Fleisch geworden und als Mensch verkleidet“ heißt das Stück im Untertitel, und wie ein Dämon kehrt Castorf wieder mal zurück, um Machtgeilheit, Egomanie, Heuchelei und Banalität seiner Zeitgenossen zu geißeln. Ähnlich wie dies Molière unter der im 17. Jahrhundert geforderten Mischung aus Farce, Groteske und Frivolität gelungen war. Nur, dass diese Stilmittel heute nicht mehr dem „guten Geschmack“ entsprechen – was sie für Castorf umso anziehender macht.
Auf einen Blick
Das Stück ist größtenteils eine lose Aneinanderreihung von Assoziationen ohne roten Faden.
Die Regie ist abwechslungsreich und arbeitet mit allen Mitteln der Theaterkunst, bleibt aber im Rahmen des von Castorf Bekannten.
Die Schauspieler*innen sind durchweg hervorragend aufgelegt und agieren kraftvoll. (hwh)
Nach einem kurzen Vorspiel zur Geburt und zu den frühen Theater-Aktivitäten Molières rauscht der mit seiner Truppe in einem Kastenwagen in die Provinz ab, um erst nach knapp fünf Stunden zum Sterben zurückzukehren. Dazwischen liegt die von Castorf zu erwartende wirre Abfolge von Assoziationen und Anspielungen, von Klamauk und Größe, die aber diesmal mit etwas weniger Wut und Gebrüll daherkommt.
Hervorragende Schauspieler sorgen für große Momente
Und den meisten Schauspielern sind große Momente gegönnt. Der eher leisen, aber vorzüglichen Jeanne Balibar etwa, die für diese Inszenierung zum Kölner Ensemble gestoßen ist und als Verführerin und Verführte hinter aller Berechnung immer eine gewisse Verlorenheit erkennen lässt. Mit Marek Harloff teilt sie eine der dichtesten Szenen der Inszenierung, als es um Michail Bulgakows Bettelbrief geht, in dem der sich mit seinem „Sonnenkönig“, Stalin, zu arrangieren sucht. In Erinnerung bleiben wird auch Kei Muramotos atemlose Erklärung - vor Bildern aus Hiroshima - des Butoh-Tanzes, der als Gegenentwurf zu banalen westlichen Tänzen ins Spiel gebracht wird.
Toll auch Justus Maiers vor Entsetzen hysterische Tirade gegen die Treulosigkeit seiner Geliebten. Wenige Zeilen ähnlichen Inhalts aus dem „Menschenfeind“ tauchen ebenfalls auf, dazu Anklänge an den „Bürger als Edelmann“, mehr Molière ist nicht. Aber das Menschenbild verbindet über die Jahrhunderte: Wenn er nicht gerade unerträglich ist, sucht der Mensch verbissen nach Zerstreuung aller Art. Um die ernsten Gedanken an den Tod zu verdrängen, heißt es einmal.
Vor Selbstironie schreckt Castorf nicht zurück
Hier steigt man zu viert nackt in ein Bad, das Aleksander Denic hinter den Rücken von vier riesigen Papp-Bürgern mit Zylinder angebaut hat, man speist opulent oder singt blöde Liedchen. Per Handkamera wird all das auf eine Leinwand projiziert - der Zuschauer ist als Voyeur stets Teil des Ganzen.
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Vor Selbstironie schreckt Castorf auch nicht zurück: Sein „Stellvertreter“ auf der Bühne, Bruno Cathomas als Molière, deklamiert gern pathetisch daher und trägt eine lange Schleppe. Volles Programm also, wie immer bei Castorf? Auch dem Freund seines Theater-Konzepts des Unmäßigen entgeht nicht, dass die Längen, das Redundante in der Dramaturgie diesmal nicht so leicht zu verkraften sind. Die durchweg hervorragenden Leistungen der Schauspieler trösten allerdings über vieles hinweg. Vielleicht hat Castorf ja nun seinen eigenen Dämon – jene Vertreibung aus Berlin – ein für alle Mal besiegt.5,5 Stunden mit Pause, wieder am 28.1. (ausverkauft), 4.2. und 5.3. jeweils 18 Uhr; 6.2. 16 Uhr. Karten-Tel. 0221-22128400 oder per Mail unter tickets@buehnen.koeln.