Musik-ErziehungPianisten-Ehepaar: „Vierhändig-Spielen lehrt mehrere Wahrheiten“

Gülru Ensari und Herbert Schuch sprechen über sich als Pianistenpaar.
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Köln – In der Pandemie fanden Gülru Ensari und Herbert Schuch Zeit, nach ihren unterschiedlichen musikalischen Wurzeln zu suchen. Sie wurden Eltern und überlegen nun, wie ihre Tochter an die Musik herangeführt werden kann. Jan Sting sprach mit dem Pianistenpaar.
Wie hat sich die Pandemie auf Ihren Terminkalender ausgewirkt?
Gülru Ensari: Gut. Die Pandemie passte perfekt in unsere Elternzeit (lacht).
„In Search of“ heißt Ihre neue CD – eine Suche anhand von musikalischen Kinderszenen. Pate stand auch Tschaikowskys Musik, die in Walt Disneys „Fantasia“ und „Dornröschen“ Verwendung findet.
Ensari: Mein Liebling war „Dornröschen“, das habe ich als Kind mindestens drei Mal die Woche gehört. Ich könnte das von Anfang bis Ende schildern, obwohl ich es ewig nicht mehr gehört habe. Als Kind braucht man das. Da liest man auch ein Buch hundert Mal.
Herbert Schuch: Das bekommen wir gerade ganz gut bei unserer kleinen Tochter mit. Sie hört immer noch die Weihnachtslieder.
Aber zwischen der Dornröschen-Dauerschleife im Kinderzimmer und Auftritten heute liegt ja einige Zeit. Wonach suchen Sie?
Pianisten-Ehepaar: Musik-Erziehung ohne Druck
Schuch: Als Eltern stellen wir die Frage, wie wir einen Zugang zur Musik schaffen können, der spannend ist, aber ohne Druck. Ohne das „Hurra, wir machen einen Musiker aus unserem Kind“, wie es viele Eltern haben – wie auch mein Vater. Und ich glaube, dass ich zu allem ja gesagt habe. Heute frage ich, womit das zusammenhing.
Musikalische Erinnerungen

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Gemeinsam schwelgen Gülru Ensari und Herbert Schuch auf ihrer CD „In Search of“ (SWR2) in musikalischen Erinnerungen ihrer Kindheit. Seit 2014 spielen sie als Duo an internationalen Spielstätten – vierhändig an einem Klavier oder auf zwei Klavieren unter anderen im Bozar in Brüssel, in der Kölner Philharmonie, in München, Salzburg, beim MiTo Festival in Mailand und Turin sowie beim Istanbul Music Festival. (jan)
Haben Sie das Klavierspiel als Druck empfunden?
Schuch: Es hat mir Spaß gemacht und eine Welt eröffnet, in der ich mich ausdrücken konnte und in der Erfolge gefeiert wurden. Damals spielte ich auch noch Geige, und als ich mit acht mit meiner Familie aus Rumänien nach Deutschland kam und bei „Jugend musiziert“ als Geiger schlecht abschnitt, brach für mich eine Welt zusammen: Man ist in einer geschützten Blase, geht raus und merkt, man ist nicht der Einzige.
Ensari: Ich war auch in einer Blase. Ich war auf einer deutschen Schule in Istanbul, aber jahrelang nicht im Konservatorium. In meinem Freundeskreis gab es niemanden, der Klavier spielte.
Aber Ihre Mutter ist Pianistin.
Ensari: Und sie war extrem streng. Mein Alltag als Kind sah nicht schön aus: Ich kam von der Schule, durfte nicht einmal die Uniform ausziehen und musste sofort mit dem Üben anfangen. Währendessen wurde ich gefüttert. Aber es gab auch schöne Zeiten. Es gab viele Parties, um die Ecke war McDonald’s, ich hatte einen Mickey-Mouse-Pullover und überhaupt war es sehr amerikanisch.
Was wollen Sie bei Ihrem Kind anders machen?
