Der Ausnahmepianist Igor Levit spielt gemeinsam mit den Berliner Barock Solisten Werke von Bach und dessen Söhnen.
Konzert mit Berliner Barock SolistenIgor Levit stellt in der Philharmonie alles in den Schatten
Eingeladen zur Oldtimer-Rallye, aufgekreuzt im nagelneuen Lamborghini: So in etwa der Eindruck beim Auftritt von Igor Levit bei den Berliner Barock Solisten. Der Gast glänzend, virtuos, dominant, aber halt am Thema vorbei.
Die Elitetruppe aus der Hauptstadt, rekrutiert aus den Besten der freien Alte-Musik-Szene und den Berliner Philharmonikern, nimmt es zwar nicht so eng mit der historischen Aufführungspraxis. Die Cellisten spielen mit Stachel, obwohl's den zu Zeiten von Bach nicht gab. Vermutlich sind auch moderne Saiten aufgezogen, und schon an der Art, wie die Bögen geführt werden, erkennt man aus der Ferne: Hier geht's eher ums Ergebnis als um Regeln.
Eine halbe Tonne Steinway
Und trotzdem: ein Konzertflügel von Steinway, eine halbe Tonne schwer, fast drei Meter lang inmitten einer in alter Sitte im Stehen musizierenden Streicherschar – das schaut aus, als suche da jemand entweder den Wettbewerbsvorteil oder habe einfach keine Lust, sich anzupassen.
Dabei trauen wir das dem Weltklasse-Mann Levit natürlich ohne weiteres zu, auch auf dem Cembalo oder Hammerflügel mithalten zu können, ja sogar erster zu bleiben unter vielen Guten. Und das Defizit, am alten Instrument kaum Bandbreite zu haben bei der Dynamik und einen kleineren, schmaleren Klang wie die Alten damals leichterhand wettzumachen mit einem Plus an Phrasierung, Verzierung und Agogik.
So aber stand die Berliner Mannschaft ein wenig matt herum um einen Solisten, der im d-Moll-Konzert von Carl Philipp Emanuel Bach den hohen Ton einer modernen Klavierkunst anschlug, die innigen Linien im wehmütigen Mittelsatz mit langem Atem aussang, um dann im spritzigen Finale mit einer sprudelnden Spannung und vitalen Kraft alles um sich herum in den Schatten zu stellen.
Heilsames Aufeinandertreffen
Zugegeben: So viel Schneid hätten sich die Barock Solisten gar nicht abkaufen lassen müssen. Und nach dem hüftsteifen Start mit einer ziemlich harmlosen Streichersinfonie von Wilhelm Friedemann Bach und dem zwar hoch-artifiziellen, aber auch knochentrockenen „Canon alla Duodecima“ aus der Kunst der Fuge war das erste, ungleiche Zusammentreffen mit Levit sogar irgendwie heilsam.
Die Berliner kamen jedenfalls nach der Pause mit wesentlich mehr Elan und Entschlossenheit zurück auf die Bühne. Eine wieder Carl Philipp Emanuel Bach zugeschriebene Sinfonia klang tatsächlich nach dem Aufbruch, der sie einst sein wollte: Johann Sebastian Bachs berühmtester Sohn hat hier schon die Sachen gepackt, um aus dem komplikationsverliebten Barock des Herrn Papa zu jenen neuen Ufern zu gelangen, die er später mit Werken wie dem zuvor gehörten Klavierkonzert erreichen sollte – die Zeit der Klassik, die sich an die Pioniertaten von Bach junior mit Ehrfurcht erinnern wird.
Fünf geschenkte Minuten
Das Finale gehörte trotzdem dem Senior. Im Ricercare aus dem „Musikalischen Opfer“ lässt der Alte noch mal die Muskeln spielen. Auch hier war für die Berliner nicht viel Ruhm zu gewinnen – diese Musik verzichtet auf alle Äußerlichkeit und feiert ein letztes Mal die Schule des Kontrapunkts. Hier hängt der Hammer, bis heute.
Nach der strengen Lektion dann noch ein fröhlicher Kehraus mit dem d-Moll-Konzert BWV 1052: Die Berliner jetzt viel dichter am Solisten, knackiger, schärfer, selbstbewusster, mit mehr Spaß auch daran, dem nicht ganz stilechten, aber wunderschönen Espressivo Levits und seinem crispen High-Definition-Spiel so weit wie möglich zu folgen.
Man hätte die Philharmonie dennoch mit einem leichten Grummeln im Bauch verlassen, nach diesem vorhersehbar unbalancierten Gipfeltreffen. Aber dann setzt sich Levit noch mal an den Flügel und spielt eines der späten Brahms-Intermezzi mit einer so schmerzlich bedrängten Innerlichkeit, dass man alleine für diese fünf geschenkten Minuten sehr gerne gekommen wäre.