AboAbonnieren

Verlorene Träume einer Frau„Kim Jiyoung, geboren 1982“ feiert Premiere im Schauspiel Köln

Lesezeit 4 Minuten
Szene aus "Kim Jiyoung, geboren 1982" im Schauspiel Köln

Kristin Steffen, Kotti Yun und Nicola Gründel in „Kim Jiyoung, geboren 1982“

Das Stück nach Cho Nam-Joos gleichnamigem Weltbestseller erlebte im Depot 2 seine deutschsprachige Erstaufführung.

Kim Jiyoung ist eine Frau wie jede andere. Anfang dreißig, verheiratet, Mutter, seit der Geburt ihrer kleinen Tochter Hausfrau. Doch plötzlich benimmt sie sich seltsam: Ohne es zu merken, schlüpft sie in die Rollen anderer Frauen in ihrem Umfeld, nimmt deren Sprechweise und Charaktereigenschaften an. Ihr ratloser Ehemann schickt Jiyoung deshalb zum Psychiater.

Cho Nam-Joos Roman „Kim Jiyoung, geboren 1982“ über die Lebensgeschichte einer jungen Südkoreanerin wurde 2016 zum Weltbeststeller. Im Depot 2 des Schauspiel Köln fand am Samstagabend die deutschsprachige Erstaufführung der Bühnenfassung (Regie: Marie Schleef) statt.

Indoor-Spielplatz als Kulisse

Ebenso wie Jiyoung verschiedene Personen verkörpert, teilen sich auch die Schauspielerinnen Kristin Steffen, Kotti Yun und Nicola Gründel die Rollen von Jiyoung und den Menschen in ihrem Umfeld untereinander auf. Trotz dieser schnellen Wechsel zwischen den einzelnen Charakteren driftet ihr Spiel aber nie ins Unübersichtliche ab. So erzählen sie Kim Jiyoungs Geschichte über Schulzeit und Studium hinweg bis zur Geburt ihrer eigenen Tochter und dem Beginn ihrer mysteriösen Krankheit.

Als Kulisse (Bühnenbild: Seongji Jang) dient dabei eine in knallig bunten Farben gehaltene Landschaft aus Kissen und Sitzgelegenheiten, die an einen Indoor-Spielplatz für Kinder oder das Setting einer Zeichentrickserie erinnert. Das Ensemble nutzt sie wahlweise als Bett, Sitzreihe im Bus, Klassenzimmer und Küchenanrichte oder räumt die Elemente mit vollem Körpereinsatz von A nach B quer über die Bühne, um die nicht enden wollende Arbeit zu symbolisieren, die die Frauen des Stücks verrichten müssen.

Bühne in Frauenhand

Jiyoung opfert nach und nach ihre Träume zugunsten von anderen, wie es auch ihre Mutter und ihre ältere Schwester vor ihr getan haben. Diese Parallelen in ihren Schicksalen spiegeln sich in ihrer Kleidung wider: Alle tragen die selben, schlicht gehaltenen grauen Hosenanzüge (Kostüm: Ji Hyung Nam) Marie Schleef hält sich mit ihrer Textfassung fast wortgenau an Chos Romanvorlage — selbst die Verweise auf wissenschaftliche Quellen zur sozialen Situation in Korea, die im Roman immer wieder eingestreut werden, hat sie übernommen.

Doch dem eher nüchtern gehaltenen Erzählstil des Buchs wird vom Hauptdarstellerinnen-Trio sowie dem Rest des Ensembles jede Menge Emotion und Schwung verliehen. Egal, ob die ganze Gruppe euphorisch über die Bühne rennt und tanzt, weil Jiyoung endlich ein eigenes Zimmer bekommt oder Kristin Steffen als überforderte Mutter ihren Arzt anbrüllt: In der Darstellung steckt so viel Gefühl, dass es den Zuschauer einfach packen muss.

Die rein weibliche Besetzung kann als subversives Element in der Inszenierung gelesen werden: Die Männer in Jiyoungs Welt werden ohnehin schon überall bevorzugt und nehmen, sowohl in der Familie als auch in der Arbeitswelt, die dominanten Rollen ein. Doch die Bühne ist ganz klar in der Hand der Frauen. Die einzige männliche Stimme gehört Jiyoungs Psychiater, der jedoch nie zu sehen ist, sondern ins Off verbannt wird.

Zwar spielt das Stück in Korea, doch in Jiyoungs Erfahrungen dürften sich Frauen auf der ganzen Welt wiederfinden. Als ein Klassenkamerad in der Schule sie zu hänseln und drangsalieren beginnt, erklärt Jiyoungs Lehrer ihr, dass der Junge dies nur tue, weil er sie insgeheim mag. Und als die junge Frau schwanger wird, ist es wie selbstverständlich sie, die ihren Job aufgeben muss, weil ihr Ehemann mehr verdient und seine Stelle sicherer scheint.

Mit ihrem Arbeitsplatz verliert Jiyoung die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung und wird auf die Rolle der Ehefrau und Mutter reduziert, die sie jedoch überfordert. Gönnt sie sich eine winzige Freude in Form eines Kaffees im Park, muss sie sich prompt von einer Gruppe fremder Männer vorwerfen lassen, dass sie sich mit dem Geld ihres Mannes auf die faule Haut lege.

Frauen, das macht das Stück immer wieder deutlich, müssen einander oder sich selbst beim Kampf gegen die Windmühlen der Ungerechtigkeit helfen. Und Jiyoung schlüpft letztendlich in die Rolle ihrer weiblichen Familenmitglieder, weil sie ist — und leidet — wie sie. Vom Publikum gab es am Schluss verdient viel Applaus.

100 Minuten ohne Pause, wieder am 20., 28.10. und 9.11. jeweils 20 Uhr, Karten-Tel 0221-22128400.


Auf einen Blick

Das Stück: Die 33-jährige Koreanerin Kim Jiyoung muss sich in einer von Männern dominierten Welt behaupten und kämpft mit ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter.

Das Ensemble: Die rein weibliche Schauspielerinnenriege bringt die Geschichte packend und mit einer großen Bandbreite an Emotionen auf die Bühne.

Die Regie: Marie Schleef hält sich textlich eng an die Buchvorlage, füllt die eher nüchtern gehaltene Erzählung aber mit viel Leben. (crb)