Carolin Raab hat mit dem Regisseur Andres Veiel über seinen neuen Dokumentar-Film „Riefenstahl“ gesprochen. Der fast zweistündige Film über die Starregisseurin der Nazi-Zeit, Leni Riefenstahl, wird das am Donnerstag beginnende Film Festival Cologne eröffnen.
Neuer Blick auf NS-StarregisseurinDokumentation „Riefenstahl“ liefert Belege für Nazi-Ideologie
In einer Szene des Films wird Leni Riefenstahl gefragt, woran sich die Leute in 100 Jahren von ihr noch erinnern sollen. Was denken Sie, woran sollte man sich bei ihr erinnern?
Man kann an ihrem Beispiel lernen, wie schnell jemand verführbar ist, für faschistische Ideale einzutreten. Sie hat im Dritten Reich Filme gemacht wie „Triumph des Willens“ und „Olympia“ – und das aus einer tiefen Überzeugung heraus, damit das Große, Starke, das Überlegene zu feiern. Gleichzeitig sollte das Schwache, vermeintlich Fremde, Kranke nicht nur ausgegrenzt, sondern irgendwann auch attackiert und vernichtet werden. Und insofern ist Riefenstahl für mich jemand, der eine Warnung ist, wie wirksam so eine Ästhetik sein kann, wie gut Propaganda funktioniert.
Also könnten auch heutige Generationen aus dem Beispiel Riefenstahl noch etwas über Medien-Manipulation lernen?
Ja, absolut. Ich glaube, es geht gerade die Jungen noch viel mehr an, weil sie in einer Zeit leben, wo jedes Bild nicht nur manipuliert, sondern gleich ganz künstlich geschaffen und instrumentalisiert werden kann für fragwürdige Botschaften. In fünf oder zehn Jahren werden die Fragen „Wem kann ich überhaupt noch glauben, welcher Nachricht kann ich glauben?“ noch viel wichtiger. Denn dann kann alles erfunden sein, aber mit technischer Perfektion so rübergebracht werden, dass es von einer gut recherchierten Nachricht nicht mehr unterscheidbar ist.
Hat sich Ihr persönlicher Blick auf Leni Riefenstahl durch die Arbeit an diesem Film verändert?
Auf jeden Fall. Ich hatte zwei wesentliche Erkenntnisse. Eine war die Frage: „Was macht Schuld mit einem Menschen?“ Wir haben in Riefenstahls Nachlass ein Dokument gefunden, das im Zusammenhang mit einem Massaker in Końskie steht, bei dem 22 Juden ermordet wurden. Riefenstahl war dort als Kriegsberichterstatterin anwesend und hat später immer behauptet, sie hätte dieses Massaker gar nicht mitbekommen. Und wir haben dieses Dokument gefunden, wo ein Adjutant beschreibt, dass sie – wenn auch unwillentlich – das Massaker durch eine Regieanweisung mit ausgelöst hat: nämlich damit, dass sie die „Juden aus dem Bild“ haben wollte. Und da hat sich für mich die Frage ihrer Verwicklung in die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs noch einmal viel drastischer gestellt.
Die zweite überraschende Erkenntnis war, dass sie auch in den 70er und 80er Jahren weiter der NS-Ideologie sehr tief verbunden war. Sie hatte Sehnsucht nach einer starken Hand, danach, dass Deutschland in ein, zwei Generationen wieder zu Sitte, Anstand und Moral zurückkehren würde, weil die Deutschen die Veranlagung dazu hätten.
In Ihrem Dokumentarfilm ist Riefenstahl in einer Talkshow von 1976 zu sehen, in der sie alle Schuld von sich weist. Danach hat sie sehr viel Zuspruch aus der Bevölkerung bekommen – wie erklären Sie sich das?
Die Reaktionen erzählen ganz viel über die Bundesrepublik der 70er und 80er Jahre. Es gab in den 60ern erste zaghafte Versuche einer Aufarbeitung der NS-Zeit. Aber es gab auch die sogenannte schweigende Mehrheit. Die hatten genug von einem Schuldvorwurf. Riefenstahl hat auch in dieser Talkshow massivst gelogen, etwa indem sie sagte, dass sie nach dem Krieg drei Jahre in Gefängnissen verbracht hat. Wir haben nachgerechnet, und es waren insgesamt vielleicht sechs, sieben Wochen. Aber damit hat sie eine Opferrolle kreiert, auf die viele angesprungen sind. Daran konnte man sehen, wie schwer sich unser Land mit der Aufarbeitung getan hat.
