Wolfgang Joop spricht im Interview über Karl Lagerfeld, das Ende großer Modeschöpfer und die Oberflächlichkeit von Influencern.
Interview mit Wolfgang Joop„Früher konnte man sich erlauben, politisch unbequem zu sein“
Herr Joop, Ihre Korrespondenz mit Karl Lagerfeld war eher begrenzt...
Best friends waren wir nie. Mir sind noch sehr gut Abende bei den Shows in Paris in den Siebzigerjahren erinnerlich, da saß er in diesem oder jenem Club abends mit seiner Entourage am Tisch, das war sein Königreich. Trotzdem hat uns über die Jahrzehnte viel von Ferne verbunden. Als ich dann sehr erfolgreich wurde international, hat er mir die fragile Freundschaft still gekündigt. Aber da habe ich es mit Gertrude Stein, Verlegerin und Kunstsammlerin (1874–1946), gehalten: „Auch langsame Katastrophen gehen ganz schnell vorbei.“ Es gibt Wolfgang Joop, und es gab Karl Lagerfeld.
Ist Mode so eine Art Brandmauer in der heutigen Zeiten?
In diesen Krisen- und Kriegszeiten scheint es mir tatsächlich so, als gäbe es da eine imaginäre Mauer zwischen der realen und der Mode-Welt – und uns in der Mode-Welt kann nichts passieren. Das stimmt natürlich nicht. Zumal Fashion heute ohnehin nicht nur bloße Kleidungsstücke ist, Fashion heute ist Bewegung, so wie sich unser Planet bewegt. Street Style, Hip-Hop und Rap, das sind Bewegungen, die Mode ihren Stempel aufdrücken.
War das damalige Krongut Bornstedt in Potsdam mit dem Grundstück, auf dem Sie heute wieder leben, immer der Sehnsuchtsort Ihres Lebens?
Ja, meine Mutter und ihre Schwester, die geliebte Tante Ulla, wir waren hier doch eingebettet in dieser zeitweiligen Geborgenheit. Aber damals habe ich gelernt, was Verlust mit Frauen macht. Mit mir an der Hand fragte Mutter Anfang der Fünfzigerjahre andere Frauen, ob sie denn Post von ihren Männern bekommen hätten, ob denn ihre Männer aus dem Krieg wiederkehren würden. Und plötzlich stand dann mein Vater vor mir. Ich wusste nicht, wer da kommt. Mit dem Foto, das bei uns stand, hatte er nichts zu tun. Und meine Mutter hatte sieben Jahre auf ihn gewartet, nein, natürlich hatte sie nicht gewartet. Wir hatten Angst vor ihm, aus unterschiedlichen Motiven.
Dann kam der Gang nach Westen 1954.
Der Moment des Abschieds kam unverhofft über mich, plötzlich waren wir im westdeutschen Braunschweig. Dreizimmerwohnung. Gegenüber war ein Flüchtlingslager. „Unser“ Bornstedt war nun scheinbar Lichtjahre entfernt. Und eine Gisela mit dicken Backen fragte mich, ob ich auch ein Flüchtling „von drüben“ wäre. Der habe ich eine geknallt. Zweimal im Jahr sind wir immer nach Potsdam gefahren, zu Tante Ulla, die unser Anwesen so gut es ging in Schuss hielt, ich habe sie später dabei immer finanziell unterstützt und sie vor dem Mauerfall regelmäßig besucht.
Nach der Wiedervereinigung sind dann ihre Eltern wieder nach Potsdam gezogen
Da, wo wir gerade sitzen, war der Kuhstall, rechts von uns wurde das Heu heruntergeworfen und daneben war der Schweinestall. Das Buch habe ich oft hier mit viel Wehmut geschrieben – übrigens handschriftlich, meine Lektorin bei Rowohlt musste Tausende von Seiten geduldig transkribieren. Es gibt Leute, die sagen, meine Handschrift sei nicht immer die leserlichste.
Sie sagen: Die Zeit der großen Modeschöpfer ist vorbei. Wie das?
Weil die Fashion-Industrie heute von Konzernen gelenkt wird, da bekommen Designer ihre Befehle von oben, was sie zu tun und zu lassen haben. Früher konnte man sich erlauben, politisch unbequem zu sein.
Sie gelten als genialer Illustrator und Zeichner, haben Sie eine Vorstellung, wie viele Zehntausende Zeichnungen Sie bislang zu Papier brachten?
Keine Ahnung. Aber ich zeichne jetzt immer schneller, weil ich immer weniger Geduld habe. Was ich weiß: Wenn du gut zeichnen willst, musst du eine Menge über Anatomie wissen und auch über die Veränderung der Körperlichkeit. Der Körper rutscht im Alter zusammen, der Bauch kommt nach vorne, Proportionen schrumpfen. Mit der Anatomie des Menschen habe ich mich allerdings schon in jungen Jahren auseinandergesetzt als ich noch alte Meister gefälscht habe.
Ist das Alter ein relevantes Thema geworden?
Ach, momentan habe ich nicht so starke Bodenhaftung, weil ich viel vom Verschwinden spüre. Seit der Pandemie ist Fliegen für mich ein Albtraum, auf meine Gesundheit habe ich mehr zu achten als früher, Fleisch essen schadet der Umwelt und ist ungesund. Mir fällt auch auf, viele Frauen scheinen sich verabredet zu haben, den gleichen Stil zu tragen.
Das wäre bitte?
Sie betonen derzeit vor allem ihren Po, keine Ahnung, wer ihnen das eingetrichtert hat, Jennifer Lopez oder Kim Kardashian? Nun, Modetrends verbreiten sich ja wie eine Epidemie, und sogenannte Influencer versuchen uns diesen oder jenen Trend aufzuoktroyieren, obwohl sie oft nicht mal wissen, wie man Androgynie, Haute Couture, Tunnelbund oder Volants buchstabiert. Un faible niveau. Aber das zeichnet Social Media fatalerweise oft aus, wir haben es da mit einer suspekten Oberflächlichkeit zu tun, das ist so verdammt ermüdend.
Im kommenden Jahr ist eine umfängliche Werkschau Ihres künstlerischen Œuvres in Potsdam zu sehen...
Es werden Zeichnungen, Kollektionsteile, Skulpturen, Ölgemälde und Accessoires, Vintage-Möbel oder Tapeten sein. Meine Vielseitigkeit soll zum Ausdruck kommen. Für die Deutschen ist es doch immer noch anstrengend zu begreifen, dass ein Mensch durchaus mehr als nur ein Talent besitzen kann.