AboAbonnieren

„Als Regisseur kannst du besser altern“Interview mit Moulin-Rouge-Regisseur Baz Luhrmann in Köln

Lesezeit 5 Minuten
10.07.2023 Köln Qvest Hotel
Baz Luhrmann
Interview - Moulin Rouge
Fotos: Hyou Vielz

Baz Luhrmann beim Interview in Köln.

Von Baz Luhrmann stammen Filmerfolge wie „Romeo & Juliet“, in Köln läuft die Bühenfassung seines Musicals „Moulin Rouge“.

Einem breiten Publikum bekannt wurde der 1962 in Sidney geborene Regisseur Baz Luhrmann 1996 durch seinen zweiten Film „William Shakespeares Romeo & Julia“, in dem er Leonardo DiCaprio und Claire Danes in einem heutigen Setting die Originalverse des „Schwans von Stratford-upon-Avon“ sprechen ließ. Es war nach dem hierzulande nicht in die Kinos gekommenen Tanzfilm „Strictly Ballroom“ der zweite Teil seiner „Red-Curtain-Trilogie“, die er 2001 mit „Moulin Rouge“ abschloss - und die ihn nun wieder nach Köln führte.

Im Herzen von Europa

Denn „Moulin Rouge“ hat mittlerweile als Jukebox-Musical den Broadway, das Londoner Westend und seit letzten Herbst auch die Domstadt erobert. „Es ist einfach unglaublich“, schwärmt Luhrmann, „man kommt in Köln an und ist gleich eingerahmt von Dom und Musicaldome, trifft auf ein internationales Publikum und fühlt sich wie im Herzen von Europa.“

Und diesmal genießt er nicht nur das Stück („Ein wundervoller Cast“), sondern auch die offene Atmosphäre in der Stadt, als er auf dem „Moulin Rouge-Wagen“ bei der Pride-Parade mitfährt. Und abends berührt ihn nach der Vorstellung im Musical-Dome der Satz eines jungen Paares, das ihm verspricht, sich nun endlich auch den schon vor ihrer Geburt produzierten Film anzusehen.

Für Nicole Kidman stark gemacht

Sofort steht die Frage im Raum, warum in der Kölner Aufführung — im Gegensatz zu New York und London — die vielleicht schönste Musik-Sequenz fehlt: Die wundervoll ironische Hommage an „Sound of Music“ — eines der weltweit erfolgreichsten Musicals — wurde ausgetauscht. „Vermutlich, weil das Musical hierzulande keiner kennt?!“, mutmaßt Luhrmann.

Und er ist erstaunt zu erfahren, dass die Verfilmung von„Sound of Music“ bei ihrer Deutschlandpremiere 1965 zensiert wurde. Der deutsche Verleih ließ den überlangen Film in der vorgesehenen Pause enden und eliminierte so seinen kritischen Blick auf die Rolle der Nazis in Österreich.

Von draußen „reinreden“, das kommt für Luhrmann nicht in Frage. Als er die seit ihrer Rolle in Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“ (1999) als „unterkühlt“ geltende Nicole Kidman für „Moulin Rouge“ castete, wollte ihm das Studio sie ihm ausreden. „Doch obwohl ich fast alle Hollywood-Stars beim Vorsprechen hatte — sie war einfach die Beste für die Rolle.“

Und so blieb er ihr auch bei seinem nächsten Film „Australia“ (2008) treu, in dem er die Rolle Australiens im Zweiten Weltkrieg thematisiert und den er nur mit einheimischen Schauspielern und Schauspielerinnen besetzte.

Nach der bei Kritik und Publikum durchgefallenen Literaturverfilmung „Der große Gatsby“ (2013), wendet sich Baz Luhrmann der „Serie“ zu und entwickelte 2016 für Netflix deren bis dahin teuerste Produktion „The Get Down“, in der eine Gruppe New Yorker Jugendlicher versucht, mit Hip-Hop der Armut zu entkommen.

Obwohl die Serie schon nach der ersten Staffel abgesetzt wird, beweist Luhrmann wieder einmal, welch außergewöhnliches Gespür er für den Einsatz von Musik in seinen Filmen hat. Ein Talent, dass er nur mit wenigen Regisseuren wie Jacques Demy, Ken Russell oder Quentin Tarrantino teilt.

Der Vergleich schmeichelt ihm, bestärkt ihn aber auch in seiner Überzeugung, „dass die Historie schon längst entschieden hat, welche Musik genial ist, von der Klassik, über die Oper, das Musical, den Jazz bis hin zum Pop.“

Unterhaltung in schweren Zeiten

Reizt ihn, der 1990 mit Puccinis Oper „La Boheme“ in Sydney seinen ersten Regie-Erfolg hatte, den er 2002 am Broadway wiederholte, nicht mal die Inszenierung eines originären Musicals? „Da habe ich im Moment keine Pläne. Aber ich glaube, dass das in den letzten Jahren totgesagte Musical wieder im Kommen ist“, vermutet Luhrmann.

„Als ,Moulin Rouge' damals kurz nach 9/11 ins Kino kam, traf es auf schwere Zeiten. Und vielleicht gerade deshalb hatten die Menschen das Bedürfnis, sich zu amüsieren, zu tanzen und zu singen. Auch jetzt sind wieder schwierige Zeiten. Vielleicht ist ‚Moulin Rouge‘ da wieder ein Ventil. Ich selbst habe Musicals seit meiner Kindheit geliebt, finde immer noch, dass sie ein Spiegel ihrer Zeit sind.“

Genauso wenig, wie Luhrmann zu einer Regiekarriere am Broadway tendiert, möchte er den Platz hinter der Kamera wieder mit dem davor tauschen. Denn als Schauspieler begann 1981 seine Film-Karriere in „Winter of your Dreams“: „Als Regisseur kannst du unbehelligter altern, als ein zum Jungsein verdammter Schauspieler.“

Mehr als 500.000 verkaufte Tickets

Es ist ein echter Erfolg geworden: Seit der Premiere im vergangenen November wurden mehr als 500.000 Eintrittskarten verkauft. Zum Erfolg hat sicherlich auch die aufwendige Innenausstattung des blauen Zelts beigetragen.

„Viele Leute kennen den Musical Dome von früher noch als das ‚ewige Provisorium‘ und klassisches Tourneetheater“, erzählt BB-Mehr-Entertainment-Geschäftsführer Henning Pillekamp. „Jetzt sind wir der wohl meistfotografierte Theatersaal Deutschlands! Ich bin selbst jeden Tag aufs Neue wieder überwältigt, wenn sich die Türen bei uns öffnen. Es gibt in der Theaterszene nichts Vergleichbares.“

Da es im Sommer bekanntermaßen schwieriger ist, Menschen ins Theater zu locken, hat man im Haus die „Bohemian Weeks“ ausgerufen: Für bestimmte Vorstellungen bis Ende August gibt es 20 Prozent Ermäßigung beim Kartenkauf. (EB)