Anett Louisan besingt in Köln „Die mittleren Jahre“ und fragt: „Wo bleibt die Euphorie?“ In ihrem Publikum musste sie diese nicht lange suchen.
Konzert im PalladiumKölner Publikum feiert Anett Louisan mit Standing Ovations
Als sie 2004 ihr Debüt-Album „Bohème“ veröffentlichte, war sie 27 Jahre alt. Eine blonde Mädchenfrau mit bezaubernd langen Wimpern, die kokett hauchte „Ich will doch nur spieln“. Fast zwei Dekaden später besingt Anett Louisan „Die mittleren Jahre“ und fragt: „Wo bleibt die Euphorie?“ Donnerstag im bestuhlten Palladium gibt es jede Menge davon. Vom Anfang an feiert das Publikum die 46-jährige Sängerin begeistert, zum Schluss, nach knapp zweieinhalb Stunden, (mit Pause) gibt es für sie und ihre Band Standing Ovations.
„Die mittleren Jahre“ stammt vom aktuellen, inzwischen zehnten, Album der Hamburgerin, das im Februar herauskam. Fast alle zwölf Songs, die darauf zu hören sind, stehen im Palladium auf der Setliste, darunter auch das Titelstück „Babyblue“. Eine neue Veröffentlichung in den Mittelpunkt einer Tournee zu stellen, ist gängige Praxis. Kann aber manchmal schwer nach hinten losgehen. In diesem Fall aber kein bisschen. „Die fabelhafte Welt der Amnesie“, „Hallo Julia“ oder „Wenn ich einmal sterben sollte“ fügen sich nahtlos ein in den poppigen Chanson-Kosmos der Louisan, in dem Ironie, Komik und Wortwitz auf Nachdenklichkeit, Tiefsinn und Melancholie treffen.
Das Putzige ist gewichen, der Charme bleibt
Den Kükenflaum, das Nett-Niedliche, Putzige, hat sie inzwischen abgestreift, aber der Charme, die pikante Stimme und die Begeisterungsfähigkeit sind geblieben. „Das hat mir fast das Herz gebrochen“, kündigt sie das Tristan Brusch-Cover „Baggersee“ an, um dann von Einem zu singen, der nachts aus dem Fenster einer Klinik schaut, um sich zurück in glücklichere, sonnigere Zeiten zu träumen: „Du und ich nackt im Baggersee.“
Aber auch liebgewonnene Bekannte von früher fehlen nicht: „Belmondo“ und „Eve“, „Die Katze“ und „Der Blender“. Oder Torsten, der nachts schnarcht, statt seine neben ihm liegende, hellwache Freundin auf Händen in „ein geheimes Separée“ zu tragen. Auch das ist eine der alten Geschichten, die das Leben nimmermüde wird, aufs Neue zu erzählen. Bei „Klein“ macht Louisan einen Rundgang durchs Publikum, das gehört zu ihren Standards bei Konzerten, sie ist keine von den Divenhaften. Von der man sich das neue Stück „Große Hände“ zur Melodie von Zarah Leanders „Nur nicht aus Liebe weinen“ trotzdem gern gefallen lässt. Louisans Variante nimmt Verschwörungstheoretiker aufs Korn: „Es gibt Leute, die sagen, dass es Viren und Kriege nicht gibt (…) Und irgendwo tief in der Erde werden unschuldige Dackel verführt, wo ein rechter Reptilienmensch an ihnen die Unschuld verliert.“
Nach der Pause wiegt man sich wohlig zu den Klängen der Musette „Das Große Erwachen (…und jetzt…)“, um bei „Das Alles wär nie passiert“ richtig in Fahrt zu kommen. „Ohne Prosecco!“ brüllen alle im Palladium unisono. Ist doch der Schaumwein der Schuldige an allerlei Peinlichkeiten im Suff. Nur „Drück die 1“ kann das noch toppen, wer jetzt nicht tanzt, tanzt vermutlich nie.
Am Ende kommt, unverzichtbar, „Das Spiel“. Jene Single, die Louisan 2004 den Durchbruch brachte, 19 Wochen in den deutschen Charts war und im Radio rauf und runter gespielt wurde. Während Annett Louisan „Ich will doch nur spieln“ schnurrt und gurrt, scheinbar ganz züchtig die Lider senkt, noch einmal des Lasters Kindereinfalt mimend, kommt man nicht umhin, festzustellen: ihre Wimpern, die sind noch immer bezaubernd lang. Noch ein Grund mehr, Louisan auch nach 19 Jahren noch zu Füßen zu liegen.