Der diesjährige ESC war über Wochen überschattet von Diskussionen über die Teilnahme Israels.
Kommentar zum ESCImmer schon durch und durch politisch
Die Behauptung, der Eurovision Song Contest sei gänzlich unpolitisch, war immer schon ein Witz. Schon die allererste Ausgabe war es nicht: Elf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Deutschland zu den Ländern, die am Grand Prix Eurovision de la Chanson 1956 in Lugano teilnehmen durfte. Es war ein bewusstes Zeichen der Versöhnung.
Und das Wort „Politikum“ passt zu vielen Momenten der ESC-Geschichte. Etwa 1975 und 1976 als die Türkei und Griechenland aufgrund des Streits um Zypern im Wechsel teilnahmen. Als wiederum nicht zu unterschätzende Geste erhielt 2005 das griechische Siegerlied „My number one“ 12 Punkte von der Türkei.
Wiederholt mussten Teilnehmende auf der Bühne und hinter den Kulissen als Zielscheibe für Kritik an ihrem Land herhalten. So wurde 2014 der Finaleinzug der russischen Tolmachevy Sisters von einem Buh-Konzert begleitet, genauso ihre zwei Höchstwertungen (aus Weißrussland und Aserbaidschan) – aufgrund der LGBTQIA+*-Politik ihres Heimatlandes und dessen Besetzen der ukrainischen Krim.
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2011 in Düsseldorf brachte die damals 20-jährige Anastassija Winnikawa aus Weißrussland bei einer Pressekonferenz die Frage aus der Fassung, wie sie denn „I love Belarus“ über die letzte Diktatur in Europa singen könne.
Dass es immer schon so war, entschuldigt das Verhalten gegenüber der israelischen Teilnehmerin Eden Golan in keiner Weise: weder die Aufrufe im Vorfeld, die für das Event verantwortliche European Broadcasting Union (EBU) solle Israel – wie zuvor Russland – ausschließen oder andere Länder den Contest boykottieren. Noch die Buhrufe und Pfiffe in der Halle, Tiraden in den sozialen Medien oder Negativ-Kommentare anderer Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ganz zu schweigen von den Demonstrationen vor der Halle, bei denen Teile des Publikums angegangen werden.
Wer international ein Land vertritt, muss damit rechnen, zwangsläufig mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. Aber wenn der Schiedsrichter (also die EBU) eine entsprechende Ansage macht und die Teilnahme erlaubt, gilt ab diesem Zeitpunkt Fair Play.
Natürlich kann man das alles abtun mit „Ist doch nur ein alberner Musikwettbewerb“. Der ist aber einst auch im Sinne der Völkerverständigung erfunden worden. Mit diesem sehr politischen Anliegen sollte er fortgeführt werden – auch mit größerer Einsicht der EBU, was diesen Punkt angeht.