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„Grotesk falsch“Precht und Welzer müssen scharfe Kritik einstecken

Lesezeit 6 Minuten
Lanz ZDF 290922

Richard David Precht geriet bei „Markus Lanz“ mehrfach mit Spiegel-Journalistin Melanie Amann aneinander. 

Hitzige Wortgefechte und wenig Einigkeit: Bei „Markus Lanz“ ging es am Donnerstagabend um die Kritik, die Richard David Precht und Harald Welzer in ihrem neuen Buch „Die vierte Gewalt“ an die deutsche Presse richten. In der ZDF-Sendung waren neben den beiden Autoren mit Melanie Amann („Spiegel“) und Robin Alexander („Welt“) auch zwei Journalisten zu Gast, die im Buch namentlich aufgeführt wurden.

Von Beginn an trafen Precht und Welzer auf erheblichen Widerspruch der beiden Journalisten. „Völlig an den Haaren herbeigezogen“, sei der Vorwurf des „kriegstreiberischen Aktivismus“, stellte Spiegel-Journalistin Amann zunächst klar. Auch Alexander verwies auf die Widersprüchlichkeit mancher Vorwürfe: Einerseits werde der Presse vorgeworfen, „der Regierung nachzuplappern“, andererseits sei es aber in Prechts und Welzers Augen auch nicht richtig, dass Bundeskanzler Olaf Scholz für sein Zögern in manchen Situationen kritisiert worden sei.

Kritik von Robin Alexander: Flugverbotszone kommt in Buch von Precht und Welzer nicht vor

Auch die erste Forderung der Ukraine, eine Flugverbotszone, sei von der deutschen Presse überwiegend abgelehnt worden, führte Alexander aus – und monierte, dass es das Thema gar nicht ins Buch geschafft habe.

Precht widersprach prompt, das Thema komme sehr wohl im Buch vor. Nach Aufzeichnung der Sendung meldete sich Alexander allerdings auf Twitter noch einmal zu Wort und erklärte, er habe nach erneuter Prüfung das Wort „Flugverbotszone“ nicht im Buch finden können.

Richard David Precht kritisiert „unglaubliche Einhelligkeit“ in der Presse

„Die Presse hat die meisten Forderungen der Ukrainer ziemlich eins zu eins übernommen“, attestierte Precht dennoch. Eine „unglaubliche Einhelligkeit“, habe geherrscht, führte der Buchautor aus. Bereits am Mittwoch hatte der Journalist Nils Minkmar in einem Beitrag für „Übermedien“ diesen Vorwurf entkräftet: Bei der Frage nach der Unterstützung der Ukraine habe schlicht „moralische Klarheit“ geherrscht.

Auch Amann stellte klar: „Es stimmt, dass es ein Übergewicht einer Meinung gab“ und kritisierte, dass Welzer und Precht dies mit „diesem hässlichen nationalsozialistischen Wort der Selbstgleichschaltung“ kritisiert hatten. Welzer bekannte sich daraufhin dazu, das Wort, das in der Buchankündigung verwendet wurde, freigegeben zu haben. „Ich ziehe mir den Schuh gerne an.“, so Welzer. Das sei aber „unerheblich“, denn es sei ja nachträglich geändert worden.

Melanie Amann sieht „grotesk falsche“ Annahme bei Richard David Precht und Harald Welzer

Doch auch der Vorwurf einer „Selbstangleichung“, auf diesen Begriff hatten sich Precht und Welzer zurückgezogen, sei nicht haltbar, befand Amann. „Wir stehen in intensivem Wettbewerb zueinander“, erklärte die Journalistin. Die Annahme, dass man sich untereinander gefallen wolle und deshalb alle das Gleiche schreiben würden, sei „grotesk falsch“.

Precht und Welzer räumten ein, dass ihr Buch nicht auf einer ausgedehnten Analyse beruhe. „Die empirische Untersuchung zum Ukraine-Krieg kommt im Dezember“, erklärte Welzer. Für das Buch habe man sich auf Analysen aus der „Flüchtlingskrise“ und der Pandemie-Zeit gestützt. Das Buch sei eine „Aufforderung zur Selbstkorrektur“.

Precht bei „Markus Lanz“: „Nicht immer Sätze erfinden“

Von Alexander aufgeführte Beispiele für abweichende Meinungen aus seinem eigenen Blatt, der „Welt“, wollte Precht wiederum nicht gelten lassen. „Sie haben in 1000 Artikeln vier Ausnahmen gefunden und sind auch noch stolz drauf“, zeigte sich der Autor wenig offen für Alexanders Argumentation.

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Von links: Markus Lanz, Richard David Precht, Dr. Melanie Amann, Prof. Harald Welzer, Robin Alexander

Die beiden Autoren hätten sich „nicht die Mühe gemacht“, zu recherchieren, wie Journalisten eigentlich arbeiten, kritisierte daraufhin Amann. Precht habe in Podcasts eingeräumt, davon wenig zu wissen. „Nicht immer Sätze erfinden“, konterte Precht. Der Satz könne in einem Podcast auch von Welzer gekommen sein, räumte Amann ein. Inhaltlich gingen Precht und Welzer auf die Kritik nicht ein.

