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Interview mit Anne-Sophie Mutter„Das Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht“

Lesezeit 7 Minuten
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Die Geigerin Anne-Sophie Mutter 

Köln – Am 16. Oktober konzertiert Anne-Sophie Mutter mit drei ihrer ehemaligen und aktuellen Stipendiat:innen in der Kölner Philharmonie im Streichquartett. In 25 Jahren sind aus ihrer Stiftung Musiker der Weltklasse hervorgegangen. Jan Sting sprach mit der Violinistin über Hoffnungen, aber auch Hürden sowie über die ungebremste Kraft der Begeisterung.

Ihre erste Lehrerin war Erna Honigberger. Was hat sie Ihnen mit auf den Weg gegeben?

Ich war fünfeinhalb und sie hatte eine riesige, ich denke auch uralte Schildkröte in ihrem Wohnzimmer. Ich war wie zu Gast bei Dr. Dolittle, der mit den Tieren sprechen kann. Im Garten hatte sie Hasen, einen Gemüsegarten. Dazwischen wurden Ševčík- oder Kreutzeretüden geübt. Es wurde nur das Wort „spielen“ benutzt. Und so habe ich diese vier Jahre empfunden. Sie hat ja immer wieder zwischen diesen eigentlich stinklangweiligen Etüden kleinere Stücke von Kreisler eingebaut, also wirklich Musikantisches, womit man sich ja als Steppke wohlgefühlt hat. Es klang einfach gleich nach etwas.

Geschichte des Streichquartetts

Bereits seit einigen Jahren konzerierten Ye-Eun Choi, Vladimir Babeshko und Pablo Ferrández an der Seite von Anne-Sophie Mutter. Dabei ist für die große Geigerin klar, dass die Generationen verbindende Kraft der Musik stets in beide Richtungen wirkt. Gemeinsam werden sie auf der Bühne zu Erzählern, wenn sie am 16. Oktober, 20 Uhr, in der Philharmonie mit Haydn, Mozart und Beethoven Geschichte des Streichquartetts nachvollziehen. (EB)

Sie haben eine Stiftung gegründet, in der auch das Erzählerische der Musik wichtig ist. Welche Kriterien zählen dabei?

Es sollten Musiker sein, die nicht nur etwas wiederholen, sondern im besten Fall neu entdecken, in dem vermeintlich schon Altbekannten, wenn es um das Standardprogramm geht.

Ihre Stipendiaten kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern. Wie ist die Gruppe gewachsen?

Da gibt es persische Wurzeln, also iranisch. Das ist der Kian Soltani. Es gibt Österreicher, Franzosen, Korea ist gut vertreten, Amerika, Spanien, Armenien, China, Slowakei, tatsächlich auch den einen oder anderen Deutschen. Es begann ja eigentlich alles mit dem deutschen Cellisten Daniel Müller-Schott. In 25 Jahren hat sich eine Gruppe von Stipendiaten gebildet, aus denen dann irgendwann „Mutter’s Virtuosi“ entstand.

In der Philharmonie spielen Sie mit Ihrer Stipendiatin Ye-Eun Choi an der Geige und Ihrem ehemaligen Stipendiaten Vladimir Babeshko an der Bratsche. Pablo Ferrández komplettiert das Quartett.

Der fast schon geniale spanischen Cellist, mit dem ich jetzt schon zum zweiten und letzten Mal das Brahms Doppelkonzert gerade veröffentlicht habe mit dem wunderbaren Manfred Honeck und der tschechischen Philharmonie. Er wird auf der letzte Teilstrecke dieser kurzen Quartettreise bei uns sein. Und darauf freue ich mich besonders, weil er einen unglaublich sinnlichen Zugang zur Musik hat.

Er hat schon tolle Preise gewonnen, darunter den renommierten Tschaikowsky-Wettbewerb. Sie können da immer noch vermitteln und fördern?

Ja, aber schauen Sie sich an, wer jede zwei oder vier Jahre bei großen Wettbewerben gewinnt, beim ARD-Musikwettbewerb oder den Joseph Joachim Violinwettbewerb. Wie viele treffen wir dann wirklich über das Jahr hinaus, in dem Gott sei Dank die Konzerttätigkeit mit dem ersten Preis verbunden ist? Wenige. Wenige haben tatsächlich die Fähigkeit, auf der Bühne diese Kommunikation mit dem Publikum aufzunehmen, zu überzeugen und dort auch bleiben zu können und zu wollen.

Was müssen sie für Fähigkeiten mitbringen?

