Damit eine Vorstellung reibungslos über die Bühne gehen kann, braucht es helfende Hände im Hintergrund. In unserer Serie „Wunderbar unsichtbar“ rücken wir diese in den Mittelpunkt - diesmal Kathrin Vinciguerra, Chefinspizientin der Oper Köln.
Kathrin Vinciguerra im PorträtUnterwegs mit der Chefinspizientin der Oper Köln
„Kathrin, sie wollen später alle deinen Job machen!“ Solche Rückmeldungen, erzählt Kathrin Vinciguerra, Chefinspizientin an der Oper Köln, seien keine Seltenheit, wenn etwa für Grundschulklassen eine Führung durch das Haus organisiert werde.
Zuerst kein Traumberuf
Den Grund für die Begeisterung kennt sie: Es ist ihr Arbeitsplatz an dem großen Schaltpult mit den vielen Knöpfen und Monitoren. „Das erinnert ja schon irgendwie an ein Cockpit. Das finden Kinder natürlich faszinierend.“ Recherchiert man über den Beruf, stößt man etwa auf einen Eintrag im „AMS Berufslexikon“, wo es recht nüchtern heißt: „Inspizienten/Inspizientinnen verstehen sich als organisatorisches Bindeglied zwischen Kunst und Technik.“
Darunter kann man sich alles oder nichts vorstellen — bis man Vinciguerra persönlich gegenübersitzt und ihr zuhört, wie sie voller Begeisterung aus ihrem Arbeitsalltag erzählt. Dabei war Inspizientin anfangs gar nicht ihr Traumberuf. Ursprünglich wollte sie Sängerin werden, stellte aber irgendwann fest, sie sei eher „dafür gemacht, nicht gesehen zu werden, aber trotzdem zum Gelingen beizusteuern.“
Tagsüber während der Proben und abends während der Vorstellung ist Vinciguerras Platz besagtes „Cockpit“, sprich Inspizientenpult, von wo aus sie die gesamte Bühne im Blick hat und für den reibungslosen Ablauf zuständig ist. Dazu gehört nicht nur, den Sängern, Musikern, Beleuchtern und Technikern ihre Einsätze anzusagen.
Starke Nerven
Auch bei Problemen und unvorhergesehenen Zwischenfällen ist es Vinciguerras Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Publikum davon möglichst wenig mitbekommt. Da sind dann starke Nerven, unkonventionelles Denken und eine gute Portion Kreativität gefragt.
In Erinnerung geblieben ist ihr etwa eine Anekdote, die sich noch im Opernhaus am Offenbachplatz ereignete: „Die Technik machte bereits massive Probleme. Eines unserer großen Sorgenkinder war die Bühnenversenkung. Wir beteten vor jeder Vorstellung, dass sie durchhielt. Eines Tages war es dann soweit: Mitten in der Vorstellung von ,Die Liebe zu den drei Orangen' von Sergei Prokofjew ging nichts mehr – und zwar unmittelbar vor einer Szene, in der die dicke Köchin von der Unterbühne nach oben gefahren werden sollte. Sie über die Treppe auf die Bühne zu schicken, hätte die Szene kaputtgemacht.“
Geistesgegenwärtig schickte Vinciguerra zwei kräftige Bühnentechniker hinunter, die die Köchin huckepack aus dem Loch bugsierten. „Für das Publikum war es äußerst amüsant, als zuerst eine riesige Suppenkelle auf die Bühne geworfen wurde und anschließend Uli Hielscher mit Kostüm und auf turmhohen Plateauschuhen hinterher krabbelte.“ Im Nachhinein kann man über solche Vorkommnisse durchaus lachen.
Im Moment des Geschehens möchte man aber bestimmt nicht mit Vinciguerra tauschen. Zumal es auch zu deutlich dramatischeren Zwischenfällen kommen kann. Etwa, als sich einmal ein Sänger zehn Minuten vor Vorstellungsende bei seinem Abgang von der Bühne im Sturz verletzte und ins Krankenhaus musste. Abgesehen davon, dass ein Abbruch zu diesem Zeitpunkt kaum noch zu realisieren gewesen wäre, hatte auf der anderen Seite der Bühne der Dirigent von dem Zwischenfall überhaupt nichts mitbekommen.
Vinciguerra gelang es zu koordinieren, dass der Verunglückte über den Hinterausgang von der Bühne transportiert wurde, während die Vorstellung weiterlief. Dann wiederum gibt es aber auch diese Tage, an denen einfach alles wie am Schnürchen klappt — Glücksmomente, die nie ihre Faszination verlieren. Während Inspizient in Deutschland bis heute ein Quereinsteigerberuf ist, für den es keine einheitlich geregelte Ausbildung gibt, sieht das in anderen Ländern ganz anders aus. „Da heißt das dann Stage Manager oder Direktrice du Scène“, erklärt Vinciguerra.
Gebürtig von der Ostsee
Diese Berufsbilder, fügt sie hinzu, seien allerdings weiter gefasst und qualifizierten neben der Inspizienz auch zur Regieassistenz. „Das war für mich aber nie eine Option. Ich wollte immer einen Beruf, der sich mit meiner Familienplanung vereinbaren ließ. Als Regieassistentin müsste ich nach der Probe immer noch hier etwas organisieren, da etwas vorbereiten, diesen oder jenen Anruf tätigen.“
Ihre Arbeit sei nach der Probe oder der Vorstellung weitestgehend getan. Ihre Entscheidung erwies sich als richtig: Trotz zwei Kindern und Arbeitszeiten abends und an den Wochenenden konnte sie ihren Beruf durchgehend ausüben und darf sich heute Chefinspizientin nennen. Dabei ist es ihr wichtig, zu betonen, dass sie mit ihrem fünfköpfigen Team auf Augenhöhe arbeitet. Der „Chef“-Zusatz in ihrer Berufsbezeichnung beziehe sich eher darauf, dass sie einige Sonderaufgaben, wie das Schreiben der Dienstpläne, wahrnehme.
Seit 1990 arbeitet Vinciguerra schon an der Oper Köln, seit 1992 in Festanstellung. Hat sie in all den Jahren auch mal mit dem Gedanken gespielt, sich an einem anderen Haus zu bewerben? Anfangs schon, räumt sie ein, aber dann habe sie geheiratet, ihre Kinder bekommen und irgendwann festgestellt: „Ich fühle mich hier wohl, es läuft, ich habe einen unbefristeten Arbeitsvertrag an einem Haus, das in der ersten Liga mitspielt. So etwas gibt man nicht auf.“ Dazu kommt, dass sie sich mittlerweile auch in Köln heimisch fühlt. Und das, wo sie gebürtig von der Ostsee stammt. „Ich bin also ziemlich norddeutsch geprägt.“