Arnaldur Indriðason, Islands erfolgreichster Krimiautor, hat aktuell mit „Das dunkle Versteck“, aus seiner „Konrað“-Reihe dem historischen Roman „Der König und der Uhrmacher“ gleich zwei neue Bücher auf dem Markt.
Krimi-Autor Arnaldur Indriðason„Ich würde nie in Island Urlaub machen“
Was wussten Sie darüber, wie Uhren funktionieren, bevor Sie mit dem Buch begannen?
Nicht viel. Aber es ist heute so leicht: Man geht einfach ins Internet. Ich habe Geschichte studiert, damals musste man sich durch dicke Bücher arbeiten oder durch alte Zeitungsausgaben. Heute ist alles nur einen Klick entfernt.
Etwa auch die Informationen über König Christian VII. Den man unter anderem durch die Affäre kennt, die seine Frau mit seinem deutschen Leibarzt Johann Friedrich Struensee hatte.
Über den Uhrmacher Jón Sivertsen hingegen weiß man nur, dass er ein Geschäft in Kopenhagen hatte und diese astronomische Uhr von Isaak Habrecht repariert haben soll. Während der Reparatur entsteht eine enge Beziehung zwischen Sivertsen und Christian. Das habe ich alles erfunden.
Bei den Treffen erzählt der Uhrmacher, wie er als kleiner Junge erleben musste, dass sein Vater Sigurður und dessen zweite Frau Guðrun hingerichtet wurden. Ihr angebliches Vergehen: Die Frau sollte sowohl vom älteren Sohn des Mannes, Einar, als auch von Sigurður selber ein Kind haben. Allerdings war dieser gar nicht Einars leiblicher Vater, sondern hatte die Vaterschaft nur anerkannt, um die Ehre seiner ersten Frau zu beschützen. Grundlage waren die unmenschlichen Gesetze des „Stóridómur“, das ab Mitte des 16. Jahrhunderts galt.
Gesetze, die in erster Linie die Menschen unterdrücken sollten. Über das Schicksal von Jóns Familie hatte ich gelesen – und plötzlich entstand diese Verbindung zu dem Uhrmacher selben Namens, über den ich zuvor schon einmal gelesen hatte. Danach schrieb sich die Geschichte von selbst.
Das Todesurteil von Sigurður und Guðrun unterzeichnet der dänische König, denn Island war über Jahrhunderte dänische Kolonie. Wie ist das Verhältnis heute?
Ich glaube, gut. Das war natürlich 600 Jahre lang nicht so, weil Dänemark alles kontrollierte. Der Kampf für die Unabhängigkeit begann im 19. Jahrhundert, ausgehend von Poeten und Politikern in Dänemark, die sich dafür eingesetzt haben. Aber erst am 17. Juli 1944, also mitten im Zweiten Weltkrieg, erlangten wir vollständige Unabhängigkeit. Doch lange Jahre war Dänisch noch Schulfach. Und immer noch gilt der erste Staatsbesuch eines neuen Präsidenten dem dänischen Königshaus. Ich fahre selber oft nach Kopenhagen.
Ihre Krimis haben einen typischen Sound: sehr auf den Punkt, ohne viele Umschweife, fast schon trocken. Mussten Sie sich für dieses Buch einen Erzählton aneignen?
Ja, auf jeden Fall. Der Teil mit König und Uhrmacher hat fast etwas Märchenhaftes. Wenn es um das geht, was zuvor in Island geschehen ist, wird der Ton harscher.
War es schwierig, für den ersten Teil den Ton zu treffen?
Nein, überhaupt nicht. Er war da mit dem ersten Satz: „Die Zeit war stehengeblieben.“ Danach floss die Geschichte. Mir geht es nicht um tolle Formulierungen, Ideen oder philosophische Zusammenhänge, sondern nur darum, eine Geschichte zu erzählen.
Bekannt wurden Sie mit der Reihe um Kommissar Erlendur, es folgte die Trilogie um die Ermittler Flovent und Thorsen, aktuell ist Band fünf der Konrað-Serie erschienen. Anders als andere Autoren scheinen Sie zu wissen, wann man mit einer Figur aufhören muss.
Irgendwann hat man die Geschichte eines Charakters zu Ende erzählt. Und man will auch etwas Neues machen, auch wenn die Leserinnen und Leser wollen, dass es weitergeht. Bei Erlendur war das Ende perfekt: Er beschäftigt sich mit seinen Kindheitserinnerungen in den Ostfjorden, löst den Fall und verschwindet. Das heißt, er ist nicht tot.
Sie haben sich da also eine Hintertür offengelassen.
Ja, vielleicht könnte ich in zehn Jahren wieder über ihn schreiben. Konkret darüber nachgedacht habe ich noch nicht, aber es wäre eine Möglichkeit.
Erst einmal geht es also mit dem pensionierten Kommissar Konrað weiter?
Ja, doch auch diese Serie wird zu Ende gehen. Aber ich weiß noch nicht wie.
Island ist für viele in Deutschland ein Sehnsuchtsort, ein Traumreiseziel. Ihre Bücher haben das sicher nicht befördert, so trostlos und düster sind ihre Schilderungen – nicht was der isländische Fremdenverkehrsverein als Werbung nutzen würde.
(lacht) Ich würde nie Urlaub in Island machen. Wir hatten gerade einen schrecklichen Sommer: Regen, Wind, Temperaturen von acht bis zehn Grad in Reykjavík. Ich bin froh, hier in Köln zu sein (an einem diesigen Montagmorgen, Anm. d. Red.). Aber wir haben natürlich diese großartige Landschaft, die Wasserfälle, die Berge, all das. Und wir sind sehr weit weg von allem.
Und es gibt nicht so viele Menschen.
Das stimmt. In der Region Reykjavík sind es 250 000. Irgendwie kennt da auch jeder jeden. Man sieht etwas in den Nachrichten und denkt, ah, das ist der Onkel von jemandem oder jemand, den ich aus der Schule kenne. Das ist schon merkwürdig.