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Interview

Frank Schätzing zu seinem neuen Buch
„Wir sind ein Volk der Verzagten geworden“

Lesezeit 5 Minuten
Frank Schätzing Interview zu Helden

Frank Schätzing Interview zu Helden

Frank Schätzing spricht im Interview über sein Buch „Helden“ und die Frage, was wir von Menschen des 13. Jahrhunderts lernen können.

Der Mittelalter-Krimi „Tod und Teufel“ war 1995 Frank Schätzings Durchbruch. Nun schickt der 67-Jährige seine Figuren von damals auf eine Reise weit über die Grenzen Kölns hinaus. Axel Hill sprach mit dem Autor.

Was haben Sie seit „Tod und Teufel“ gelernt, das Sie jetzt in „Helden“ einbringen konnten, vielleicht abgesehen von der Tatsache, dass man 1000 Seiten starke Bücher verkaufen kann?

Exakt das, was Sie gesagt haben: dass man 1000-Seiten-Bücher verkaufen kann. Sofern sie packend geschrieben sind.

Zwischen der Entstehungszeit der beiden Bücher liegen fast 30 Jahre. Wie schnell waren Sie wieder bei den Figuren von damals? Hatten Sie Ihre alten Notizen und Unterlagen noch?

Schon, aber in der ersten Hälfte der 1990er Jahre stand mir nicht die Informationsfülle im Internet zur Verfügung wie heute. Damals habe ich meist im Historischen Archiv der Stadt Köln recherchiert. War jeden zweiten Tag dort, es fehlte nicht viel, und sie hätten mir ein Feldbett dort aufgestellt. Alle waren supernett und nahmen sich Zeit. Ich fachsimpelte mit Experten, hing Stunden vor dem Mikrofiche-Lesegerät, verschlang, was immer ich über Köln in die Finger bekam, bis hin zur Reimchronik von Gottfried Hagen, die es ja nicht auf Hochdeutsch gibt. Und mein Mittelhochdeutsch ist lausig!

Nur, die Anforderungen für „Helden“ waren komplett andere. „Tod und Teufel“ spielt in einer Stadt des 13. Jahrhunderts. „Helden“ in der ganzen Welt des 13. Jahrhunderts! Ich musste also neu ran. Und war sofort wieder im Groove.

Auch bei den bekannten Figuren?

Komischerweise ja. Als hätte ich ihnen gestern das letzte Mal die Hand geschüttelt.

Nun ist es eine Fortsetzung geworden, kein Band zwei.

„Helden“ ist vor allem eines: ein vollkommen eigenständiger Roman, den man ohne Kenntnis der Vorgeschichte lesen kann – wenngleich ich empfehle, sich das Vergnügen von „Tod und Teufel“ zu gönnen, wo die Figuren eingeführt werden. Natürlich hätte ich Jacop und Jaspar einfach nur einen weiteren Kriminalfall im mittelalterlichen Köln lösen lassen können. Aber ich wollte, dass sich die Figuren entwickeln. Auf radikale, unerwartete Weise, die sie selber nie für möglich gehalten hätten, die nicht mal ich für möglich gehalten hätte. Jacop musste raus in die Welt, also spielt der Roman überwiegend in England und Frankreich. Was erforderte, sich auf einer ganz anderen Ebene mit Jacop zu beschäftigen, außerdem kommen etliche neue Hauptfiguren hinzu.

Sie schildern das 13. Jahrhundert als eine Zeit des Umbruchs. Banken, bargeldloser Zahlungsverkehr, ein europäisches Botennetz oder das Versicherungswesen kommen auf. War das für Sie überraschend?

Absolut! Und ich wusste ja schon einiges über die Zeit. Das 13. Jahrhundert war weit fortschrittlicher, als man denkt, auch wenn man sich damals nicht im heutigen Sinne als fortschrittlich empfunden haben mag. Wir betrachten das Mittelalter als freudlosen Block, eingefügt zwischen Antike und Aufklärung. Düster und starr. Es war alles andere als starr. Im Grunde ist der Begriff Mittelalter überholt.

Das versucht auch jeder Direktor des Museum Schnütgen dem Publikum nahezubringen!

Die Umbrüche im 12. und 13. Jahrhundert entsprangen einer neu aufkommenden Sichtweise: dass der Mensch einen freien Willen hat und sein Schicksal selber in die Hand nehmen kann. Aus der in den Staub geworfenen, erbsündigen Kreatur ohne Wahl und Willen wurde gewissermaßen Gottes Juniorpartner, der eifrig und proaktiv das Werk seines Chefs vorantrieb. Wir begannen zu forschen, zu erfinden, die Schöpfung zu hinterfragen. Der Mensch des 13. Jahrhunderts will die Dinge verstehen.

Es gibt im Buch den Satz „Tollkühnheit war die neue Vernunft“. Was ist heute die neue Vernunft?

Wenn Tollkühnheit die neue Vernunft ist, heißt das nichts anderes, als dass man versucht, das meiste richtig zu machen. Was impliziert, Risiken einzugehen. Wir sind risikomüde geworden. Die Deutschen haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren von einem Volk der Macher, die bestrebt waren, das meiste richtig zu machen, zu einem Volk der Verzagten entwickelt, die nur noch versuchen, das wenigste verkehrt zu machen – darin gipfelnd, besser gar nichts zu tun: Auf Sicht fahren, wo Visionen gefragt sind. Wenn das die neue Vernunft ist, kann ich nur sagen, sie führt in die Stagnation. Wir sind abgehängt. Ein bisschen Aufbruchsdynamik des 13. Jahrhunderts täte uns gut.

In „Helden“ setzen Sie auf eine Erzählstruktur, die an die Serie „Game of Thrones“ erinnert: Cliffhanger, Sprünge in der Zeit, radikale Wechsel der Örtlichkeiten. Nachdem Sie öffentlich Ihr Missfallen an der Verfilmung vom „Schwarm“ geäußert haben: Würden Sie ein weiteres Ihrer Bücher verfilmt haben wollen?

Klar. Der „Schwarm“ war der „Schwarm“. Im Prinzip wusste ich damals schon – aber man lernt ja immer dazu –, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder du verkaufst die Verfilmungslizenz, lässt dich ordentlich dafür bezahlen und guckst es dir dann vielleicht im Kino oder im Fernsehen an. Oder du vereinbarst niet- und nagelfest, dass du in wesentlichen Punkten das letzte Wort hast. Alles dazwischen bleibt unbefriedigend. Mit einem guten Partner würde ich durchaus den Versuch wagen, die Jacop-Trilogie zu verfilmen. Das schreit ja nach seriellem Erzählen bei einem großen Streamer.

Am 8. November stellen Sie „Helden“ im E-Werk vor. Ihre Buchpräsentationen waren immer mehr als nur die Lesung am Pult mit Wasserglas.

Das ist, weil die Storys, die ich mir ausdenke, immer gleich als Verfilmung über meine Hirnrinde geistern. Ich laufe durch diese Welt, sehe, rieche, schmecke, fühle sie. Höre die Leute reden. Weiß, wie sie aussehen, sich bewegen. Höre natürlich auch Musik. Insofern, wenn das alles in meinem Kopf ist: Warum es nicht rauslassen?


Frank Schätzing: Helden. Roman, Kiepenheuer & Witsch, 1040 S., 36 Euro.

Lesung im Rahmen der lit.Cologne: 8. November. 20 Uhr, E-Werk.