In der Geschichte kennt man Revolutionen ja eher als singuläre, selten durchweg erfreuliche Ereignisse, gerne nach Farben oder Monaten benannt. Heute ist das Wort anscheinend fest im Vokabular der PR-Spezialisten verankert: Sei es bei der „Konservativen Revolution“ von Alexander Dobrindt oder bei der im Studio von Frank Plasberg vom VW-Vorstandsvorsitzender Herbert Diess ausgerufenen „E-Auto-Revolution“. Gibt es bald also wütende E-Autos auf den Straßen Deutschlands, die Benzinmotoren vor sich hertreiben? Und die Studierenden, Schülerinnen und Schüler, die momentan bei den „Fridays for Future“-Demonstrationen auf die Straße gehen - stünden die mit den elektrisch betriebenen Volkswagen im Schulterschluss oder ihnen gegenüber? Frank Plasberg ließ darüber diskutieren – und seine Talkshow startete sicher nicht zufällig nach einer Dokumentation über die Kaiser-Pinguine der Antarktis, die es jedes Jahr schwerer haben, ihren Nachwuchs zu ernähren.
Die Gäste
Ulf Poschardt, Chefredakteur Welt
Der selbsterklärte Hedonist und Chefredakteur der „Welt“ sei in einer Stimmung der Panikmache groß geworden, erklärt Poschardt. Man könne keine Kinder mehr in diese Welt setzen. Und Ski-Fahren würde man auch nicht mehr können, das sei überhaupt das Schlimmste. Trotzdem: Dreißig Zentimeter Neuschnee fand Poschardt zuletzt in den Alpen. „Das ist Wetter, kein Klima“, unterbricht Plasberg sofort. Poschardt rudert schnell zurück: „Ja, ich weiß, ich kenne den Unterschied“ und gibt noch ein gönnerhaftes „verdienter Applaus“ hinterher. Zuerst müssten die großen Themen angegangen werden, so Poschardt. Erst die Städteplaner und die Firmen-Chefs, die noch kein Home-Office möglich machen, in die Pflicht nehmen, bevor es an die heimische Garage geht.
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Poschardts einziger Indikator für klimafreundlichen Konsum scheint Langlebigkeit zu sein. Seinen Sportwagen relativiert er mit der Aussage, er schmeiße den Wagen ja nicht weg. Sondern fahre ihn mit Genuss und deswegen viel bewusster. Lieber als über den Klimawandel spricht er eigentlich auch über Mobilität und überhaupt darüber, was Menschen eigentlich sonst so mit ihren Autos machen: Spaß haben, sich selbst darstellen. Und gegen E-Autos, die keine Seele haben, kommen eben auch Pinguin-Babys nicht an.
Luisa Neubauer, Klimaaktivistin
„Es gibt ja erstmal keinen Anlass, darauf zu vertrauen, dass sich wirklich was ändert. Das müssen sowohl die VW-Menschen als auch die Bundesregierung erstmal beweisen.“ Entschiedener Applaus folgt bei diesen Worten der Geografie-Studentin und Mitbegründerin der „Fridays for Future“-Bewegung. Neubauer zeigt sich durchweg gut vorbereitet, argumentiert mit wissenschaftlichen Hintergrundfakten und pariert Poschardts emotionale Ansprachen mit viel Souveränität. Zu Beginn kritisiert sie, was jedem bei der Gästeauswahl auffallen muss: In der Diskussion über Klimaschutz sitzt kein einziger Klimaforscher.
