„Happier Than Ever“Billie Eilish gelingt mit ihrem zweiten Album ein großer Wurf
Köln – Diesen Druck möchte man nicht im Nacken haben: Nach einem millionenfach verkauften und mit Preisen überschütteten Album warten Fans und Öffentlichkeit auf die neue Platte. Zweieinhalb Jahre später ist es nun soweit, Billie Eilish veröffentlicht „Happier Than Ever“ (Universal). Und die immer noch erst 19-Jährige schafft es, überwiegend lässig und entspannt und vor allem ganz bei sich zu klingen.
Zu meistenteils sparsamer Instrumentierung singt Eilish gewohnt zurückgenommen. Das Bild, wie sie im Zimmer ihres Bruders Finneas auf dem Bett sitzt und man zusammen Songs aufnimmt, findet auch auf „Happier Than Ever“ seine akustische Entsprechung.
Typisch für den Sound der beiden sind auch die zwei, drei Uptempo-Nummern wie „Oxytocin“, die elektronisch und übersteuert daherkommen. Musikalisch werden hier keine Bäume ausgerissen oder Kontinente jenseits der bekannten Welt entdeckt.
Aber unter den 16 Songs, von denen fünf innerhalb der vergangenen zwölf Monate als Vorabsingles veröffentlich worden sind, finden sich keine echten Aussetzer. Im Gegenteil: Hier liefert das hörbar gut eingespielte Geschwisterpaar eine runde Sache ab, aus den Versatzstücken ergibt sich ein geschlossenes Bild.
Bei den Texten lohnt sich das genaue Hinhören
Noch wichtiger als die Musik sind vielleicht die Texte, zu denen Eilish vorab ein erklärendes Video herausgebracht hat. Besser war es wohl, denn vieles bleibt kryptisch, wird angerissen oder ist nur zu verstehen, wenn man die Autorin ist. Oder kann auch einfach überhört werden.Eine Reihe von Textstellen können als Erfahrungen mit dem neuen und sicher anstrengenden Ruhm gelesen werden. Es gebe viel, für das sie dankbar sei, aber es sei eben auch anders, wenn Fremde vor der Haustür stehen, singt sie in der Eröffnungsnummer „Getting older“. Das kann man auf Fans beziehen – aber auch auf Stalker oder gar Ärgeres. Die Zeile „Es war nicht meine Entscheidung, missbraucht zu werden“ lässt bei aller Brutalität Interpretationsspielraum zu. Oder doch nicht?
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So könnte auch „I didn’t change my number“ an den Ex gerichtet sein, dessen Anrufe sie nicht mehr beantwortet, oder an Freunde, die mit dem neuen Bekanntheitsgrad der Sängerin nicht umgehen können. Weitere Themen: Schönheits-OPs, übersteigerte Idealvorstellungen, Machtmissbrauch in Beziehungen und und und...
Hier hat sich eine 19-Jährige viele Gedanken gemacht – und dabei das Kunststück vollbracht, alles andere als altklug rüberzukommen. Und man ist gespannt, wohin ihre Reise geht und freut sich auf die nächsten Platten.