Gil Ofarim„Ich wusste, dass ich eines Tages über meinen Vater schreiben werde“
- Der Münchener Sänger Gil Ofarim, der auch als Tänzer eine gute Figur macht, geht mit einem Album und als Theaterschauspieler auf Tournee
Man kennt ihn aus TV-Shows wie „Let‘s Dance“ oder „The Masked Singer“. Und als Musiker. Auf seinem neuen Album „Alles auf Hoffnung“ singt Gil Ofarim (37) mit rauchiger Stimme von Veränderung, Trennung und Schmerz. Der Sohn des 2018 verstorbenen israelischen Sängers Abi Ofarim hatte mit 20 Jahren bereits fünf Millionen Platten verkauft und füllte in Asien Fußballstadien. Er wurde bis heute mit 31 goldenen Schallplatten ausgezeichnet. Mit seinem Album geht Ofarim jetzt auf Tour, im März gastiert er in Köln. Aber auch mit dem Theaterstück „Der Tod auf dem Nil“ ist er unterwegs. Mit dem Münchner Multitalent sprach unser Autor Olaf Neumann.
„Egal wie tief du fallen magst, die Kunst liegt darin, wieder aufzustehen“, heißt es in „Freiheit in mir“. Muss man in Ihrem unsteten Beruf viel einstecken können?
Gil Ofarim: Natürlich! Ich singe, ich schreibe, ich bin Musiker und Schauspieler. Ich darf ein privilegiertes Leben leben. Aber es hat viel mit Höhen und Tiefen zu tun.
Die man dann künstlerisch verarbeitet?
Ofarim: Ja. Ich habe in den vergangenen Jahren sehr viel gesehen, erlebt und gemacht. Ich lasse das raus, indem ich Texte schreibe und Songs aufnehme. Das ist mein Ventil. Wenn du nicht aufstehst, was wäre die Alternative? Aufgeben? Nein, du musst aufstehen!
Die Ballade „Pierrot“ über einen tragischen Entertainer sticht heraus. Wie lautet Ihre Grundeinstellung als Künstler?
Ofarim: Ich habe dieses Album in einem Jahr geschrieben, aber mich mein ganzes Leben darauf vorbereitet. Ich wollte mich weiterentwickeln und noch etwas Anderes von mir sehen. Irgendwann fiel bei der Produktion des Albums der Satz: „Gil, geh dahin, wo es weh tut!“
Zur Person
Geboren am 13. August 1982 in München als Sohn des israelische Sängers und Musikproduzenten Abi Ofarim. 1997 beginnt Gils Karriere mit einer Foto-Lovestory in der Bravo. In der Folgezeit gelingen ihm Hits in Deutschland, Kanada und Asien. Später wird seine Musik rockiger, er spielt im Vorprogramm von Bon Jovi.
Als Schauspieler wirkt Ofarim in TV-Produktionen wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Schlag den Star“ und „The Masked Singer“ mit. Sein neues Album erscheint am 28. Februar.
Danach ist bei mir der Knoten geplatzt und ich habe wirklich alles rausgelassen. Ich wusste, dass ich eines Tages über meinen Vater schreiben werde. Mit „Ein Teil von mir“ habe ich damit angefangen.
Wie ähnlich sind Sie IhremVater? Ofarim: In meinem Spiegelbild sehe ich Dinge, die mich an ihn erinnern. Mein Lachen ähnelt seinem. Irgendwann traf ich mich in Münster mit dem ehemaligen Sänger von Jupiter Jones, Nicholas Müller, und Christoph Hessler von The Intersphere. Es war ein kalter, komischer Tag, aber ich stellte mir vor, Papa wäre mit uns in einem Zimmer – ich habe dann alles rausgelassen, und der Song kam wie von Geisterhand zu mir. Im Anschluss ist uns spontan die Nummer „Pierrot“ eingefallen. Es ist vielleicht das Ehrlichste, was ich je gemacht habe.
Sie singen auch, dass Sie sich nicht verbiegen lassen. Hat man dies früher oft versucht?
Ofarim: Ich schätze meinen Job mehr denn je, aber am Ende des Tages ist es leider auch ein Geschäft, bei dem jeder etwas verdienen will. Kunstmachen geht nicht immer Hand in Hand mit Geldverdienen.
Und was ist Ihr Problem?
Ofarim: Ich will weder Fremdkompositionen singen noch I-Love-You-Songs schreiben, sondern mich weiterentwickeln.
In Bangkok musste Ihretwegen einmal der gesamte Flughafenterminal gesperrt werden, weil dort 10 000 Fans standen. Wie bewerten Sie Ihre Zeit als Teeniestar? Ofarim: Ist es richtig, dass ein 14-Jähriger, statt die Schulbank zu drücken, überwiegend in Fernsehstudios rumsitzt, durch die Weltgeschichte reist und Konzerte gibt? Ich weiß es nicht, aber das ist meine Geschichte. Ich habe mir dieses Leben immer gewünscht, schon in meinem Kinderzimmer habe ich ganze Tourneen gespielt. Später war ich glücklich, als ich das wirklich machen durfte, gleichzeitig war ich nicht darauf vorbereitet.