Da sind über die Fertigkeit hinaus viele andere Kriterien. Dazu gehört Resilienz, unbedingt Intelligenz, Selbstkritik aber auch dieses gesunde „glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“, frei nach der Fledermaus. Da kann man nur von Roger Federer lernen, der auch nach einem verlorenen Match klar darlegt, dass der Gegner besser war, aber dass er gut gespielt hat. Die Fähigkeit, das eigene Scheitern oder das Noch-Nicht-Erreichen oder das Nur-Erreichen eines Teilziels als natürlichen Prozess zu sehen. Nur so entwickeln wir uns weiter, Kunst muss ja immer hinterfragen, darf und soll auch gerne altgewohnte Ansichten und Hörgewohnheiten über den Haufen schmeißen.

Sie wurden von Herbert von Karajan gefördert. Was verbinden Sie mit ihm?

Ich hatte das große Glück, in Herbert von Karajan einen Lehrmeister zu haben, der sich immer wieder hinterfragt hat. Mit großem Staunen nahm ich Anfang der 80er Jahre wahr, da hatten wir schon einige Jahre miteinander musiziert, dass er auch nach den größten Triumphen am nächsten Morgen völlig unberührt um zehn Uhr wieder die Partitur öffnete und von Anfang an begann. Seine Ideen waren derart verlockend, stimmig und aufregend. Im Leben ist es die große Kunst, dass man zu begeistern weiß.

Prägend war für Sie wohl auch Aida Stucki, nach der Ihre Stiftung einen Preis benannt hat.

Ich habe sie noch in ihrer aktiven Zeit als konzertierende Geigerin erlebt, mit 60 hat sie leider ihre Karriere beendet mit dem Beethoven-Sonaten-Zyklus in Winterthur. Wir waren alle platt ob der Stilsicherheit und der unfassbaren Technik und – ja Schlichtheit des Ausdrucks.

Pandemie und Krieg machen es schwer, auf dem Parkett Fuß zu fassen. Können Sie Perspektiven vermitteln?

Wir können an der Realität nicht vorbei fabulieren. Es sind katastrophale Zustände für uns alle – also nicht nur für die Künstler, das wissen wir. Aber die Kunst hat schon wahnsinnig gelitten, besonders die freischaffenden Künstler. Das sind ja nicht nur die Musiker, das sind auch die Schriftsteller, Schauspieler, Journalisten. Und viele werden wir nie wieder hören, nie wieder etwas von ihnen lesen, nie wieder von ihnen etwas sehen. Ich befürchte, dass das Ende dieser Talfahrt noch nicht in Sicht ist.

Wie gehen junge Musiker damit um?

Unterschiedlich. Ich habe von einem ganz fabelhaften jungen koreanischen Geiger, Thimothy Chooi, erfahren, der eines meiner modernen Instrumente genutzt hat. Was der alles nebenher schafft, er ist Mitte 20! Er hat in Kanada eine Stelle als Lehrer zu zwanzig Prozent. Er unterrichtet auch frei und spielt alle möglichen Kammermusikprojekte. Er hat einen Blog, in dem er über sein Leben schreibt, über Tourneen, was es bedeutet, im Rampenlicht zu stehen. Aber auch keine Arbeit zu haben, Angst vor der Zukunft und seine Rechnungen nicht bezahlen zu können. Aber er ist proaktiv.

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Wo setzt Ihre Stiftung an?

Ich habe viel Verständnis für die – und dafür ist meine Stiftung ja auch da – die erst einmal ein Auffangbecken brauchen mit Gesprächen, aber auch mit finanzieller Unterstützung, die jetzt über das Gröbste hinweghilft. Ich vermittle auch immer wieder mit dem verzweifelten Versuch, einen Manager zu finden, der so ein musikalisches Leben langfristig aufbauen möchte.

Wie war das während der Lockdowns möglich?

Wir haben während Corona versucht, so weit das möglich war, Hauskonzerte mit den Stipendiaten anzubieten, als man zeitweise nur für zehn Personen spielen durfte.

Wie früher in den Salons ...

Es würde uns in und für die Zukunft der Musik sehr helfen, wenn es noch mehr architektonisch und akustisch spannende Spiel- und Begegnungsstätten gäbe, auch für die Weltmusik. Ich denke an kleine Clubräume für ein sehr viel intimeres Miteinander, eben nicht im Konzertsaal, sondern in Clubatmosphäre mit den Musikern in der Mitte. Die Elphie in Hamburg ist doch der Beweis, wie viel Freude die Architektur im Publikum auslösen kann. Dabei ist der erste Ton noch gar nicht gefallen. Ich konstatiere, dass gerade in Zeiten der Not und eines schrecklichen Kriegs mitten in Europa der Wunsch nach Gemeinschaft wächst.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Musik ihren großen festen Platz in der Menschheitsgeschichte hat. Ich hoffe nur, dass wir uns immer wieder und rechtzeitig ihrer erinnern, damit das Artensterben einer großartigen Ausdrucksvielfalt jetzt ein Ende findet.