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Interview

Regisseur über „In Liebe, Eure Hilde“
„Was Hilde, Hans und ihre Freunde getan haben, ist unfassbar mutig“

Lesezeit 5 Minuten
Regisseur Andreas Dresen.

Regisseur Andreas Dresen.

In seinem neuen Film „In Liebe, Eure Hilde“ erzäht Regisseur Andreas Dresen von Hilde Coppi (1909 – 1943), die wie ihr Mann Hans zu der Widerstandsgruppe gehörte, die die Gestapo als „Rote Kapelle“ bezeichnete.  

Herr Dresen, Ihr Film „In Liebe, Eure Hilde“ zeigt Widerstand gegen den Nationalsozialismus mal ganz anders. Hilde und Hans Coppi sind keine überlebensgroßen Helden und ihre Aktionen werden fast beiläufig gezeigt. Wieso haben Sie sich dem Thema so genähert?

Das hat auch mit meiner Herkunft zu tun. In der DDR wurde der antifaschistische Widerstand fast glorifiziert. Widerstandskämpfer waren Superhelden, man mochte sich nicht mit ihnen vergleichen, weil sie so tapfer und mutig waren. Dahinter steckte auch politische Absicht: Wenn man sich mit solchen Menschen nicht zu vergleichen wagt, traut man es sich eben selbst auch nicht.

Als ich Bilder von Hans und Hilde Coppi und anderen Mitgliedern der von der Gestapo so genannten „Roten Kapelle“ gesehen habe, war ich fasziniert ob der Alltäglichkeit: Man sah junge Leute an einer Badestelle sitzen, auf dem Segelboot, an der Bushaltestelle, das hatte so eine wundervolle Normalität und ich dachte: Die sind wie ich in dem Alter. Sie wollen sich verlieben, eine Familie gründen, ein ganz normales Leben führen und die Welt genießen. Plötzlich waren sie mir ganz nah und ich dachte, es wäre schön, sie auch so nahbar zu zeigen, weil man dann eher in die Lage versetzt ist als Zuschauer, sich mit ihnen zu vergleichen und zu fragen: Wo würde ich stehen?

Der Widerstand der Coppis lief nicht auf einen Umsturz hinaus, sondern war eher subversiv. Wie schätzen Sie ihn ein?

Welche Form des Widerstands man auch übt, es ist eine unfassbare Leistung, sich gegen den gesellschaftlichen Trend zu stellen. Auch Stauffenberg und die Scholls sind ja gescheitert – aber ist Widerstand deswegen weniger wert? Was Hilde, Hans und ihre Freunde getan haben, ist unfassbar mutig.

Kommt der Film angesichts der Rechtsrucks der Gesellschaft zur perfekten Zeit?

Filme über solche Menschen sind immer wichtig. Ein Film muss größer sein als der aktuelle Zeitgeist, muss auch in zwanzig Jahren noch eine Nachricht zu vermitteln haben, auch außerhalb der deutschen Grenzen. Aber in unserer politischen Situation in Deutschland erscheint er traurigerweise passender denn je. Im Film sind erstaunlich wenig Nazi-Insignien zu sehen. Wieso? Es gibt fast eine Art Kanon, wie Filme dieser Art auszusehen haben: mit massenhaft wehenden Flaggen, aufmarschierenden Stiefeln, pathetischer Musik und Sepiafarben. Das ist das Bild, das wir von dieser Zeit haben. So zieht sich eine Art musealer Folie über diese Zeit und erschwert die Identifikation. Natürlich waren nicht alle Nazis prügelnde SA-Männer, die Gesellschaft jener Tage wurde vor allem getragen von der Masse der Mitläufer, die sich opportunistisch verhalten haben oder zu feige waren, sich zu wehren, weil sie auch berechtigte Ängste hatten. Wir wollten auch die Menschen, die mit dem System gelaufen sind, so darstellen, dass man sich mit ihnen identifizieren kann. Dann wird es einfacher, darüber nachzudenken, auf welcher Seite man selber stehen würde, und man kann viele Fragen auch ins Heute übertragen: Wo verhalte ich mich in meinem Alltag opportunistisch, und sei es gegenüber meinem Vorgesetzten? Wo halte ich den Mund, wo ich ihn nicht halten sollte?

Der Film handelt auch von Mutterliebe, von Hildes Liebe zu ihrem Sohn. War von vornherein klar, dass das dramaturgisch so zentral wird?

Im Gefängnis ist sie bei der Fürsorge für ihr Baby über sich hinausgewachsen. Es nimmt einen Großteil der Filmerzählung ein, weil es zeigt, wie aus Fürsorge und Verantwortung große innere Kraft entsteht. Dieses Baby hat überlebt, der heute über 80-jährige Hans Coppi jr. hat Ihr Projekt begleitet.

Waren Sie nervös, als sie ihm den fertigen Film gezeigt haben?

Klar. Hans Coppi ist in der Vorbereitung und Drehbuchentwicklung ein wunderbarer, hilfreicher Begleiter gewesen, er ist ein toller Mensch. Ich habe immer seine Mutter in ihm gesehen, weil er so zart und fein ist, das hat mich oft sehr gerührt. Und natürlich erwächst daraus eine Verantwortung, so sorgfältig wie möglich zu erzählen. Hans Coppi hat immer gesagt: Zeigt meine Eltern bitte als Menschen und nicht als die Überfiguren, zu denen sie oft stilisiert werden. Bei der Vorführung war ich sehr aufgeregt und es war extrem bewegend. Er sieht plötzlich seine Eltern auf der Leinwand, die er persönlich erlebt hat, aber nicht erinnern kann. Er war sehr berührt und wir waren es auch. Besonders schön war, als er bei der Uraufführung bei der Berlinale auf die Bühne kam und 2000 Menschen ihm Standing Ovations gaben. Er hat die Faust nach oben gereckt, es muss wie eine späte Genugtuung für ihn gewesen sein, dass über 80 Jahre nach ihrem furchtbaren Tod plötzlich Respekt da ist für das, was seine Eltern getan haben und auch für das, was er in seinem Leben durchlitten hat, weil er durch diese Erfahrung natürlich auch traumatisiert ist. Mir schossen die Tränen in die Augen – das sind die Momente, für die ich Filme mache.

Andreas Dresen, geboren 1963 in Gera, wurde mit zahllosen Preisen ausgezeichnet, darunter der Deutsche Filmpreis, der Grimme-Preis und der Bayerische Filmpreis. Zu seinen bekanntesten Werken gehören „Halbe Treppe“, „Sommer vorm Balkon“, „Gundermann“ und natürlich „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“.