AboAbonnieren

„Es hält mich am Leben!“Judy Collins geht mit 83 Jahren auf Tournee

Lesezeit 4 Minuten

Bei ihren Deutschland-Konzerten vor sechs Jahren präsentierte sich Judy Collins noch mit wallender Mähne.

  1. Seit mehr als 60 Jahren ist Judy Collins eine feste Größe im Musikgeschäft, in ihrer US-amerikanischen Heimat zählt sie zu den Ikonen.
  2. Allein in Deutschland hat sie sich rarer gemacht, tritt nun aber am 8. November im Rahmen der Reihe „Sound of Nashville“ in Köln auf.
  3. Mit Axel Hill sprach die 83-Jährige über Alter, Männer und Tränen auf der Bühne.

Als ich zuletzt Ihr Lied „Kingdom come“ über die Feuerwehrleute von 9/11 hörte, musste ich mich sehr beherrschen, dass ich nicht mitten auf der Straße anfange zu weinen. Gibt es Lieder, bei denen Sie weinen müssen, wenn Sie sie live singen? Oder haben Sie eine Technik? Oder vermeiden Sie solche Lieder?

Oh, das hat mich in all den Jahren noch niemand gefragt. Ich durchlaufe eine lange Periode, um mich einem Lied zu nähern, so dass ich nicht weinen muss – denn dann kann man nicht singen. Es ist mir auch nur sehr, sehr selten passiert. Also ein Rat an Sängerinnen und Sänger: Wenn Euch nicht danach ist, Euch die Augen auszuheulen, singt besser das nächste Lied! (lacht)

Einige ihrer Lieder begleiten Sie seit den 1960er, 1970er Jahren. Es gibt Sänger, die ihre alten Songs nicht mehr mögen. Was tun Sie, damit „Both sides now“, „Amazing grace“ oder „Send in the clowns“ für Sie interessant bleiben?

Es sind halt gute Lieder. Und weil sie großartig sind, gibt es keinen Grund, sie nicht zu singen. Wenn sie doch nicht so doll sind, lässt sie fallen. Aber ich suche mir solche Songs erst gar nicht aus – also meistens. Live singe ich immer drei, vier der bekannten und viel neues Material. Ich habe übrigens eine neue Platte...

„Spellbound“ – sozusagen ein „Kind der Pandemie“...

Vor einiger Zeit habe ich beschlossen, 90 Tage lang jeden Tag ein Gedicht zu schreiben. Mein Mann schlug dann vor, auf 365 Tage zu erhöhen. Danach hatte ich dann sehr viel Material und konnte am Klavier ausprobieren, welche der Texte „flossen“. Ich musste natürlich vieles umstrukturieren und Reime einbauen. Denn es ist gut, wenn Liedtexte sich reimen – ansonsten ist man John Cage (lacht).

Bevor ich die nächste Frage stelle: Wie sehr sind sie gelangweilt über Fragen nach Ihrem Alter?

Überhaupt nicht– es ist doch für die meisten von uns ein interessantes Thema! Zuletzt bin ich mit Gordon Lightfood (dem Sänger von „If I could read you mind“, Anm. d. Red.) aufgetreten. Wir sind gleich alt und waren uns einig, dass das Schlimmste ist, dass man Freunde verliert: Meine Eltern sind tot, eines meiner Geschwister ist gestorben, ich habe meinen Sohn durch Selbstmord verloren und viele, viele enge Freunde. Andererseits: Du verlierst sie nicht wirklich, sie sind noch bei dir.

Was bedeutet Ihnen heutzutage auf Tour zu gehen?

Ich bin ja jetzt 83, und es hält mich am Leben: Ich bleibe aktiv, ich muss gesund bleiben – manchmal muss ich rennen, um noch ein Flugzeug zu erwischen. Ich muss mir überlegen, was ich mache, wenn das Hotel keinen Zimmerservice hat und muss wissen wo die guten Geschäfte sind (grinst).

Wenn man sich „Spellbound“ anhört, meint man nicht, dass dort eine Frau Ihres Alters singt. Nach wie vor schrauben Sie Ihre Stimme in höchste Höhen...

1965 habe ich nach einer Tournee meine Stimme verloren. Auf Empfehlung habe ich dann mit Max Margulis gearbeitet. Er wollte zunächst nicht, weil er meinte, Popsänger hätten nicht die nötige Disziplin. Er ließ sich dann erweichen, ich solle vorbeikommen – und es stellte sich heraus, dass wir nicht nur in New York im gleichen Haus, sondern sogar beide auf der 8. Etage wohnte. Ich habe dann 30 Jahre mit ihm gearbeitet, und er hat mir als Technik „Belcanto“ beigebracht.

Das könnte Sie auch interessieren:

Auf ihren Platten singen Sie vor allem Lieder, die Männer geschrieben haben: Bob Dylan, Leonard Cohen, Stephen Sondheim, Lennon/McCartney. Joni Mitchell ist die einzige Frau in dieser Riege. Wie kommt es?

(lacht lauthals) Ah, that male energy! Ich bin mit drei Brüdern aufgewachsen und einem Vater, der auch Lieder geschrieben hat. Ich mag die Energie von Männern, bin gerne mit ihnen zusammen. Aber gleichzeitig hatte ich auch immer sehr enge Freundinnen, verbringe viel Zeit mit ihnen, rede mit ihnen über alles. Vielleicht reicht das ja, dass ich nicht auch nicht ihre Lieder singen muss? (grinst) Aber ich plane ein ganzes Album mit Joni Mitchell-Songs.

Und das, obwohl sie angeblich nicht nett zu ihnen ist?

Das stimmt! Nachdem ich das von ihr geschriebene „Both sides now“ zu einem großen Hit gemacht habe und sie so sehr bekannt wurde, war sie ein paar Jahre lang sehr nett zu mir . Und dann plötzlich... (macht eine Geste , die Hals abschneiden andeutet – und lacht).