Auch sie sieht sehr viel Schuld bei der Politik - ganz entgegen Poschardts Vorwurf, die Debatte zu individualisieren: „Die Koalition rettet zuerst ihr eigenes Klima” zitiert Neubauer eine Überschrift der vergangenen Tage. Merkel müsse ihre Hausaufgaben machen, wiederholt sie eine bei den Schüler-Protesten viel gehörte Forderung. Schon der Kohleausstieg hätte deutlich schneller passieren müssen, so Neubauer, damit ihre Generation überhaupt noch einen Planeten hat, auf dem sie leben kann. Dem Argument, E-Autos hätten keine Seele, begegnet sie einigermaßen fassungslos. Man könne sich nicht ewig an diesen Symbolen der (Post-)Moderne wie Autos und Flieger aufhalten. Dazu sei das Thema mittlerweile viel zu dringend. „Wir brauchen eine Menschheit die weniger fliegt, und Milliarden Menschen, die weniger Fleisch essen.”
Svenja Schulze, Bundesumweltministerin, SPD
Die Bundesumweltministerin muss als Blitzableiter in Plasbergs Runde herhalten. Von beiden Seiten hagelt es Kritik. Ist man sich auch sonst nicht bei viel einig, so doch in einem Punkt: Die Politik müsste viel mehr tun. Die bisherigen Maßnahmen reichen nicht, findet Luisa Neubauer, oder verbieten zu viel, finden Markus Lanz und Ulf Poschardt. Auch Herbert Diess stellt Ansprüche: die Infrastruktur und den Strom-Mix entsprechend der revolutionären E-Mobilität auszubauen. Schulze erinnert aber auch an den wichtigsten Grundsatz der Klimaproteste: „Man kann mit dem Planeten und den Ressourcen nicht verhandeln.” Deutschland als Industrienation habe die Ingenieure mit dem nötigen Know-How, um „alle Leute mitzunehmen”.
Der Klimawandel treffe eben vor allem die Menschen und Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen, so die SPD-Politikerin. Poschardts eingeworfenen Bedenken am Atom-Ausstieg steht sie energisch entgegen. Diese Technologie sei dreckig und gefährlich und niemand wolle sie wirklich. Mit ihrem neuen Klimaschutz-Leitfaden wolle die Regierung jetzt nicht mehr nur Ziele benennen, sondern auch den Weg zu diesen Zielen zeigen. „Verlässlichkeit aufbauen”, nennt Schulze das.
Herbert Diess, VW-Vorstandsvorsitzender
Man hätte erwarten können, dass der Vorstandsvorsitzende von VW in Plasbergs Diskussionsrunde mehr um seinen Stand zu kämpfen hat, doch Herbert Diess hatte Glück. Nachdem er die oben bereits zitierte Revolution via Einspieler ausrufen durfte, rührt Plasberg zuvorkommend die Werbetrommel. Diess erklärt ausführlich, wie großartig die nächste Generation E-Autos wird, der sich VW verschrieben hat. Obwohl er zu Beginn der Runde erwähnt, sein ökologischer Fußabdruck sei mehr als 1000 Tonnen Co2 schwer - er fliege eben sehr viel beruflich - kommt er weitgehend ungeschoren in der Diskussion davon. Die „jungen Leute haben neue Qualität in die Diskussion gebracht”, gibt sich Diess beim Versuch, sich Sympathien der Demonstrierenden zu sichern. Und überhaupt, VW habe nicht bei den CO2-Werten getrickst, sondern nur Stickoxidwerte nicht eingehalten. „Die E-Autos werden super emotional”, bemüht sich DIess außerdem schnell auf Poschardts Seelen-bei-Autos-Monolog zu versichern. Unwidersprochen.
Markus Lanz, Fernseh-Moderator
Der Moderator fährt immerhin seit längerer Zeit einen Plug-In-Hybrid. Der habe eine Seele, versichert Lanz in Richtung Poschardt. In der ersten Hälfte der Sendung beschränkt sich Lanz’ Aufgabe auf Fotos und Reiseberichte. Schmelzendes Eis in der Arktis, weniger Futter für die Rentiere in Lappland und verdorbene Weinernte in seiner „südtiroler Heimat”. Zu manchen Orten komme man eben nur mit dem Flugzeug hin. „Mit dem Gummiboot ist das schwierig”, so Lanz. Außerdem habe er Verständnis dafür, wenn Menschen sich dem Thema Klimawandel und Klimaschutz nicht dogmatisch nähern wollen.
