Dirigent François-Xavier Roth soll an Musikerinnen und Musiker anzügliche SMS geschickt haben.
Belästigungsvorwürfe gegen François-Xavier RothKölner Generalmusik-Direktor wird vorerst nicht mehr dirigieren
„Wenn ich zu weit gegangen bin, möchte ich mich jetzt bei denjenigen entschuldigen, die ich verletzt haben könnte.“ So zitiert das französische Magazin „Le Canard echainé“ Kölns Generalmusik-Direktor François-Xavier Roth in einem Artikel, in dem sieben Musikerinnen und Musiker von Übergriffen Roths in Form von „unerwünschten Nachrichten“ berichten, die sie vom Dirigenten per SMS erhalten haben sollen.
Christine Villinger, heute Leiterin der Marketing- und Presseabteilung des Theaters Münster, berichtet im Gespräch mit der „Kölnischen Rundschau“, wie sie Ähnliches mit Roth erlebt hat. „Ich habe ihn vor rund zwölf Jahren in Salzburg kennengelernt, rein privat, es gab keine berufliche Beziehung.“
Am späteren Abend erhielt sie „widerliche“ SMS von Roth. „Das ging ungefähr zwei, drei Stunden, bis ich das Handy irgendwann ausgeschaltet habe.“ Ob sie mir Roth die Nummern getauscht habe oder er sie auf einem anderen Wege herausbekommen habe, könne sie nicht mehr erinnern. „Danach habe ich auch nie wieder von ihm gehört.“ Roth selber war für eine Stellungnahme zu diesen oder anderen Vorwürfen nicht zu erreichen.
Herzchen-Emojis und „virtuelle Duschen“
Im Artikel von „Le Canard echainé“ wird dies als ein Muster dargestellt. Wenn jemand auf seine SMS reagierte, antwortete Roth umgehend, verwendete Kuss- und Herzchen-Emojis. Manchmal habe er auch explizite Fotos von sich verschickt. Während die Musikerinnen anonym bleiben, äußert sich die Violinistin Marie-Annick Nicolas, ehemalige Konzertmeisterin beim Orchestre Philharmonique de Radio France: Er habe sie, als er sich in seinem Hotelzimmer langweilte, zu einer „virtuellen Dusche“ eingeladen.
Das Magazin zitiert auch aus einem Brief, der im Juni 2021 von einer Musikerin an den Geschäftsführenden Direktor des Gürzenich-Orchesters, Stefan Englert, geschrieben wurde: „Wenn der Dirigent des Gürzenich, mit dem wir als ganzes Orchester gleichzeitig interagieren, keinen inneren Kompass für den angemessenen und respektvollen Umgang mit seinen Mitarbeiterinnen hat, ist das mehr als problematisch: Es ist unerträglich.“
Auf Nachfrage der Rundschau kann sich Stefan Englert „nicht dazu äußern“, ob es einen solchen Brief oder eine konkrete Beschwerde gegeben habe. „Personenbezogene Informationen, die im vertraulichen Kontext gemacht wurden, kann ich in keiner Art und Weise weder bestätigen noch verneinen.“
Komponist Ondřej Adámek übernimmt vorerst Roths Arbeit
Roth selber ist derzeit nicht in Köln, eigentlich sollte er am Mittwochabend im Théâtre des Champs Élysées dirigieren, wurde aber kurzfristig ersetzt. Und auch in Köln wird er im Moment keine Probenarbeit aufnehmen. So übernimmt der Komponist Ondřej Adámek die musikalische Leitung seines Werks „Ines“ selbst und wird die Premiere am 16. Juni sowie alle weiteren Vorstellungen dirigieren. Für alle weiteren Termine etwa im Juni sei man, so Stefan Englert, „im Austausch darüber, wie die nächsten Tage und Wochen hier aussehen werden. Es hängt natürlich ganz stark von den weiteren Untersuchungen ab, die wir intern durchführen.“
Dem Vernehmen nach will die Stadt Köln eine externe Anwaltskanzlei beauftragen, den Sachverhalt dahingehend zu prüfen, ob arbeitsrechtliche Schritte eingeleitet werden müssen. Als Generalmusikdirektor ist Roth städtischer Angestellter.