Stattdessen zogen sie sich auf Zahlen zurück: „Wenn jemand, der skeptisch ist bei Waffenlieferungen, immer allein gegen den Rest steht, dann ist das keine ausgeglichene Besetzung“, erklärte Precht, drängte damit auf eine Gleichgewichtung von Minderheits- und Mehrheitsmeinung und forderte so indirekt ein Phänomen, das als „False Balancing“ beschrieben wird.

Diskussion bei „Markus Lanz“: „Woher wissen wir eigentlich, was die öffentliche Meinung ist?“

„Woher wissen wir eigentlich, was die öffentliche Meinung ist?“, fragte Amann dementsprechend. Es gäbe zwar Umfragen, doch Meinungen würden sich ständig ändern – teilweise innerhalb eines Tages. Um dieses Meinungsbild zu erfassen, seien auch die von Welzer und Precht kritisch gesehenen sozialen Netzwerke hilfreich. Dass insbesondere Twitter wichtig sei, sehe man nun an den Protesten im Iran. Es sei eine „80er-Jahre-Haltung“, zu sagen, dass Twitter „des Teufels“ sei.

Welzers Gegenargument: An Bahnsteigen hätten ihn Menschen nach seinem Disput mit dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk bei „Anne Will“ gelobt. Zudem zog sich der Sozialpsychologe erneut auf ein Monate altes Umfrageergebnis zurück, das ungefähr eine 50:50-Spaltung bei der Frage nach Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine ergeben hatte. Inzwischen zeigten weitere Umfragen, dass eine Mehrheit in Deutschland sowohl für Sanktionen gegen Russland als auch für die Unterstützung der Ukraine ist.

Richard David Precht reagiert ungehalten: „Es macht keinen Sinn, mit ihnen zu reden“

Precht hingegen reagierte ungehalten. „Es macht keinen Sinn, mit ihnen zu reden“, schoss er Richtung Amann. „Inzwischen habe ich den Verdacht, sie haben gar nicht verstanden, worüber wir reden“, teilte der Philosoph auf persönlicher Ebene aus, obwohl er zuvor noch persönliche Angriffe auf Andersdenkende beklagt hatte.

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Twitter werde nicht verteufelt, im Buche stehe lediglich, dass persönliche, moralisierende Attacken das soziale Netzwerk ausmachten. Diese Verkürzung fließe auch in die redaktionelle Arbeit ein und „gefährde“ so die Debattenkultur. Dass Twitter nicht unproblematisch ist, räumten auch Alexander und Amann ein. Die Spiegel-Journalistin verwies allerdings erneut darauf, dass es eben auch nur ein Recherche-Instrument von vielen sei.

Welzer führte daraufhin das sinkende Vertrauen in die deutschen Medien als Grund für das Buch an. Die Umfrageergebnisse wolle sie nicht infrage stellen, entgegnete Amann. Allerdings habe man beim „Spiegel“ sogar trotz des Relotius-Skandals Leser gewinnen können. Diese Entwicklung sehe sie als „ermutigendes Zeichen“.

Kritik an Welzer und Precht bei „Markus Lanz“: „Als bräuchte es sie beide dafür“

„Krisenzeiten sind immer gute Zeiten für den Journalismus“, erklärte Precht. Die Printauflagen gingen allerdings zurück, weniger als die Hälfte der Menschen würden noch Vertrauen in die Medien haben. In Krisenzeiten müssten sich daher alle fragen, „was man beitragen kann“. Auch die Leitmedien müssten die „Arbeit der Selbstreflexion“ auf sich nehmen.

„Das findet statt“, stellte Amann klar. „Sie hätten sie durch Gespräche, mehr Recherche und Lektüre auch finden können.“ Bereits am Donnerstag hatte Übermedien-Journalist Stefan Niggemeier auf einen Recherche-Fehler im Buch von Precht und Welzer auf Twitter hingewiesen. „Als bräuchte es sie beide dafür“, kommentierte Amann erneut die geforderte Selbstreflexion, eine „völlig kenntnisfreie“ Einmischung von der Seitenlinie durch Welzer und Precht sei das.

Das nächste Wortgefecht entbrannte – und bildete so den passenden Abschluss für eine Sendung, in der Einigkeit nicht hergestellt werden konnte. „Das Buch ist ein wissenschaftlich gut unterlegter Vorschlag, eine Entwicklung nachzuzeichnen, die ihren Betrieb betrifft“, stellte Welzer, der wie Precht regelmäßig in Medien ausführlich zu Wort kommt, noch einmal klar. „Von dem sie ein Teil sind, Herr Welzer“, konterte Moderator Marcus Lanz.