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„Die unhintergehbare Verflechtung aller Leben“Kunsthalle Düsseldorf zeigt multimediale Schau zur Weiblichkeit

Lesezeit 4 Minuten
Soraya Sharghis „Rising with the song of nymphs“ ist in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen.

Soraya Sharghis "Rising with the song of nymphs" ist in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen.

Der Titel der bis zum 17. September laufenden Ausstellung geht aus einem Zitat der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler hervor.

Seit jeher haben Mann und Frau mit Klischees zu kämpfen. Dabei zeigt die Kunsthalle Düsseldorf in ihrer Ausstellung „Die unhintergehbare Verflechtung aller Leben“, wie Zuschreibungen und vermeintlich klassisch weibliche Motive gegenwärtig weiterentwickelt werden.

Der kryptische Titel geht von einem Zitat der US-amerikanische Philosophin Judith Butler aus. Mit ihrem Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ nahm sie Anfang der neunziger Jahre großen Einfluss auf die feministische Philosophie und die Geschlechterforschung.

Entwurf der Gegenwelt

Beim Rundgang durch drei Räume der Kunsthalle entschlüsselt sich zumindest visuell, wie verflochten alles mit allem ist. Der erste Raum ist der Künstlerin Ilse Henin (Jahrgang 1944) gewidmet, einer Protagonistin, zu der sich auf zwei Etagen ein Netz mit fünf jüngeren, zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern spannt.

Malerei, Zeichnungen, Skulpturen und Installationen führen von von Feminität zur Maskulinität zur Diversität. Ilse Henin studierte Kunst in den späten sechziger Jahren, nahm in den späten siebziger Jahren aber eine Auszeit und meldete sich in den achtziger Jahren zurück, ohne sich in der Kunstwelt zu tummeln. Den Widerstand gegen ihr feministisches Statement bekam sie aber trotzdem zu spüren.

Sie entwirft Gegenwelten, versteht sich als Außenseiterin, und trifft doch ins Mark der Gesellschaft. Meist zeichnet sie Körper mit Kreide auf Papier. Es sind surreale Bildwelten, die eine psycho-analytische Sicht auf kulturelle Erscheinungen wirft: Da tanzt eine Ballerina mit dem Torso einer Eiszange, der Schwanz des Seeteufels gleicht dem Drehmechanismus einer Konservendose und ein weiblicher Korpus schreitet mit Sprechtüte durch das Bild.

Ehrgeiziges Geschöpf

Das Weibliche wird in einen zeitgenössischen Bezug gesetzt. Tradierte Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit hinterfragt Henin oft mit einem Augenzwinkern. Aus einem Karton womöglich für Druckerpatronen gestaltet sie ein wollüstiges Männchen. Eine Frau, die ähnlich der Skulptur „Ehrgeiziges Geschöpf“ von Hans Arp den Rücken gerade macht, trägt im Inneren ein gekrümmtes, geradezu kümmerliches Ego.

Die Britin Emma Talbot (Jahrgang 1969) drückt stereotype Frauenbilder auch in der Auswahl der Materialien aus. Als feminin gelesene Perlen und Stoffe verwendet sie für eine raumgreifende Plastik und greift darin aktuelle Themen von Umwelt über Feminismus bis hin zur Technologie auf: „Warum glauben wir, die Natur überlisten zu können?“, fragt sie in ihrer Installation, um die sie Stoffbänder legt, die an Umrisse von Kontinenten erinnern. Ist die Schlange, die mit den Figuren verschmilzt, Ursprung des Bösen?

Die jüngste Ausstellende, die US-Amerikanerin Gisela McDaniel (Jahrgang 1995) schafft große multidimensionale Porträts von Menschen, vor allem Frauen und nicht-binären Personen. Sie erzählt ihre Geschichte. Vom „Status als temporal, schrecklich zerbrechlich magisch robust, von Epoche zu Ära übergeht“ lautet ihr Aphorismus.

Keine wartet auf die Rettung männlicher Helden im leuchten bunten Bilderkosmos, den Soraya Shargie (1988 im Iran geboren) aufbaut. Nymphen und Einhörner bestücken ihre Kompositionen. Sie lässt ein utopisches Matriarchat entstehen. Dabei lesen sich die Posen wie Zitate auf die Kunstgeschichte. Hayv Kahraman (1981 im Irak geboren) untersucht in acht Arbeiten die Körper geflüchteter Menschen mit sichtbaren und unsichtbaren Narben. Sie tragen traumatische Erinnerungen an Geschehnisse mit sich, die persönlich aber auch im Kollektiv erfahren wurden.

Neue Verknüpfung eines Ökosystems

Keltie Ferris (1977 in den USA geboren) geht der Frage „Wer bin ich?“ nach und nutzt dabei Sprühpistolen, Pinsel und mitunter auch den eigenen Körper. Dabei stößt er auch an Grenzen, klare Linien lösen sich in Ölfarben auf. Begleitend zur Schau gibt es Literatur, die in einer gemütlichen Sitzecke direkt vor Ort gelesen werden kann: Kinderbücher wie „Körper sind toll“ von Tyler Feder aus dem Zuckersüß Verlag, Kunstgeschichtliches wie Alex Pilchers Buch „A Queer Little History of Art“ (Tate Publishing) und Judith Butlers Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ (Suhrkamp Verlag).

Butler hebt in einem Interview im „Kunstforum International“ die Notwendigkeit eines kollektiven Zusammenlebens für die Gerechtigkeit der Gesellschaft hervor. Diese versteht sie als komplexes Netzwerk, in dem neben den Menschen auch nichtmenschliche Lebensformen, also Tiere, Pflanzen, Pilze und Organismen zu verstehen sind. Für die Ausstellungsmacher Alicia Holthausen und Gregor Jansen besteht der Wunsch „nach einer neuen Kollektivität dieser Gesellschaft, nach der Verknüpfung eines ganzen Ökosystems, das sich gegenseitig beeinflusst, bedingt, aber auch beschützt“.

Ilse Henin wurde 1944 in Köln geboren und lebt und arbeitet heute in der Eifel in Rheinland-Pfalz. Sie studierte 1966 bis 1970 an der Kunstakademie Karlsruhe und nahm von 1970 bis 1978 regelmäßig am „Neumarkt der Künstler“ in Köln teil. Ihre psycholgisch tiefgreifenden und vielschichtigen Zeichnungen waren in Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland, Frankreich und Italien ausgestellt.

Bis 17. September, Di bis So und an Feiertagen 11 — 18 Uhr, Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz 4.