Persönliche Verbote lehnt Lanz deswegen ab, er wünscht sich eine Politik, die mehr zukunftsgerichtet arbeitet. Veganer beleidigen führt ja auch zu nichts. Lanz fragt die Politiker, wo sie in den Jahren zuvor waren, als es die Fragen, die Neubauer und die Freitags-Demonstranten jetzt stellen, eigentlich längst zu beantworten galt. Er kritisiert außerdem, dass die Politik sich an die Demonstrierenden heranschmeiße, das Verhalten der Regierung und Merkel sei einfach unehrlich und von Wahlkampf-Denken geprägt.
Was macht Plasberg?
Plasberg scheint vor allem darum bemüht, die E-Autos gut darzustellen. Zumindest scheint das seine Absicht zu sein, als er Diess explizit auffordert, ein bisschen Werbung dafür zu machen. Schick, präzise, komfortabel werden die Wagen sein, verspricht dieser. Inklusive Sprachsteuerung, Komfort-Ausstattung und natürlich Seele. Plasberg bemüht sich mal mehr, mal weniger effektiv, die Beiträge der Gäste ausgeglichen zu gestalten. Allerdings wird er mehrfach darin von Poschardt und Lanz unterbrochen, die an Stelle von Schulze auf Fragen antworten.
Ob Chinas „gelenkte Demokratie” vielleicht ein Vorbild für Deutschland sein könnte, nachdem dort per Partei-Entscheid auf E-Autos umgestellt wird? Und was halten Schulze und Neubauer eigentlich von dem in der Presse zuletzt viel diskutierten Vorschlag, ein begrenztes Flug-Kontingent pro Bürger einzuführen, sodass Vielflieger sich die „Rechte” von Wenigfliegern einkaufen müssen? Bei Neubauers Antwort zeigt Plasberg einen besonders kurzen Geduldsfaden: als die Aktivistin sich um eine deutliche Antwort zu drücken scheint, straft er sie sofort ab.
Erregungsfaktor
Hoch. Nicht erst, als Poschardt die Parallele zum Tempolimit explizit zieht, fällt die ähnliche Diskussionskultur in beiden Fragen auf: Wenn es in Deutschland um Autos und Mobilität geht, spricht man schnell nicht mehr über wissenschaftliche Fakten und Grundlagen, sondern über Gefühle, Identifikation mit dem Wagen und „Seele”. Plasbergs Runde dürfte außerdem mit diversen Zwischenkommentaren für Erregung beim Zuschauer gesorgt haben: „Finden sie, dass Frau Neubauer wie eine moralische Jeanne d’Arc auftritt?” fragt Plasberg Richtung Poschardt. „Überhaupt nicht. Irre charmant!” versichert der Journalist schnell väterlich („Anders kann ich's nicht”), Neubauer verzieht das Gesicht.
Was haben wir gelernt?
Moral macht Poschardt die Laune kaputt. Und wie ihm, anscheinend einigen anderen Deutschen auch, die erstmal die wirklich großen Klimasünder in der Verantwortung sehen wollen. Sicher ein richtiges Anliegen - es muss eine Mentalität geschaffen werden, in der klimafreundliches Leben nicht nur möglich, sondern auch attraktiv und leicht ist. Das schließt in der Tat Städteplanung, eine funktionierende, günstige Infrastruktur und Subventionen auf klimafreundliche Artikel mit ein. Aber Neubauer erinnert auch an die Ergebnisse zahlloser Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen weltweit: Wir haben keine Zeit, auf die Ergebnisse dieser trägen Maßnahmen zu warten. Wenn dieser Planet gerettet werden soll dann müssen wir jetzt etwas tun. Jeder. Heute. Und wenn es nur ein Steak weniger in der Woche ist.