Wie schwer fällt es, die Ästhetik und die technischen Errungenschaften von Riefenstahls Filmen vom Inhalt zu trennen?
Man muss differenzieren. Sie war eine großartige Editorin, das sieht man beispielsweise in der bekannten Turmspringerszene aus „Olympia“. Sie war auch eine gute Regisseurin. Das heißt, sie wusste, welche Kameramänner an welchen Ort gebracht werden müssen, damit sie ein Optimum an Ergebnis liefern. Sie war andererseits eine miserable Autorin. Wenn man ihre Drehbücher liest, dann ist es stilistisch und von der Tiefe der Figuren her flach, allenfalls hohl-pathetisch. Das hat ihr die Nachkriegskarriere verdorben.
Ihre Kunst kann man nicht von der Ideologie lösen. Die zeigt sich in Riefenstahls Umgang mit Kameramann Willy Otto Zielke. Der kam nach den Dreharbeiten zu „Olympia“ in die Psychiatrie und wurde dort zwangssterilisiert. Die Verachtung, die Zerstörung des sogenannten Kranken hat Riefenstahl unmittelbar miterlebt. Und ist nicht eingeschritten.
Für Sie ist also klar, Riefenstahl war Ideologin durch und durch?
Absolut. Das zeigt sich in vielen kleinen Details. 1934 sagte sie in einem Interview mit dem Daily Express, dass sie sich im Jahr 1931 eine Ausgabe von „Mein Kampf“ gekauft hat und schon nach Seite eins eine begeisterte Nationalsozialistin geworden sei. Dieses Interview fehlte aber in ihrem Nachlass. Zufall? Wahrscheinlich nicht. Auch solche Bilder wie in „Triumph des Willens“ vom Reichsparteitag in Nürnberg schafft nur jemand, der von Hitler begeistert ist. Zu behaupten, man hätte da nur das abgefilmt, was man vorgefunden hat, ist lächerlich.
Leni Riefenstahl hat ihr Material ganz bewusst inszeniert, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Haben Sie das bei dem Arrangieren des Materials für Ihren eigenen Film im Kopf gehabt?
Ja, natürlich. Ich bin dem Nachlass mit großem Misstrauen begegnet und habe fast wie ein Detektiv geschaut: Gibt es ungewöhnliche Klebestellen, ist irgendwo was entfernt worden? Gibt es bei den Briefen, die sie als Echo auf die Talkshow bekam, doch welche, die kritischer waren? Auffällig war, wie sie es geschafft hat, Menschen für sich zu gewinnen, ihr schauspielerisches Talent war da sicher sehr hilfreich. Das sieht man in den Talkshows, wo sie alle Register zieht, von der Opferrolle mit Tränen in den Augen bis hin zur Wut. Sie konnte andererseits auch sehr charmant sein. Sie war aber nicht intelligent genug, das, was sie hinterlässt, wirklich gründlich auszusortieren. Unser Glück war, dass Leni Riefenstahl Fehler gemacht hat. Sie hatte Telefonate mit ehemaligen SS-Mitgliedern und anderen überzeugten Nazis aufgenommen, deren kruden Ansichten sie beipflichtet. Sie hat nicht durchschaut, wie sie sich damit selbst belastet.
Zusammenarbeit mit Sandra Maischberger
Die Moderatorin und Journalistin Sandra Maischberger hat als Produzentin an „Riefenstahl“ mitgewirkt. Sie hatte bereits 2018 Zugang zu Leni Riefenstahls Nachlass erhalten, so Regisseur Andres Veiel. „Sie hatte meinen Film ,Beuys' gesehen, der ebenfalls größtenteils mit Archivmaterialien arbeitete. Von daher lag es für sie nahe, mich für ,Riefenstahl' anzufragen.“ Anfangs sei er noch etwas zögerlich gewesen, „doch dann überzeugten mich die ersten Funde, um einen neuen, unbekannten Blick auf Riefenstahl werfen zu können.“
Der Film „Riefenstahl“ wird das Film Festival Cologne am Donnerstag, 17. Oktober, 20 Uhr, eröffnen.