Kunstmuseum BonnAusstellung über Alexej von Jawlensky online gestartet
Bonn – Eine Premiere in bald dreißig Jahren an der Museumsmeile: Das Kunstmuseum Bonn präsentiert eine Ausstellung online. „Wir sind in der digitalen Welt angekommen“, sagt Intendant Stephan Berg bitter. Die Institution ist sichtlich frustriert – bei der Zoom-Konferenz vor Journalisten wird das überdeutlich. Seit fünf Wochen hängt die Ausstellung mit Meisterwerken von Alexej von Jawlensky fix und fertig, ungesehen im Kunstmuseum Bonn. Für den 4. November war die Eröffnung geplant. Kurz zuvor war der zweite Lockdown verlängert worden, eine Restriktion, die neben der Gastronomie die Kultur trifft.
Letztere war wohl nicht am Pandemie-Geschehen beteiligt, sonst wären die Zahlen runtergegangen, rechnet Berg vor, doch die Zahlen sta gnieren oder steigen. Der Intendant hofft, dass diese Erfahrungen, die Kultur betreffend, bei einem dritten Lockdown berücksichtigt würden.
Was die gegenwärtige Schließung der Museen angeht, geht Berg davon aus, dass das „die nächsten Monate“ noch so weitergehen wird: „Ich gehe tatsächlich momentan davon aus, dass wir möglicherweise nicht vor März wieder öffnen können“, sagte er dieser Zeitung.
Mit Leihgebern über eine Verlängerung verhandelt
Vor diesem Hintergrund haben Berg und sein Team nicht nur beschlossen, das Publikum zumindest virtuell in die Ausstellung hineinzulassen, sondern haben auch mit den Leihgebern – allen voran das Museum Wiesbaden, das zeitgleich die Bonner Macke-Sammlung zeigt – über eine Verlängerung verhandelt. „Alexej von Jawlensky. Gesicht, Landschaft, Stillleben“ soll bis zum 16. Mai 2021 laufen. Die Hoffnung ist groß, dass das Kunstmuseum bis dahin öffnen dar f. Denn, bei allen technischen Möglichkeiten einer virtuellen Verbreitung: Bei diesem hinreißenden Koloristen und Farbmagier ist der Eindruck vor dem Original nicht zu ersetzen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Gleichwohl will das Kunstmuseum die Schau präsentieren: Kurator Volker Adolphs soll ab Dienstag online in einem Interview zu erleben sein, es soll eine virtuelle Führung durch die Schau geben und Zoom-Führungen fürs Publikum.
Faible für die Porträtkunst
Der Einstieg in das Werk des gebürtigen Russen lohnt sich unbedingt auch virtuell. Schon als junger Mann zeichnete der 1864 unweit von Moskau geborene Jawlensky. Beruflich aber schlug er die Militärkarriere ein. Als 32-Jähriger nimmt er als Offizier seinen Abschied und geht nach München. Er ist mit Marianne von Werefkin liiert, unterhält aber parallel eine Beziehung zu deren Dienstmädchen Helene Nesnakomoff. 1922 heiratet er Helene in Wiesbaden. Eines der ersten spektakulären Bilder seiner Zeit in Deutschland und der Ausstellung zeigt Helene im spanischen Kostüm (1901/02): Starke Farben, impressionistischer Duktus, schon hier wird Jawlenskys Faible für die Porträtkunst deutlich.
Max Slevogt durch. Und mehr: Der Maler, der sich in Russland für Ikonen begeisterte und durch den Realismus eines Ilja Repin geprägt wurde, holt in Deutschland in Windeseile die Moderne nach.
Seine Landschaften übernehmen den fiebrigen Farbauftrag Vincent van Goghs, spielen mit der Flächenaufteilung von Paul Cézanne und Paul Gauguin, registrieren die koloristischen Explosionen, die die Freunde vom Blauen Reiter, August Macke inklusive, entfachen. Seine Stillleben tauchen in die Farbigkeit von Henri Matisse ein.
Mehr zur Ausstellung: www.kunstmuseum-bonn.de
Wandlung des Künstlers eindrucksvoll nachgezeichnet
Jawlensky entwickelt aus diesen Komponenten seinen Stil. Bei dem überbordenden Oeuvre der Porträts kommt als Einfluss noch die Frontalität und Spiritualität der Ikonen hinzu. Die „Dame mit Fächer“ (1909) ist noch ganz im Geist Matisses gehalten.
Bergs Rechnung
Kunstmuseums-Intendant Stephan Berg rechnete bei der Jawlensky-Pressekonferenz vor, dass die vom Lockdown betroffene Kultur offenbar nicht am Pandemiegeschehen beteiligt sei, sonst hätten die Zahlen sinken müssen. Sie stagnieren oder steigen aber. Diese Erfahrungen müssten bei zukünftigen Lockdowns berücksichtigt werden, forderte er. Von einer Wiedereröffnung der Museen geht er „möglicherweise nicht vor März 2021“ aus. (t.k.)
Bald fokussiert sich Jawlensky auf das Gesicht, verstärkt die Farben und Konturen, wechselt vom individuellen Porträt zum Typischen. Lange Serien entstehen: Die „mystischen Köpfe“ mit den ausdrucksvollen Augen, die schematischen „Köpfe“, die aus einem gleichbleibenden geometrischen Lineament und wechselnder Farbgebung bestehenden „Abstrakten Köpfe“. Äußerst eindrucksvoll ist diese Wandlung in der Ausstellung zu sehen.
Wie für viele seiner Kollegen war der Ausbruch des Ersten Weltkriegs auch für Jawlensky eine Zäsur. Plötzlich galt er als ungeliebter Ausländer, musste in die Schweiz fliehen, wo er seine neue Welt erkundet und fast schwerelose, abstrakte Landschaften in Pastelltönen malt. Der Kontrast zum Finale der Ausstellung könnte nicht größer sein: Seit Ende der 1920er Jahre hat er eine Gelenkerkrankung, zusehends werden seine Arme und Hände gelähmt. J awlensky beginnt mit seinen „Meditationen“.
Das sind sehr einfache, mit grobem Pinsel und unter Schmerzen in düsteren Farben gemalte Köpfe. Ein beklemmender Ausklang einer tollen Schau.