Haben Sie Ihren Vater überseine wilde Zeit ausgefragt?
Ofarim: Natürlich. Ich war beim Karrierestart noch minderjährig, weshalb Papa als Erziehungsberechtigter und Manager dabei war. Er kannte die Verlockungen und Gefahren des Haifischbeckens. Er war in vielerlei Hinsicht sehr streng als Manager – und als Vater.
Wie würden Sie Ihre persönliche Note beschreiben?
Ofarim: Ich bin mal laut, mal leise, mal hart, mal zart. Meine Platte ist nicht deshalb so vielseitig, weil ich alle möglichen Genres bedienen will, sondern weil ich wirklich so bin. Im Herzen bin ich Rocker, gleichzeitig tanze ich gern. Ich mag sogar klassische Musik.
Sie wirken in der Theaterfassung von Agatha Christies „Der Tod auf dem Nil“ mit. Wie nahe ist Ihnen die Figur des attraktiven, jedoch zwielichtigen Simon Doyles?
Ofarim: Mit Simon verbindet mich persönlich nicht viel. Die Herausforderung als Schauspieler war, eine Figur zu verkörpern, auch wenn sie mir nicht nahe ist. Ich wollte unbedingt wieder Theater spielen.
Haben Sie sich die berühmte aus dem Jahr 1978 angesehen?
Ofarim: Ja klar, mit Peter Ustinov in der Hauptrolle. Wir spielen den Stoff ein wenig anders, aber sehr anspruchsvoll. Bei uns gibt es wahnsinnig viele Wechsel auf der Bühne. Jeder Schauspieler muss nicht nur seine Rolle verinnerlicht haben, sondern sich auch sehr gut merken, wann er wo auf und ab geht. Bei uns kommt man nicht so schnell darauf, wer der Mörder ist. Das Spannende an der Geschichte ist ja, dass jeder verdächtig ist.
Sie haben weder eine Schauspielausbildung noch eine Sprecherausbildung. Wie haben Sie sich die Schauspielerei beigebracht?
Ofarim: Wenn du in diesem Geschäft arbeitest, bist du gezwungenermaßen manchmal auch ein Schauspieler. Und das ist dann wieder Futter für meine Songs.
Spiegeln sich die Dramen Ihres Lebens also in der Musik wider?
Ofarim: Mir ist wichtig, in den Texten nicht alles auf mich zu beziehen. Es geht auch um die Menschen, die ich kennenlerne und die Geschichten, die ich höre. Ich frage mich trotzdem manchmal, ob in den letzten Jahren alles so sein musste, damit ich diese Platte schreiben konnte.
War es eine besonders intensive Zeit für Sie?
Ofarim: Ja, die letzten Jahre waren sehr turbulent. Ich musste vieles bewältigen. Abschied nehmen und Trennungen durchleben. Aber ich habe dadurch auch viel gewonnen und vieles schätzen gelernt.
Zum Beispiel?
Ofarim: Das Leben. Menschen. Freunde. Gesundheit. Einfach sein zu können.
Und wie halten Sie es mit Social Media?
Ofarim: Ich habe gelernt: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Die Sozialen Medien sind ein Segen und ein Fluch. Man kann durch sie viel erreichen, aber heutzutage sind alle Meinungen komprimiert auf einen Raum. Dadurch macht man sich angreifbar.
Sie haben in Ihrer Kindheit antisemitische Schmähungen erfahren. Wie ist das heute?
Ofarim: Anlässlich des Umzugs der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und der Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels war ich in einer Politsendung zu Gast. Danach habe ich viele Hasskommentare und persönliche Beleidigungen bekommen. Dergleichen widerfährt mir nicht jeden Tag. Wir leben aber in einer Zeit, in der wir uns ernsthaft fragen müssen, was hier in diesem Land passiert.
Was kann man gegen Antisemitismus tun?
Ofarim: Wenn ich das wüsste, hätte ich es längst rausposaunt. Ich bin nicht in Schockstarre verfallen, aber ich stelle schockiert die Frage: Haben wir nicht aus der Vergangenheit gelernt? Die Generation, die den Holocaust leider noch miterleben musste, stirbt bald aus. Und die Leugner haben ein Sprachrohr: Social Media. Sie verstecken sich hinter Fake Accounts. Auf diese Art und Weise sind Menschen wieder so leicht manipulierbar wie 1933.
Zurück zur Musik. Was kann man von Ihrer Tour erwarten?
Ofarim: Ich freue mich sehr auf die kleinen Clubs, das Technikum in München zum Beispiel ist wie mein Wohnzimmer. In diesem Laden habe ich mein allererstes Musikvideo gedreht und auch als Schauspieler gearbeitet. Wir spielen das Album von Anfang bis Ende und als Zugabe ein paar ältere Songs.
Konzerttipp
Gil Ofarim, Köln, Club Bahnhof Ehrenfeld, 4. März, 20 Uhr
Theatertipp
„Tod auf dem Nil“, zu sehen u. a. in Kassel beim Kultursommer Nordhessen am 7. und 8. August