Köln – Wie soll es in der Ukraine weitergehen? Sind Waffenlieferungen der richtige Weg oder braucht es, wie erneut von einigen Prominenten gefordert, einen sofortigen Waffenstillstand? Und wie soll es soweit kommen? Diesen Fragen widmete sich – neben eines Themenblocks zur Corona-Situation in Deutschland – am Dienstagabend die ZDF-Talkshow „Markus Lanz“.
Zu Gast waren neben dem Virologen Hendrik Streeck, der sich nicht zum Geschehen in der Ukraine äußerte, auch der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter und die Philosophin Svenja Flaßpöhler. Während Kiesewetter sich für schnellere und umfangreichere Waffenlieferungen an die Ukraine einsetzt, gehört Flaßpöhler zu den Prominenten, die nun bereits zum zweiten Mal mit einem öffentlichen Appell die aktuelle Unterstützung der Ukraine in Frage stellen – und für einen sofortigen Waffenstillstand plädieren.
Die Wortmeldung der Prominenten hatte vor der Sendung bereits für scharfe Kritik von Kiesewetter gesorgt. „Was für eine Hybris verbunden mit totaler Unkenntnis über die russischen Ziele“, hatte der Sicherheitspolitik-Experte auf Twitter geschrieben. „Und ja, wer unterzeichnet? Augstein, Precht, Zeh und Co., all die intellektuelle Unfähigkeit Deutschlands, Russlands Geopolitik verstehen zu wollen… bitter für die ukrainische Bevölkerung!“
Roderich Kiesewetter: Bei Waffenstillstand wird Russland sich „freuen und erholen“
In der ZDF-Sendung rückte Kiesewetter nicht von seiner Kritik ab. „Ich nehme den Appell sehr ernst“, versicherte Kiesewetter, ihm fehlten jedoch zwei Perspektiven in dem Brief der Prominenten. „Das eine ist die der Ukraine, das zweite ist, dass nicht berücksichtigt wird, was die russischen Kriegsziele sind.“ Putin habe bereits früh klar gemacht, dass die Ukraine in seinen Augen kein Existenzrecht habe und das Moldau das nächste Ziel sei. „Wenn wir jetzt einen Waffenstillstand machen, wird sich Russland freuen und erholen“, warnte Kiesewetter. „Damit machen wir diesen Landraub zur legitimen Sache Russlands.“ Die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand sei daher „Hybris und Überheblichkeit im wahrsten Sinne“.
Flaßpöhler wich inhaltlich zunächst aus und verwies auf die Expertise der Unterzeichner und Unterzeichnerinnen des Appells. „Man muss doch als jemand, der Waffen liefert, auch Verantwortung übernehmen“, kritisierte Flaßpöhler. „Diejenigen müssen benennen, was für konkrete Kriegsziele damit erreicht werden sollen.“ Dahingehend gäbe es einen Dissens, führte die Philosophin aus. „Wünschen ist schön, aber man muss die Realität auch sehen“, erklärte sie und verwies auf Experten, die den Kampf der Ukraine für aussichtslos hielten. Daher müsste der Westen in einer „konzertieren Aktion“ auf Kiew und Moskau einwirken, um einen Waffenstillstand herbeizuführen und Verhandlungen möglich zu machen.
Kiesewetter fragt Flaßpöhler: „Was ist nach dem Waffenstillstand?“
Kiesewetter, ehemaliger Oberst der Bundeswehr, verwies hingegen darauf, dass die Ukraine bis zu den Kriegsverbrechen in Butscha, Borodjanka und Mariupol durchaus verhandlungsbereit gewesen sei. Das habe sich durch die Gräueltaten geändert. Auch auf russischer Seite gäbe es derzeit überhaupt keine Verhandlungsbereitschaft, erklärte Kiesewetter. „Wir helfen der Ukraine in eine Verhandlungsposition zu kommen“, so Kiesewetter. Dass Russland derzeit militärische Erfolge vorweisen könne, liege auch daran, dass Deutschland nicht genug Waffen liefere. „Was ist nach dem Waffenstillstand?“, fragte Kiesewetter, bekam von Flaßpöhler jedoch keine stichhaltige Antwort auf diese Frage.