Ensari: Es soll natürlicher sein. Aber klar – sie kommt durch uns zur Musik und ihre Lieblinge sind ein Dornröschenbuch und Tschaikowskys Nussknacker. Sie tanzt den ganzen Tag danach.
Herr Schuch, Ihre Kindheit begann hinter dem Eisernen Vorhang.
Schuch: Bei mir war wirklich alles anders als bei Gülru. Fernsehen gab es nur als offizielles Staatsfernsehen. Das war schwarz-weiß. Es gab kein richtiges Programm, eher Propaganda-Videos von Bauern, die ihre Äcker bestellten und ab und zu Musik. Die Musik war dann vor diesem Hintergrund unglaublich spannend. Es gibt eine Geschichte, die meine Eltern immer erzählt haben: Wir sind in die Oper gegangen. Mein Bruder hat sich gelangweilt und zur Decke geschaut und ich war total in dieser Welt da drin. Gespielt wurde übrigens der Nussknacker.
Ihre Liebe zur Musik geben Sie auch als Duo weiter. Berufliches und Privates in einem – ist das nicht schwierig?
Ensari: Wir haben festgestellt, dass es anfangs schwieriger war. Jetzt fangen wir nicht gleich an zu diskutieren, sondern probieren die Vorschläge des anderen einfach mal aus.
Was überrascht Sie an ihrer Frau?
Schuch: Sie ist so ein impulsiver Typ ...
Ensari: Typ? Mensch würde ich sagen ....
Schuch: Und ich finde das gut. Beim Vierhändig-Spielen lernt man, dass es immer mehrere Wahrheiten gibt. Und die sind dann auch außerhalb des eigenen Horizonts.
Was überrascht Sie an Ihrem Mann?
Ensari: Man kennt sich, ich weiß, „hier würde er eine Phrase so spielen wollen“, er hat eben seinen Stil.
Schuch: Vielleicht überrasche ich dich eher in einem Moment, in dem ich nachgebe ...
Ensari: (Lacht) Genau das stimmt, wenn du nachgibst, bin ich überrascht.
Schuch: Denn dann kann ich die Rolle des Klügeren einnehmen.
Kommen Sie sich beim Üben nicht in die Quere?
Schuch: Wir haben drei Flügel zu Hause in Niehl. Zwei im Übezimmer im Keller und einen im Wohnzimmer, so dass wir auch separat üben können.
Sie haben im CD-Projekt einen neuen Weg eingeschlagen. Wohin geht die Reise?
Ensari: Während der Pandemie hat uns sehr beschäftigt, wie wir eine Verbindung zum Publikum bekommen. Es war gut, dass es Streamingkonzerte gab und man überhaupt spielen konnte. Aber wir wollen vermeiden, dass sich die Leute an so etwas gewöhnen, an die Idee, dass das Digitale die Konzertatmosphäre ersetzen könnte. Wir müssen in diesem Jahrhundert wirklich eine andere Verbindung zu den Menschen finden.
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Schuch: Ohne Publikum sind wir wie Schwimmer ohne Wasser. Das ist wie Trockenübung, denn das Publikum ist wie ein Widerstand, aber es trägt einen auch – genau wie das Wasser!
Sie wollen über Ihre neue Homepage das Publikum dazu auffordern, sich mit Ihnen über Ihre musikalischen Kindheitserinnerungen auszutauschen.
Schuch: Da es nach den Konzerten aufgrund der Hygienevorschriften keinen Austausch mehr gibt, wollen wir neue Möglichkeiten eröffnen. Es ist sehr frei. Jeder soll schreiben, was ihn bewegt, was er für Assoziationen beim Hören hat. Alles gerne auch mit Geschichten verbinden und mit Gefühlen.
Ensari: Wir müssen unsere Hand unter den Stein tun ...
Was bedeutet das?
Ensari: (Lacht) Das sagt man auf Türkisch so. Dass man selber anpacken muss, wenn man was entwickeln will. Social Media zum Beispiel. Viele sagen, das ist Quatsch. Aber man kann es auch für viel Gutes nutzen.