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„Ihr wollt es dunkler“Stephen King lehrt seinen Lesern wieder das Gruseln

Lesezeit 3 Minuten
Wer auf Straßen wie hier in Nevada unterwegs ist, sollte Mut und genügend Benzin dabei haben. Davon handeln auch die Erzählungen Kings

Wer auf Straßen wie hier in Nevada unterwegs ist, sollte Mut und genügend Benzin dabei haben. Davon handeln auch die Erzählungen Kings.

Mit seinen Erzählungen „Ihr wollt es dunkler“ liefert Stephen King zwölf Erzählungen, deren Länge von Kurzgeschichte bis Novelle variiert.

Der Titel klingt wie eine Herausforderung. „Ihr wollt es dunkler? Gut so! Ich nämlich auch“, wird Stephen King im Klappentext seines neusten Werkes zitiert. Und mit „Ihr wollt es dunkler“, einer Sammlung von zwölf Erzählungen, deren Länge von Kurzgeschichte bis Novelle variiert, hält der 76-Jährige, was er verspricht.

Wilder Alligator

Nicht alle Erzählungen des Bandes sind zwar klassischer Horror, doch sie alle enthalten zumindest ein düsteres oder makabres Element. So könnte etwa die Kurzgeschichte „Laurie“ eine herzerwärmende Story über einen frisch verwitweten Mann sein, der neuen Lebensmut durch einen Hundewelpen schöpft, den seine Schwester ihm geschenkt hat. Könnte — wäre da nicht die Passage, in der der Nachbar des Protagonisten von einem wilden Alligator gefressen wird.

Ähnlich sieht es in „Auf der Slide Inn Road“ aus: Hier ist eine fünfköpfige Familie in ihrem klapprigen Auto zu einem Pflichtbesuch bei einer Verwandten unterwegs, als sie auf einer einsamen Landstraße einem mörderischen Banditenduo in die Hände fällt. Es ist schließlich der Großvater, der einen kühlen Kopf behält und die Verbrecher ganz brachial mit einem Baseballschläger unschädlich macht.

King ist sich nicht zu schade, manchmal anstatt fein konstruiertem, Taschenlampe-unter-der-Bettdecke-Grusel einfach auch den erzählerischen Baseballschläger auszupacken und mit billigen Schock- und Ekeleffekten zu arbeiten. Dass es aber auch anders geht, beweist er vor allem in der Geschichte „Klapperschlangen“. Hier muss sich der Protagonist Victor Trenton, den treue King-Leser bereits aus dem Roman „Cujo“ (1981) kennen, mit den rachsüchtigen Geistern zweier jung verstorbener Kinder auseinandersetzen.

Nächtliche Heimsuchungen

Die nächtlichen Heimsuchungen der beiden, die sich stets durch das unheilvolle Quietschen eines Rads an ihrem Kinderwagen ankündigen, jagen einem einen Schauer nach dem nächsten über den Rücken. Hier konstruiert King den Spannungsbogen meisterhaft, Horror-Fans kommen voll auf ihre Kosten. Manchmal bedient sich der Autor auch an Ideen aus seinen früheren Werken. In „Willie der Wirrkopf“ greift King die Figur eines dämonischen Großelternteils auf, dessen Geist nach seinem Tod auf den nichtsahnenden Enkelsohn übergeht. Das erinnert stark an die Kurzgeschichte „Omi“ aus dem Jahr 1984, die einen ganz ähnlichen Handlungsstrang aufweist.

Zugegeben: Bei einem Oeuvre wie Kings, das immerhin bereits mehr als 60 Romane und unzählige Kurzgeschichten umfasst, können solche Parallelen schon einmal vorkommen. Zumal King in „Ihr wollt es dunkler“ zeigen kann, dass ihm auch die frischen Ideen nicht ausgehen. Die Geschichte „Ein Fachmann für Turbulenzen“ erzählt nämlich sehr unterhaltsam von dem übernatürlich begabten Vielflieger Craig, der als Angestellter einer mysteriösen Organisation Flugzeuge davor bewahrt, bei Turbulenzen abzustürzen.

Und in der tragikomischen Erzählung „Zwei begnadete Burschen“ werden die Kindheitsfreunde Laird und Butch auf einem Jagdausflug unfreiwillig zu Lebensrettern einer Außerirdischen, die beinahe an einem Bienenstich stirbt. Zum Dank schenken die Aliens Laird und Butch künstlerisches Talent als Maler und Schriftsteller, das die zwei Freunde bald zu reichen Männern macht. Gleichzeitig warnen die Besucher aus dem Weltall — die der Erde übrigens einen Besuch abgestattet haben, um dort einen Hofflohmarkt zu besuchen — die Menschheit vor ihrem baldigen Untergang. „Ihr seid Kinder, die mit Waffen spielen“, lautet ihre wenig erbauliche Einschätzung.

Übernatürliches Ereignis

Viele der Geschichten handeln von zufälligen Begegnungen, von traumatischen Verlusten und deren Bewältigung oder — typisch King — von normalen Menschen die ein normales Kleinstadtleben leben, bis ein übernatürliches Ereignis alles durcheinander wirft. Manchmal sind die Geschichten überraschend, manchmal schockierend, manchmal ekelerregend, aber immer unterhaltsam. Stephen King liefert immer noch zuverlässig ab: Wenn seine Leser es dunkler wollen, bekommen sie es auch dunkler, und zwar so sehr, dass sie nach der Lektüre nachts vielleicht dann doch lieber das Licht anlassen.

Stephen King: Ihr wollt es dunkler. Erzählungen. Deutsch von verschiedenen Übersetzern, Heyne, 735 S., 28 Euro.