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Immanuel KantSeine Gedanken prägen das Grundgesetz

Lesezeit 5 Minuten
„Immanuel Kant am Schreibtisch“ aus dem Jahr 1872 von Johannes Haydeck.

„Immanuel Kant am Schreibtisch“ aus dem Jahr 1872 von Johannes Haydeck.

Immanuel Kant ist vor 300 Jahren geboren und prägte mit seiner Philosophie Generationen. Heute scheint er etwas aus der Mode gekommen zu sein, seine Rassentheorie erscheint fragwürdig.

Sein ganzes Leben lang kam Immanuel Kant aus Königsberg nicht heraus. Jenem piefigen Hauptstädtchen der Provinz Ostpreußen, das sich laut König Friedrich II. besser dazu eigne, „Bären aufzuziehen“ denn als „Schauplatz der Wissenschaft“ zu dienen. Lukrative Lehrangebote aus Erlangen, Jena, Halle und Mitau lehnte er ab. Er wartete lieber auf eine Professur in seiner Heimatstadt.

Sesselreisen

Reisen war dem Philosophen physisch viel zu anstrengend. Die Welt erkundete er lieber zu Hause auf seinen „Sesselreisen“, nicht selten sogar im Schlafrock, den er gleich nach seinen Vorlesungen um 10 Uhr morgens wieder anzuziehen pflegte. Leidenschaftslos wie ein Uhrwerk soll er seinen streng geregelten Tagesablauf vollbracht haben. 4.45 Uhr in der Früh weckte ihn sein Diener Lampe mit den immergleichen Worten „Es ist Zeit“. Um 7 Uhr begann die Vorlesung. 12.45 Uhr Mittagessen. 16 Uhr Spaziergang. 17 Uhr Lesen im Studierzimmer. Und um 22 Uhr ging er zu Bett, für gewöhnlich mit einer „nicht schweren Idee“, damit er auch ja gut einschlafen konnte.

Schon der Dichter Heinrich Heine spottete deswegen: „Die Lebensgeschichte des Immanuel Kant ist schwer zu beschreiben. Denn er hatte weder Leben noch Geschichte. Er lebte ein mechanisch geordnetes, fast abstraktes Hagestolzenleben in einem stillen, abgelegenen Gässchen zu Königsberg, einer alten Stadt an der nordöstlichen Grenze Deutschlands.“

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Bis heute machen sich viele über Kants Bodenständigkeit lustig. Kein Wunder. Einer wie er ist aus der Mode gekommen in einer Zeit, in der Spontanität als Nonplusultra zelebriert wird und Reisen im Billigflieger selbst bis an die entlegensten Winkel dieser Welt zu einem regelrechten Volkssport geworden ist. Allein schon der überholte Titel „Moralphilosoph“ klingt seltsam aus der Zeit gefallen. Wo Geld heute doch alles ist, Moral anscheinend nicht mehr zählt und ein Milliardär und notorischer Lügner wie Donald Trump es mit Fakenews als US-Präsident bis zum mächtigsten Mann der Welt bringt.

Kant für Gestreßte

Am 22. April 1724 kam Immanuel Kant als viertes von elf Kindern des Sattler- und Riemermeisters Johann Georg Kant und dessen Frau Anna Regina zur Welt. Sein 300. Geburtstag soll Anlass zu einer kurzen Ehrenrettung sein und aufzeigen, dass seine Gedanken an Aktualität nichts eingebüßt haben. „Es gibt Stimmen, die behaupten, die Aufklärung sei gescheitert – und zahlreiche Anzeichen sprechen dafür“, schrieb die 2012 verstorbene Ursula Michels-Wenz in ihrem Büchlein „Kant für Gestreßte“, das zum Jubiläum jetzt unter dem Titel „Klarsicht mit Kant“ (Insel) neu aufgelegt wurde.

Es gäbe aber, wie sie formulierte, auch andere, die davon ausgehen, dass die Aufklärung noch gar nicht erreicht worden ist deshalb eines weiteren Einsatzes bedürfe. Wendet man den Blick von den Industrieländern mal ab und schaut auf die Konfliktherde in Afrika und im Nahen Osten, oder die Gräueltaten des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, möchte man diesen Aufklärungs-Skeptikern recht geben.

Auch der in Frankfurt lehrende Philosoph und Kant-Experte Marcus Willaschek unterstreicht in seiner neuen Biografie „Kant: die Revolution des Denkens“ (C.H. Beck) die Aktualität von Kants Thesen, sieht ihn als Wegbereiter des Kosmopolitismus sowie der Idee der Menschenwürde und verweist darauf, dass sein Gedankengut auch das deutsche Grundgesetz und die Vereinten Nationen geprägt habe.

Sich auf Kant zu berufen, ist also immer noch legitim. Er mag zwar ein bisschen Staub angesetzt haben. Seine Rassentheorie etwa erscheint heute fragwürdig. Aber es gilt, ihn aus seiner Zeit heraus zu deuten. Einer Zeit, in der die Moral die Lücke füllen musste, die die Abkehr von Gott und vom Glauben gerissen hatte.

Die Erziehung des Menschen und seine moralische Ausbildung ebenso wie die seines Verstandes, waren für Kant, der früh beide Eltern verloren hat, sich als Privatdozent, Hofmeister und Bibliothekar durchschlagen musste, bevor er 1770 endlich seine erste Professur für Metaphysik und Logik erhielt, der Schlüssel zu einem guten Leben. Nur damit war seiner Meinung nach die „Revolution in dem Innern des Menschen“ und „der Ausgang desselben aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ möglich, die er in seinem berühmten Aufsatz „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung“ (1784) propagierte. Durch Beobachten, Unterscheiden, Urteilen solle jeder selbst sich eine Meinung bilden.

Zwischen Disziplin und Freiheitsstreben

„Habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen.“ Die freiwillige Verpflichtung zum Wohlwollen gegen alle und alles erwachse dann schon zwangsläufig aus der Logik. Daraus leitete Kant den „kategorischen Imperativ“ ab: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Bis heute streiten sich die Experten darüber, ob das gleichzusetzen sei mit der Volksweisheit des Sprichwortes: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“

Kants so modern anmutendes „Bestimme dich aus dir selbst“ geht tiefer. Die Balance zwischen Disziplin und Freiheitsstreben war ihm wichtig. Sein Ziel war es, eine systematische Anleitung zur Sittlichkeit durch Erkenntnis zu geben. Wobei die Einsichten des Verstandes sich stets im Zusammenleben mit anderen Menschen zu bewähren hätten, wie in seinen Hauptwerken „Kritik der reinen Vernunft“ (1781), „Kritik der praktischen Vernunft“ (1788) und „Kritik der Urteilskraft“ (1790) nachzulesen.

Das Wort „Kritik“ ist dabei nicht im heutigen Sinne, sondern vielmehr als „prüfende Beurteilung“ zu verstehen. „Die wahre Freiheit“, brachte es Ursula Michels-Wenz in ihrem Buch auf den Punkt, „ist bei Kant eine Freiheit zum Guten, während er jedes Sich-treiben-Lassen und uneingeschränkte Verfolgen persönlicher Begierden als Abhängigkeit von (niederen) Eigeninteressen sieht und folglich als Unfreiheit bezeichnet.“ Und mag das heute, 220. Jahre nach seinem Tod, manchem auch uncool erscheinen. Ist es nicht der einzige Weg?