Mireille Mathieu wird 75Mit Mörderstimme zur singenden Werbetafel für Frankreich
Köln – Erfolg im Musikgeschäft lässt sich auf die unterschiedlichste Art ablesen. Zum Beispiel beim Gang über Flohmärkte. Denn was dort zuhauf in den Kisten mit den alten Platten von Eltern oder Großeltern aus den 60er und 70er Jahren angeboten wird, ist auch irgendwann einmal erworben worden. Und je mehr Exemplare sich finden, desto höher waren seinerzeit die Verkaufszahlen.
So tummeln sich hier der erste 3x9-Sampler (häufiger als die zweite oder dritte Ausgabe), Unmengen von James Last (mehr als von Max Greger), stapelweise Roy Black und Peter Alexander – sowie die ersten drei, vier Langspielplatten, die Mireille Mathieu in Deutschland veröffentlichte.
Mireille Mathieu hat 12 Geschwister
Geboren 1946 in Avignon, als eins von 13 Kindern, die Verhältnisse waren arm, die Stimme immer schon groß. Mit Hilfe ihres väterlichen Managers Johnny Stark, der nach einer Nachfolgerin für die 1963 gestorbene Edith Piaf suchte, bringt sie Mitte der 60er ihre ersten Lieder heraus und hat direkt großen Erfolg.
Wie jeder gute Manager schielt Stark zwar in Richtung USA, doch Mathieus zweites festes Standbein steht in l’Allemagne. Komponist Christian Bruhn und Texter Georg Buschor kreieren für sie ein Repertoire, dass sich wie bei fast allen Europäerinnen, die in Deutschland Erfolge feiern, fast komplett von dem in ihren Heimatländern unterscheidet.
Und so wird das kleine, brave Energiebündel mit der fast trompetenden Mörderstimme zur singenden Werbetafel für Frankreich und ganz besonders für Paris: Sie verrät, dass „ganz Paris ein Theater“ ist, führt die Deutschen „hinter die Kulissen“ der französischen Hauptstadt und bringt uns den „Pariser Tango“ bei. Und den „Kindern von Montparnasse“ (mit ihrem Hauch von Sozialkritik, der weit entfernt bleibt von später brennenden Banlieues) gehört „die schönste Stadt der ganzen Welt“. Sie sang so viel über Paris, dass der Autor dieser Zeilen im zarten Alter von sechs Jahren beim Anhören von „Akropolis Adieu“ dachte, diese Ruine liege an der Seine...
Perfekt geschnürte Musik-Pakete
Das Team Bruhn/Buschor strickte für die Singles immer nach dem selben Muster: Melodien, nach denen vielleicht nicht marschiert, aber doch beherzt ausgeschritten werden konnte und die mit jeder Menge Akkordeon garniert wurden. Noten, die die 1,53 Meter große Mathieu herausschmettern und gefühlte Ewigkeiten lang halten konnte. Und Texte, die gespickt waren mit französischen Worten, die für das nötige Flair sorgten:_ „Und ewig fließt die Seine, und ewig ist l’amour – so wird es immer bleiben, Tag ein, Tag ausm toujours.“ Das alles endete nach rund drei Minuten mit einem Tusch. Man kann es nicht anders sagen: Das waren perfekt geschnürte Pakete!
Auf den Alben wurden auch leisere deutsche Töne angeschlagen sowie Lieder der französischen Platten präsentiert. Und da zeigte sich, dass Mireille Mathieu sich nicht neben anderen Entertainment-Größen der Zeit wie Shirley Bassey oder Engelbert verstecken musste.
Doch diese Stimme aus Stahl wird begleitet von einer öffentlichen Person, die aus Teflon zu bestehen scheint. Nichts bleibt haften, keine Leidenschaft, kein Drama, alles ist so perfekt wie die berühmte Frisur, die seit Anfang der 70er Jahre ihr Haupt ziert. Das Private bleibt bei Mireille Mathieu absolut privat.
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Was zu respektieren ist, aber auch dazu führt, dass sie unnahbarer bleibt als so große Tragödinnen wie ihre Landsmänninnen Edith Piaf oder Dalida, an deren Elend und Abstürzen die Fans regen Anteil nahmen. Aber sie starben auch lange bevor sie den 75. Geburtstag feiern konnten – anders als Mireille Mathieu, die dieses Jubiläum am 22. Juli begeht.