Interview

Regisseur Joachim Lang über Holocaust-Film
„Wir müssen die Populisten entlarven“

Lesezeit 4 Minuten
Ein Portrait aus der Täterperspektive: Magda Goebbels (Franziska Weisz), Joseph Goebbels (Robert Stadlober) und Lida Baarova (Katja Fellin) bei einer Filmpremiere.

Ein Portrait aus der Täterperspektive: Magda Goebbels (Franziska Weisz), Joseph Goebbels (Robert Stadlober) und Lida Baarova (Katja Fellin) bei einer Filmpremiere.

Regisseur Joachim Lang im Gespräch über seinen neuen Film „Führer und Verführer“, der jetzt in die Kinos kommt.

Den Film „Mackie Messer— Brechts Dreigroschenoper“ inszenierte Joachim Lang vor sechs Jahren mit Lars Eidinger in der Hauptrolle. Nun engagierte er Robert Stadlober als Joseph Goebbels in „Führer und Verführer“, einem Film über die Propaganda-Methoden des Nazi-Regimes. Lang war Leiter des Brecht-Festivals und ist Professor der Filmakademie Baden-Württemberg. Dieter Oßwald unterhielt sich mit dem 65-Jährigen.

Für die „Wannsee-Konferenz“ gab es viele Preise, für „Zone of Interest“ den Oscar. Gibt es eine Renaissance der Aufklärung?

Vielleicht. Mein Film war schon länger geplant, ich kann nicht sagen, was andere dazu bewegt hat, Filme über das Dritte Reich zu machen. Mir war es wichtig, eine bisher fehlende Lücke zu schließen und als erster Film die Führungszentrale der Nazis in den entscheidenden Jahren von 1938 bis 1945 darzustellen. Dabei treibt mich die Frage um, wie es möglich war, dass der Großteil der Deutschen Hitler in den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg folgte. Mein Film zeigt Manipulations- und Desinformationsstrategien, die damals als Propaganda bezeichnet wurden und auch heute noch relevant sind.

Sie schildern den Film aus der Täterperspektive, war hierzulande kaum gemacht wurde. Was war der Grund für diesen Ansatz?

Es ist ein Wagnis, die Täterperspektive an sich, aber besonders die führenden Täter zu zeigen, gerade in Deutschland, wo das als Tabu gilt. Aber es muss sein, weil ich nur damit aufklären kann, wie man heutigen Demagogen die Maske vom Gesicht reißen und sie entwaffnen kann. Die Nazis und Rechtspopulisten sind mitten unter uns, und wir müssen sie aus der Nähe betrachten, um zu verstehen, was hinter ihrer Fassade steckt. Dadurch sollen die Zuschauer sie verstehen, sie durchschauen und eine tiefe Abscheu gegenüber diesen Figuren entwickeln.

Braucht es ein neues Bild bei der Darstellung der Nazi-Verführer?

Ja unbedingt, es ist falsch, die Nazis nur als schreiende, plakative Dämonen darzustellen, wie es bisher meist gemacht wird. Diese reaktionäre Geschichtsbetrachtung stammt aus den 1950er Jahren, als die Deutschen das Unheil auf eine diabolische Führungsclique schieben wollten. Es ist wichtig zu erkennen, dass jeder verführbar sein kann, und zu verstehen, wie verabscheuungswürdig diese Verführer sind. Wir müssen die Populisten von heute entlarven und ihnen das Handwerk legen.

Reicht die Fake-News-Kette von einem Propagandaminister Goebbels bis zu TikTok?

Goebbels war für seine Zeit sehr modern. Seine Inszenierungen, wie die Sportpalastrede, waren multimedial, zunächst das Live-Event im Sportpalast, das komplett choreografiert war, dann die Zeitungen, das Radio und die Wochenschau, also alle damals neuen Medien. Die Rechten von heute haben längst die aktuell neuen Medien erobert und verbreiten Propaganda auf Plattformen wie TikTok. Wir müssen dem etwas entgegensetzen und aktiv in die Diskussion eingreifen, anstatt uns herauszuhalten.

Wie wahrhaftig sind die Dialoge, zum Beispiel wenn Hitler „Mein Hexenmeister“ zu Goebbels sagt?

Ich versuche, möglichst nah an den historischen Tatsachen zu bleiben, basierend auf belegbaren Zitaten. Natürlich muss ich dabei dramatisieren und zusammenfassen, aber die Dialoge sollen die Wirklichkeit und die Personen authentisch darstellen.

Zu Beginn gibt es eine Hitler-Rede, wo er ganz normal spricht. Wie haben Sie die gefunden?

Sie ist nicht schwer zu finden, aber sie ist trotzdem kaum bekannt. Wir machen uns oft ein falsches Bild von Hitler, weil Goebbels unsere Sicht beeinflusst hat und weil wir ein Bild reproduzieren, das weder stimmt noch uns weiterhilft. Wenn man sich eine Hitlerrede in voller Länge anhört, beginnt er meist ruhig und überzeugend, er schreit oft erst am Schluss, und in Filmen wird oft nur dieser kurze Schluss gezeigt.

Ihr Film über John Cranko kommt bald in die Kinos. War dieser leichtere Stoff eine Erholung?

Der Holocaust-Film hat mich sehr belastet und während der Zeit im Schnitt an den Rand eines Zusammenbruchs gebracht. Die Verantwortung gegenüber den Holocaustüberlebenden hat mich angetrieben, und so habe ich es geschafft. Aber so einen Film kann ich nur einmal im Leben machen. „Cranko“ ist ein Kunstfilm, aber auch hier bleibe ich meinen Anliegen treu. Cranko wollte die Menschlichkeit ins Ballett bringen, und das spiegelt sich auch in meinem Film wider. Er beschäftigt sich mit Kunst und einer faszinierenden Figur, es geht um die Sehnsucht nach Liebe, um Zeit, die uns bleibt, um die Kunst zu leben.


Auf dem Filmfest in München feierte „Füher und Verführer“ in Anwesenheit der Zeitzeugen Charlotte Knobloch, Leon Weintraub, Eva Umlauf, Ernst Grube und Eva Szepesi seine Weltpremiere. Bei dieser Veranstaltung hat der Film von Regisseur und Autor Joachim Lang den Audience Award für den besten deutschen Film gewonnen. Nun ist er in den Kinos zu sehen und Lang geht auf Deutschland-Tour. Am Sonntag, 14. Juli, ist er in Kölner Odeon bei der Vorstellung um 16.30 Uhr dabei. Im Bonner Rex Theater ist er bereits um 13.45 Uhr.