Carolin Raab sprach mit Regisseur Nuran David Calis und Dramaturgin Stawrula Panagiotaki über „Grenz-Erfahrungen“. Denn „Exil“, das neue Stück am Schauspiel Köln, behandelt Migration und Flucht.
Interview zur Premiere am Schauspiel Köln„Exil“ handelt von Migration und Flucht
Sie haben in Ihrer Familie selbst Fluchterfahrungen. Welche Bedeutung hat das Wort „Exil“ für Sie?
Calis: Eine zentrale. Kurz nach meiner Geburt haben sich meine Eltern entschieden, zurück in die Türkei zu gehen und sich eine neue Existenz aufzubauen. Doch 1980 kam es dort zu einem Militärputsch. Meinen Eltern gelang die Flucht, aber in Deutschland mussten wir politisches Asyl beantragen und hatten deshalb nicht mehr die gleichen Rechte wie vorher als Gastarbeiter. Das Asylverfahren hat sich neun Jahre hingezogen.
Wir waren zwar in Sicherheit, hatten aber Auflagen wie die Residenzpflicht, wegen der wir uns nur im Umkreis von 30 Kilometern um Bielefeld herum bewegen konnten. Der Schuldirektor und meine Lehrerin mussten zum Ausländeramt kommen und einen Reiseantrag für mich stellen, wenn wir auf Klassenreise nach Spiekeroog fahren wollten. Ich habe als Kind auch die Ängste meiner Eltern gespürt, die gehofft haben, bleiben zu können.
Will die Produktion den Fokus auch auf die lenken, die momentan weniger mediale Aufmerksamkeit bekommen?
Calis: Im Stück wird sichtbar, dass bei dieser Flüchtlingsproblematik mit zweierlei Maß gemessen wird. Es spielt immer mehr eine große Rolle, von wo jemand flüchtet. Wir machen sichtbar, dass die Ursachen für Flucht fast überall dieselben sind. Aber wenn sich der globale Süden in Bewegung setzt, treffen die Menschen auf die tödlichste Grenze überhaupt, das Mittelmeer. Wenn wir Flüchtlinge aus der Ukraine zu uns holen, kommen sie praktisch unversehrt auf einem sehr schnellen Weg hier an. Auf diesen Missstand versucht das Stück auch hinzuweisen.
Die Menschen in „Exil“ haben die Fluchterfahrung gemeinsam, sind aber doch eine heterogene Gruppe. Inwiefern greifen Sie das auf?
Panagiotaki: Vor allem durch Video-Interviews, in denen Menschen aus vielen verschiedenen Ländern zu Wort kommen. Wir haben Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, Burkina Faso, dem Iran, dem Irak. Da bekommt man ein sehr vielfältiges Stimmungsbild über die Schwierigkeiten, mit denen die Menschen sich auseinandersetzen mussten.
Im Ankündigungstext ist von „Menschenrechtsverletzungen im Namen von Grenzsicherung“ die Rede. Was ist damit gemeint?
Calis: Die bewusste Inkaufnahme, Menschen im Stich zu lassen: Etwa durch Deals mit Ländern wie Nigeria, wo man in Sammelflugzeugen geflüchtete Menschen aus anderen Ländern sozusagen abliefert. Europa entwickelt sich immer mehr zu einer Festung, wo sichere Fluchtwege von vornherein gekappt werden, damit Menschen aus dem globalen Süden keinen Weg hineinfinden.
Panagiotaki: NGOs, mit denen wir während der Produktion gesprochen haben, haben sich bei uns bedankt, dass wir diese Themen ins Theater bringen und sie nicht vergessen werden. Das geht einem total nahe, erzählt aber auch viel darüber, wie Aufmerksamkeit in den Medien geschaffen wird und wie schnell ein Verdruss entsteht, sich mit Themen wie Flucht und Migration auseinanderzusetzen.
Wie kommt es zu diesem Verdruss?
Calis: Wenn so oft über diese Themen geredet wird, hat man das Gefühl, es ändert sich nichts. Menschen harren an den europäischen Grenzen aus. Sie können nicht zurück nach Hause, weil dort Krieg herrscht, kommen aber auch nicht weiter. Diese Menschen haben eine Vorstellung von Europa als utopischem Raum, die sie antreibt. Sie nehmen all diese Schwierigkeiten auf sich, während wir den europäischen Traum gar nicht zu schätzen wissen, den wir leben. Das hat mich bei dieser Arbeit extrem verstört.
Es klingt, als wäre Exil kein Ort, sondern eine Art Limbus, in dem die Menschen gefangen sind.
Panagiotaki: Das wurde uns auch so gespiegelt. Eine Geflüchtete sagte, es fühlt sich an, als sei man lebendig begraben. Man kann weder hier noch dort sein, Exil ist ein „Nicht-Ort“, wo es kein Ankommen gibt.
In „Exil“ spielen einige Darsteller mit, die schon in Ihren früheren Produktionen dabei waren. Wie wichtig ist es Ihnen, am Schauspiel immer mit denselben Menschen zu arbeiten?
Calis: Sehr wichtig. Jeder Regisseur braucht eine Art künstlerische Familie. Man arbeitet gemeinsam für die Sache und versucht, das in eine ästhetische Sprache zu bringen. Und die menschlichen Wege sind natürlich kürzer, man kann viel direkter und konsequenter miteinander arbeiten. Durch die Vertrautheit entstehen auch stärkere Arbeiten.
Das Stück „Exil“
Es spielen Kristin Steffen, Ismail Deniz, Stefko Hanushevsky, Michaela Steiger und Oleksii Dorychevskyi. Die Uraufführung findet am Samstag, 14. Januar, um 20 Uhr im Depot 2 statt. (crb)