„Learning English“Das neue Album der Toten Hosen im Redaktions-Check
Düsseldorf – Das schönste Lied ist das letzte, es stammt von Gerry & The Pacemakers und heißt „Ferry Cross the Mersey“. Der Mythos besagt, die Melodie sei Gerry Marsden, dem Sänger der Band, beim Bummeln mit seiner Freundin durch Liverpool eingefallen. Und weil er gerade nichts zum Schreiben dabei hatte und fürchtete, seine Eingebung zu Hause längst wieder vergessen zu haben, suchte er rasch eine Telefonzelle. Er rief seine Mutter an und bat sie, ein Tonbandgerät an den Hörer zu halten. Dann sang er: „Life goes on day after day / Hearts torn in every way.“
Die Toten Hosen bringen dieses Stück auf ihrer neuen Platte, es steht da neben 14 weiteren Hits aus dem Liverpool der frühen 60er-Jahre. „Learning English Lesson 3: Mersey Beat! The Sound of Liverpool“ heißt das Album, auf dem sich die Düsseldorfer vor dem Klang der englischen Hafenstadt verneigen. Die meisten Lieder sind etwas ruppiger, aber „Ferry Cross the Mersey“ besteht hier fast nur aus Trommel und Gitarre. Und Campino singt, als wäre er ein Junge, der sich über den Fluss sehnt: irgendwohin, wo das Gras grüner ist. Er schmeichelt, er hat etwas Argloses, und die Produktion gibt dem Ganzen so ein Sixties-Flair.
Learning English
Album „Learning English Lesson 3: Mersey Beat! The Sound of Liverpool“ erscheint am Freitag. Das Album kommt als LP, CD und Stream.
Buch Campinos Erinnerungsband „Hope Sreet. Wie ich einmal englischer Meister wurde“ ist bei Piper erschienen (22 Euro). (EB)
Die Reihe der „Learning English“-Platten eröffneten die Toten Hosen 1991. Die erste Lektion hatte tatsächlich etwas von einer Lehrschallplatte, denn zwischen den Liedern gab es ironische Ansagen zum Spracherwerb. Die Toten Hosen coverten damals Titel ihrer Helden: The Damned, UK Subs, Ramones. Bei jedem Stück war zumindest ein Mitglied der Originalbesetzung jener Gruppen dabei. Und das Ergebnis war, dass nicht bloß die Hosen ihre Hausheiligen treffen und mit ihnen arbeiten konnten, sondern dass die inzwischen zum Teil vergessenen Pioniere des frühen Punk ihrerseits so viel Aufmerksamkeit bekamen wie selten zuvor. Joey Ramone jedenfalls brachte „Lesson 1“ die erste Goldene Schallplatte seines Lebens ein. „Lesson 2“ kam dann 2017 als Beigabe zum Album „Laune der Natur“. Das Konzept war ähnlich, diesmal beteiligten sich Jello Biafra von den Dead Kennedys, Colin McFaull von Cock Sparrer und Bob Geldof von den Boomtown Rats.
Soundtrack zum Buch
Die neue Platte funktioniert etwas anders, auf Didaktik-Jingles wurde verzichtet, und weil sie zu Corona-Zeiten und als Schnellschuss eingespielt wurde, fehlen auch die Gäste. Die Idee zur Platte wurde geboren, weil Campino kurz vor der Veröffentlichung seines Buches „Hope Street“ stand, darin erzählt er von seiner Liebe zum Liverpool FC, zu England allgemein. Da lag es nahe, den Soundtrack zum Buch zu liefern. Lieder aus der Zeit, als die Industriestadt am River Mersey wurde, was wir heute darunter verstehen: die Wiege des Pop.
Die Toten Hosen covern also „Hippy Hippy Shake“ von den Swinging Blue Jeans, „Do You Love Me“ von Faron’s Flamingos, „Needles And Pins“ von den Searchers. Und natürlich die Beatles mit „Slow Down“. Dieses Stück wurde später auch von The Jam interpretiert, wie es überhaupt einige der Titel von dieser Platte auch in Versionen von Lieblingsmusikern der Hosen gibt.
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Die meisten Songs, die damals von Hunderten neu formierten Gruppen in Liverpool auf die Bühnen gebracht wurden, stammten ursprünglich aus den USA. Das war Rock’n’Roll, der in den diversen Clubs mit einem britischen Twist versehen wurde, mit Working-Class-Rebellion und Insel-Melancholie. Dieser „Mersey Beat“ wurde so populär, dass er, natürlich vor allem durch die Beatles, Mitte der 60er zurück in die USA schwappte: British Invasion.
Es sind Stücke dabei, die man einfach so herunterrattern darf. „Shake Sherry“ zum Beispiel, das man sich super live vorstellen kann, als erstes Lied im dritten Zugabenblock. Man könnte sich ohnehin einen Spaß daraus machen, die „one, two, three, fours“ aneinanderzuschneiden, mit denen Campino diese Lieder anzählt. Und dann gibt es die anspruchsvolleren, melodiöseren, fast schon psychedelischen Nummern wie das schöne „Sorrow“ von The Merseys. Das sollte man mal jemanden vorspielen, ohne zu verraten, wer da singt, und schauen, wie lange die Leute brauchen, um darauf zu kommen, dass das Campino ist.
Man hört der Gruppe das Vergnügen an, das sie beim Ausgraben der Stücke gehabt haben muss. An den Querverbindungen, die sich da ergeben haben. An den Geschichten. Rory Storm & The Hurricanes covern sie zum Beispiel auch, und deren Schlagzeuger wurde später mit einer anderen Band weltberühmt: Ringo Starr. Als Ringo 1972 nicht zur Beerdigung von Rory Storm erschien, wurde er nach dem Grund gefragt. Die Antwort: „Ich war bei seiner Geburt auch nicht dabei.“
Die „Learning English“-Platten sind für die Toten Hosen Klassenfahrten, Heldenverehrung und kreatives Durchlüften. Nun ist die Gruppe an den Ort zurückgekehrt, an dem die Wurzeln des Pop liegen. „So ferry, cross the Mersey“, singen Gerry & The Pacemakers. „And always take me there / The place I love.“