AboAbonnieren

„End of the road“Kiss begeistern Kölner Publikum auf Abschiedstournee

Lesezeit 4 Minuten
Paul Stanley (The Starchild, Gesang, Rhythmusgitarre), Gene Simmons (The Demon, Gesang, Bass), Tommy Thayer (The Spaceman, Leadgitarre, seit 2002) und Eric Singer (The Cat, Schlagzeug)
am 02. Juli 2023
in der Lanxess Arena

Die Band Kiss hat bei ihrer Tour Station in Köln gemacht.

Mit Donnerschlägen, Flammen und Blitzen verabschiedete sich die US-amerikanische Band Kiss bei ihrem letzten Konzert in Köln von ihren Fans.

Am Ende der Straße liegt … ein gotisches Gruselschloss? Eine glitzernde Galaxie? Ein gewaltiges Kraftwerk? Das, was Kiss am Sonntag in der mit 16.000 Plätzen restlos ausverkauften Lanxess Arena auf ihrer „End of the road“-Abschiedstournee präsentieren, hat von all dem etwas.

Um 20.51 Uhr öffnen sich mit einem Donnerschlag die Tore zu einer fantastischen Welt. Sie wird bevölkert von glamourösen Kreaturen der Nacht, von unbesiegbaren Rock’n’ Roll-Recken und zornigen Donnergöttern. Drachen speien Scharlachflammen. Die Augen der Höllenhunde glitzern in geisterhaftem Grün. Der Herr der Fledermäuse breitet seine Flügel aus.

„Wir haben heute Abend coolen Stoff dabei“, verspricht Paul Stanley, „alten, älteren und den allerältesten.“ Wobei der 71-Jährige keinesfalls solchen mit Alkoholgehalt im Sinn hat. Was immerhin denkbar wäre. Seit 2020 vermarkten Kiss, in Zusammenarbeit mit einem Getränkehersteller, Hochprozentiges unter Bezug auf den Bandnamen. Stattdessen gibt es 22 Stücke, die zurückgehen bis ins Gründungsjahr 1973. Ein halbes Jahrhundert später: finis.

Erstes Kiss-Konzert in Köln seit über 20 Jahren

Nach dem zweistündigen, ganz fantastischen Konzert, das die New Yorker in Köln abliefern, könnte man deshalb bitterlich weinen. Zumal Stanley noch ein bisschen mehr auf die Tränendrüse drückt: „Wir spielen heute Abend hier zum zweiten – und zum letzten Mal.“ Wie viele von denen, die Sonntag da sind, auch am 8. März 1999 da waren, darüber kann man nur mutmaßen. Vom Alter her kommt das oftmals hin. Während andere so aussehen, als wären sie Ende der Neunziger noch gar nicht auf dieser Welt gewesen. Die jüngsten Gefolgsleute in der „Kiss Army“ brauchen noch Elternbegleitung.

Macht man sich erst klar, wer da gerade dabei ist, einen Schlussstrich unter die Karriere zu ziehen, könnte man ganze Fässer mit Salzwasser füllen. Kiss sind Kult. Mit ihren weißgrundierten, maskenhaft geschminkten Gesichtern, den galaktisch anmutenden schwarz-silbernen Kostümen und einer Bühnen- und Light-Show, die schon mächtig ranklotzt, wenn andere erst kleckern. Was da in den ersten Minuten alles an Feuerregen, -fontänen und -stößen abgefackelt wird, bewahren sich Kollegen fürs Finale auf.

Von der Urbesetzung ist außer Stanley (Gesang, Rhythmusgitarre) noch Sänger und Bassist Gene Simmons (73) dabei. Aber Leadgitarrist Tommy Thayer (62) und Drummer Eric Singer (65) fügen sich gut ein. Nicht erst seit gestern und, wie sie mit minutenlangen, begeistert gefeierten, Soli unter Beweis stellen, auch virtuos. „The Starchild“ (Stanley), „The Demon“ (Simmons), „The Spaceman“ (Thayer) und „The Catman“ (Singer) bringen dezibelstarken, schwermetallisch überzogenen harten Rock auf die Bühne. Wobei aber auch so Balladen wie „Beth“ (als erste Zugabe am Flügel gespielt und gesungen vom Katzenmann), ihren Platz im Lebenswerk der US-Amerikaner haben.

Drum-Solo, Gitarren-Riffs & Lasso-Nummer

Zu „Detroit rock city“ schweben sie auf Podesten von der Decke auf die Bühne herab. Beim Drum-Solo macht Singer mächtig Dampf – und tatsächlich quillt der auch in Kaskaden unterm aufgebockten Schlagwerk hervor. Und Simmons zapft fürs Bass-Solo gar seinen Lebenssaft an: in roten Schwällen rinnt er aus seinem Mund. Der „God of thunder“ rollt mit den Augen. Er feixt und züngelt. bleckt blutverschmierte Zähne. Feuer gespuckt, auch das ein Höhepunkt im „Psycho Circus“ Kiss’scher Prägung, hat er schon vorher.

Und Thayer braucht für seine Gitarre einen Waffenschein. Der Solo-Gimmick hier: die Riffs sind so scharf, dass das Instrument Blitze feuert. Stanley fliegt auf einem Ring über den Innenraum, um auf der runden Mittelbühne angekommen, dem Intro-Gesang von „Black Diamond“ hell-delikate Süße zu entlocken.

Im schwarz-silbernen Kosmos von Kiss ist Stanley, der mit dem schwarzen Stern überm rechten Auge, der agilste von allen. Nicht erst dann, wenn er die Lasso-Nummer mit dem Mikro am Kabel abzieht. Er macht die Ansagen. Er schafft Bindung zum Publikum: „Meine Mutter wurde in Deutschland geboren, das ist so, als wäret ihr wie Familie für mich.“ Stücke wie „Deuce“, „I love it loud“ oder „I was made for loving you” sind wie Familie für die Ohren und Herzen der Fans. Ab jetzt untröstlich. Ab jetzt in Trauer.


Charaktermasken

Jahrzehnte bevor Rapper wie Sido oder Cro auf der Bühne mit Maske auftraten, hatten Kiss das zu ihrem Markenzeichen gemacht. Wobei es dabei nicht mit dem bloßen An- und Ablegen einer Gesichtsbedeckung getan war. Damit aus den Bandmitgliedern „The Starchild“, „The Demon“, „The Spaceman“ und „The Catman“ werden, muss jedes Gesicht zwei Stunden geschminkt werden.

Diese Charaktermasken, die mit dem Ausscheiden von Ace Frehley und Peter Criss leicht modifiziert wurden, haben einen hohen Wiedererkennungswert. Aber ob die Träger damit auch ihrer Haut Gutes tun? 13 Jahre lang zumindest durfte die aufatmen: 1983 zeigten sich Kiss erstmals unmaskiert in der Öffentlichkeit, seit der Wiedervereinigung 1996 ist die Schminke wieder Pflicht.