Das Orchester wurde, so ein Musiker, der nicht namentlich genannt werden möchte, in der Nacht zu Donnerstag über die Vorgänge informiert. „Ich war überrascht, die Neuigkeit muss man erst einmal verarbeiten“, so das Orchestermitglied. „Wir hatten mit dem Chef noch viel auf dem Programm!“ Bei einer Versammlung wurde am Donnerstagvormittag eine Erklärung Roths verlesen.
François-Xavier Roth soll Chef-Dirigent des SWR Sinfonieorchester werden
Auch das SWR Sinfonieorchester wurde informiert. Dort soll Roth zum Beginn der Spielzeit 2025/26 Chef-Dirigent werden. Erst nach einer gründlichen Prüfung könne „Auskunft erteilen, wie sich die zukünftige Zusammenarbeit mit François-Xavier Roth gestalten wird.“
Englert macht auch in Bezug auf das Gürzenich-Orchester klar, „dass wir im Mittelpunkt die Kolleginnen und Kollegen haben, und deshalb diese Vorwürfe transparent und gründlich aufarbeiten und dass das höchste Ziel von uns und von der Frau Oberbürgermeisterin ist, dass wir hier ein sicheres Arbeitsumfeld für alle Angestellten des Gürzenich-Orchesters und für Angestellte der Stadt Köln zu gewährleisten“.
Von Gerüchten rund um Roth erfuhr er selber erst im Juni 2020. „Aber Gerüchte sind Gerüchte – und eben nicht verwertbar. Doch man geht mit offeneren Augen durch die Welt und führt natürlich auch Gespräche.“ Mit Roth habe er „permanent Gespräche“ geführt, „zu allen möglichen Themen“, auch solche „sensitiver Natur. Wir haben über alle Dinge einen sehr intensiven und sehr offenen und transparenten Austausch.“
Doch er sieht auch besondere Gefahren für Machtmissbrauch im Kulturbetrieb, wo es „in vielen Bereichen ein extremes Machtungleichgewicht“ gebe. „Und Machtungleichgewicht führt zu diskriminierendem Verhalten, wozu auch sexuelle Belästigung zählt. Und ich denke, dass wir in der Kulturbranche überlegen müssen, wie wir uns strukturell aufstellen, damit wir ein Umfeld schaffen, das ohne Diskriminierung funktionieren kann.“
„Unisono“-Chef: Bislang keine Fälle aus dem Gürzenich-Orchester bekannt
Auch für Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung „unisono“, besteht beim Thema sexualisierte Gewalt und Übergriffigkeit erhöhte Sensibilität. „Auf der Arbeitgeberseite ist die Problematik angekommen. Die Frage ist nun, wie man damit umgeht.“ Mertens hat in einer Arbeitsgruppe des Deutschen Kulturrats den Leitfaden „Respektvoll arbeiten in Kunst und Kultur“ mitentworfen, über den ab nächsten Monat diskutiert werden soll.
Befristete Verträge machten es Mitarbeitenden der Bühnen oder Orchester schwer, sich gegen Regisseure oder Dirigenten zur Wehr zu setzen. Mertens spricht aber auch von einem Fall, bei dem ein junger Konzertmeister im Probejahr aus der eigenen Gruppe belästigt wurde. „Er fühlte sich von zwei Personen, die ein Auge auf ihn geworfen hatten, angezählt“, denn sie entschieden über seine Karriere mit.
Zu möglichen Übergriffen im Gürzenich-Orchester habe sich bislang niemand bei unisono gemeldet. Aber aus anderen Orchestern oder Theaterensembles weiß Mertens, „wenn sich einer meldet, dann kommen zehn weitere Fälle hinzu.“ Die Dunkelziffer sei hoch. Ploppten Vorwürfe, wie sie jetzt „Le Canard enchainé“ veröffentlichte, könnten in den nächsten Wochen im Zuge von MeToo weitere Betroffene reden.