Der Soziologe Harald Welzer war am Dienstagabend zu Gast bei „Markus Lanz“. Zunächst wurde über den Wahlausgang in Nordrhein-Westfalen diskutiert. SPD-Chef Lars Klingbeil sprach über die Gründe für die SPD-Wahlschlappe.
Nur 55 Prozent der Wahlberechtigten waren zur Urne gegangen, darunter auch viele frühere SPD-Wähler. Welzer findet, die Menschen seien nicht unbedingt politikverdrossen, sondern die Politik würde oft an den realen Problemen der Menschen vorbeireden. Zur Rolle des Bundeskanzlers sagt Welzer, die Bevölkerung würde sich sicher deutlichere Worte wünschen. „Ich vermisse wirklich die Klarheit in der politischen Kommunikation“, so Welzer. In der Scholz-Rede zum 8. Mai sei sehr viel unklar geblieben.
Welzer befürchtet Spirale der Gewalt in der Ukraine
Welzer, der den offenen Brief Alice Schwarzers gegen Waffenlieferungen unterzeichnet hat, befürchtet eine Spirale der Gewalt in der Ukraine. Differenzierung werde immer schwieriger in Kriegssituationen, die Lage werde immer weiter eskalieren.
Je mehr Waffen zugeführt würden, desto größer werde die Walze der Gewalt. Für ihn sei natürlich klar, dass der Krieg schnellstmöglich beendet werden müsse. „Aber: Wir haben es mit einer Ereigniskaskade zu tun, wo es nicht einfach ist zu sagen, dit ist das Richtige und dit ist das Falsche“. Es würden derzeit zu viele eindimensionale Logiken präsentiert.
Welzer redet mit viel Worten um eindeutige Aussage herum
„RP“-Journalistin Kerstin Münstermann will nach Welzers langen Ausführungen konkret wissen, was dessen Handlungskonsequenz sei. Putin würde die Logik der Gewalt diktieren, so Münstermann. Welzer will „ein Verhandlungsfenster mit Putin aufmachen“. Die übrigen Gäste verstehen nicht, wie das gehen soll. Es würden ja Verhandlungen laufen, aber Putins Vorgaben seien nicht erfüllbar.
Lanz zitiert Filmemacher Alexander Kluge, der kürzlich der Ukraine eine Kapitulation nahelegte. Ob Welzer dies auch befürworten würde? Der Soziologe mag sich nicht festlegen. Die Diskussion dreht sich im Kreis, Lanz will Welzer festnageln, der rettet sich in Allgemeinplätze und weicht „zum dritten Mal aus“, wie Lanz ungeduldig konstatiert. Bis zum Ende der Debatte gibt es keine Erkenntnis, was denn Welzers Handlungsempfehlung ist. Lanz gibt auf.
Welzer erntete Kritik für Streit mit Melnyk
Erst kürzlich hatte Welzer mit einem Auftritt bei „Anne Will“ in der ARD heftige Kritik ausgelöst. Am 8. Mai begründete er seine Position gegen Waffenlieferungen an die Ukraine mit den Erfahrungen der Deutschen in den Weltkriegen.
„Wir sprechen als Mitglieder dieser Gesellschaft vor dem Hintergrund einer Kriegserfahrung, die sich durch die Generationen durchgezogen hat, und da ist möglicherweise in jeder Familie der 45 Prozent, die gegen die Lieferung schwerer Waffen sind, eine ganz präsente Kriegserfahrung“, hatte Welzer im ARD-Talk gesagt.
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Seine Position, vor allem aber auch seine Attitüde, hatten den ebenfalls anwesenden ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk empört. Dieser wollte nichts von alten Kriegserfahrungen der Deutschen hören, sondern von konkreter Hilfe für sein Land. Von Welzer, der ihn zum Zuhören aufforderte, fühlte er sich abgekanzelt. „Ich bin kein Student“, wehrte sich Melnyk und erntete viele unterstützende Reaktionen in den sozialen Medien. Welzer wurde dagegen Arroganz vorgeworfen. (cme)