Die Philosophin forderte stattdessen erneut eine „Deeskalationsstrategie“ vom Westen, „gerade auch mit Blick auf die globalen Folgen, die Hungerkatastrophe in Afrika und die Unruhen in Pakistan, weil die Leute sich ihr Brot nicht mehr leisten können.“ Für diese Kriegsfolgen sei der Westen mitverantwortlich, da er Waffen an die Ukraine liefere. Moderator Markus Lanz ließ das nicht gelten. „Das sehe ich komplett anders, es gibt nur einen Menschen, der dafür verantwortlich ist, und der heißt Wladimir Putin – wer denn sonst?“
Svenja Flaßpöhler beharrt auf ihren Standpunkt
Flaßpöhler versicherte, sie wolle auch nicht, dass der russische Krieg Erfolg habe, blieb aber bei ihrer Forderung. „Aber das ist das, was dann passiert“, warf Lanz ein – ohne Erfolg. Es gehe darum, den „Schaden zu begrenzen“, führte Flaßpöhler unbeirrt weiter aus. „Wir müssen dafür sorgen, dass sich Krieg nicht lohnt“, entgegnete Lanz. „Wenn wir an dem Punkt jetzt die Ukraine nicht befähigen, sich gegen diesen Aggressor zu wehren, dann wird sich dieser Krieg für den lohnen – und dann wird er es wieder und wieder und wieder machen.“
„Lassen Sie den Gedanken doch einmal zu, dass es schlicht nicht möglich ist gegen Russland zu gewinnen“, beharrte Flaßpöhler auf ihren Standpunkt und wollte auch beim dritten Nachfragen nicht beantworten, ob sie nun für oder gegen weitere Waffenlieferungen sei. „Wir sagen nur, dass man sich Fragen muss, welche Kriegsziele werden verfolgt und wie realistisch sind diese Kriegsziele?“ Die Forderung eines Waffenstillstands bedeute nicht, einen Diktatfrieden zu akzeptieren oder die Kapitulation der Ukraine zu fordern, versicherte die Philosophin.
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„Es geht darum, dass sich dieser Krieg gegen die Zivilbevölkerung richtet“, entgegnete Kiesewetter. „Der Punkt ist: Wenn es zu einem Waffenstillstand kommt, heißt das ja nicht, dass Russland Pause macht, sondern dann läuft die Russifizierung weiter“, erklärte der CDU-Politiker. „Die Waffen sind im Moment die Sprache, die Russland versteht“, so Kiesewetter. Putin baue genau darauf, dass der Westen die Sanktionen und die Unterstützung nicht durchhalte. Die Kriegsziele seien außerdem klar: Die ukrainischen Grenzen aus dem Februar 2022 sollen wieder hergestellt werden.
Roderich Kiesewetter: „Dann unterstützen Sie aber Russland“
Flaßpöhler ließ sich davon jedoch nicht beirren. Es habe noch keine Versuche gegeben, beide Seiten an einen Tisch zu bringen, behauptete die Philosophin. „Solang sie den Krieg unterstützen, wird das auch nicht passieren“, prophezeite Flaßpöhler. „Dann unterstützen Sie aber Russland“, entgegnete Kiesewetter. „Wenn man Verhandlungen will, muss man die Ukraine in eine Verhandlungsposition bringen. Wenn nicht so halbherzig geliefert würde, würde das auch funktionieren.“
Die Unterstützung der Ukraine sei daher fraglos richtig, befand der CDU-Politiker – und betonte eine weitere Perspektive. „Unsere Außenwirkung ist verheerend, wenn die Ukraine zerfällt“, erklärte Kiesewetter. „Dass am Ende Verhandlungen stehen müssen“, sei ohnehin klar. „Aber mit einem Waffenstillstand jetzt ist nicht geholfen“.